Das Tor zur Welt

Für News öffnete Ekaterina Mucha das Tor zu ihrer Heimatstadt Sankt Petersburg. Die erfahrene Reisejournalistin und Chefredakteurin im Mucha Verlag hat mehrmals die Welt umkreist. Ihre Heimatstadt sieht sie für die News-Leser nicht nur mit professionellen, sondern auch mit persönlichen Augen.

von Reisen - Das Tor zur Welt © Bild: Getty Images/Anujak Jaimook

Sankt Petersburg ist meine Heimatstadt, hier bin ich geboren -und irgendwie bin ich davon ausgegangen, dass ich ewig dort leben würde. Doch das Schicksal hat es anders mit mir gemeint. Wien ist mein neuer Lebensmittelpunkt geworden. Als Mitgestalterin der Reisezeitschriften "FaktuM" und "FM" und Chefredakteurin von "Elite" reise ich viel und gerne und habe daher natürlich unzählige Berichte über Destinationen aus aller Welt veröffentlicht. Nur vor einem bin ich bis dato zurückgeschreckt: über meine Heimatstadt zu schreiben. Doch die Stadt meiner Wurzeln aus meinem persönlichen Blickwinkel darzulegen, ist durchaus verlockend. Haben sich doch Ansicht und Bewertung meines Zuhauses, der Enge meines Geburtsortes entflohen, im Laufe der Jahre substanziell verändert.

© Getty Images Die märchenhafte Erlöserkirche - auch bekannt als Blutkirche -ist ein beliebtes Fotomotiv

Aus der Ferne, mit dem Wissen um andere Länder, Kulturen und Sitten, ergibt sich ein völlig neues Bild. Wie ich meine, ein besseres. Ein objektiveres. Denn schließlich hieß Sankt Petersburg, als ich dort geboren wurde (und so steht es auch in meinem Pass), noch Leningrad. So habe ich eine typisch russische Erziehung und Ausbildung genossen. Mit all den Einschränkungen, Engstirnigkeiten, Reglementierungen, die unser politisches, damals kommunistisches, System für jeden Menschen in Russland vorsah.

Ein kleines Beispiel: Wenn ich heute auf meine reichhaltige Jeanssammlung in meinem Kleiderschrank blicke, dann denke ich oft daran, dass wir in der Schule Einheitskleidung hatten. Es gab nur eine einzige Fabrik, die Mäntel lieferte. Alle trugen die gleichen Mäntel. Vielfalt, Mannigfaltigkeit - das gab es in meiner Kindheit und Jugend nicht. Das kam später. Das habe ich dann erst mit großen Augen entdeckt. An diesem Beispiel erkennt man, wie sich der Blick auf meine Heimat verändert hat.

Schwer zu verstehen

Russland ist das größte Land der Welt. Es erstreckt sich von Europa bis über den asiatischen Raum. Genau diese gewaltige geografische Ausbreitung macht es zu einem Vielvölkerstaat mit den unterschiedlichsten Kulturen und Mentalitäten. Die Nähe zu China, der Türkei, dem Iran und Pakistan macht auch die Einwohner Russlands vielseitig. Ein Staat, der im Osten an China grenzt und im Polargebiet nur noch wenige Kilometer von Alaska entfernt ist, ist zwar interessant, aber natürlich auch schwer zu verstehen. Sankt Petersburg selbst kann man etwa mit Paris vergleichen - den touristischen Teil wohlgemerkt. Gegenden außerhalb des Zentrums sind trist und in bedrückendes Grau gehüllt.

© Getty Images Viel Zeit und bequeme Schuhe sollten Besucher mitbringen, die die Palastanlage Peterhof besichtigen wollen

Kultureller Mittelpunkt

Wer einmal in einer russischen Stadt gewesen ist, kann deshalb noch lange nicht behaupten, Russland zu verstehen. Russland ist riesengroß, divers und lässt sich nicht über einen Kamm scheren. 145 Millionen Einwohner. Und ein deutlicher Überschuss an Frauen. Auf 100 Personen des weiblichen Geschlechts kommen nur etwa 25 Männer. Das hilft vielleicht zu verstehen, warum vielen Frauen in Russland soviel Wert auf ihr Äußeres legen. Selbst am Weg zum Bäcker wird man eine russische Frau kaum jemals ungeschminkt sehen. Man geht stets mit dem Wissen vor die Türe, von unzähligen Konkurrentinnen umgeben zu sein. Ein schönes Kleid, Schuhe mit hohen Absätzen, Schmuck und die perfekt sitzende Frisur, zählen auch tagsüber zur Grundausstattung einer Russin.

Die Geschichte des Landes ist reich an Kultur. Weltbekannte und geniale Schriftsteller - ausgezeichnet mit Nobelpreisen -, Maler und Komponisten wurden hier geboren. Schon immer war Sankt Petersburg kultureller Mittelpunkt und stand im Zentrum der Wissenschaft. Die Stadt allein beherbergt 120 Universitäten, Hochschulen, Fachhochschulen und rund 2.000 Bibliotheken. Ein großes Maß an Wissen, welches sich im ehemaligen Leningrad ansiedelt, ist auch Grund für die hohen kulturellen und sozialen Werte der Russen. Respekt Älteren gegenüber, gutes Benehmen bei Tisch und tadelloses Verhalten auf öffentlichen Plätzen, all das ist Teil der russischen Erziehung. Mutter Russland ist ein lebendiger, sich stets entwickelnder Organismus. Die Russen selbst stolze, neugierige und weltoffene Menschen.

© Shutterstock.com

Wenn ich mich 20 Jahre zurückerinnere, so war Russland nicht immer ein weltoffenes Land. Das Leben fühlte sich damals für mich an wie in einer Blase. Das kommunistische Wirtschaftssystem und die damit verbundene Verstaatlichung sämtlicher Einrichtungen sorgte zwar dafür, dass man eine Ausbildung erhielt und eine Krankenversorgung hatte, jedoch waren die Standards bei Weitem nicht mit denen des Westens zu vergleichen. So gab es auch nicht - wie in Europa -diverse Supermarktketten. Es gab lediglich eine einzige. Was die Auswahl drastisch begrenzte.

In jeder Hinsicht eintönig

Sich zu dieser Zeit, als junge Frau, modetechnisch austoben zu können, war praktisch unmöglich. Wie auch, gab es doch, wie anfangs bereits erwähnt, nur heimische Schuh-und Kleiderproduzenten. Aus der Masse herauszustechen, wie man es sich in diesem Alter herkunftsunabhängig vielleicht ab und an wünscht, war eher unrealistisch. Ich erinnere mich auch noch daran, wie die Gastronomie eine komplett andere war. Wimmelt es heute an jeder Ecke nur so von Restaurants mit Menüs aus allen Herren Ländern, so fand man damals neben Piroggen und Pelmeni - hierbei handelt es sich um gefüllte Teigtaschen - nicht besonders viel Exotisches. Das Angebot war also in jeder Hinsicht eintönig. Das Land blieb gezwungenermaßen in sich gekehrt.

© Getty Images/Keren Su

Heute kann von all dem keine Rede mehr sein. Egal ob kulinarisch oder modetechnisch betrachtet, Sankt Petersburg hat aufgeholt. Manche europäische Städte vielleicht sogar überholt. Heutzutage findet man auf der Bolschoj Prospekt, der Newskij Prospekt - zwei der nobelsten Einkaufsstraßen in Sankt Petersburg - oder im Grand Palace - dem elitärsten Shopping Center der Stadt - von Armani bis Zegna alles, was das Herz begehrt. Wer von Shopping wenig hält, und nur auf der Suche nach dem einen oder anderen Souvenir ist, findet es vermutlich im Schatten der Erlöserkirche. Hier sammeln sich unzählige Stände mit kleinen Matrioschka-Püppchen. Auch die typische russische Pelzmütze "Uschanka" kann man hier erwerben.

Hungrig in Sankt Petersburg

Die Gastronomieszene der Fünf-Millionen-Einwohner-Stadt ist riesig. Neben den typisch russischen Küchen haben sich Lokale aus der ganzen Welt niedergelassen. Wer aber schon einmal in Russland ist, sollte sich natürlich auch ein klassisches russisches Menü gönnen. Meine Empfehlung: ein Teller Borschtsch -dabei handelt es sich um die berühmte russische Rote-Beete-Suppe - oder auch Soljanka - eine säuerlich-süße Suppe - und dazu Pelmeni, köstliche kleine Teigtaschen, die in Wasser gekocht werden. Piroggen, kleine Brötchen, dürfen ebenfalls bei keinem guten Essen fehlen und Golubtsi - die beliebten Krautrouladen, die mit Hackfleisch oder Huhn gefüllt sind. Sie sollte man etwa im Restaurant Banshiki verkosten. Zur Nachspeise empfehle ich Blinis. Eine Art russische Palatschinke. Es muss nicht immer Kaviar sein - der übrigens, als ich ein Kind war, als Alltagsspeise galt. Das waren noch Zeiten

© Shutterstock.com Neben der Eremitage ist auch das Fabergé Museum ein beliebtes Ziel von Kunst- und Geschichtsliebhabern

Insidertipps

Mit Städten verhält es sich wie mit Beziehungen. Erst wenn man zusammengelebt hat, kennt man die Macken des Anderen. So verhält es sich auch mit meiner ehemaligen Heimatstadt. Es gibt Dinge, die man nur dann wissen kann, wenn man an diesem Ort gelebt hat, oder eben von dort stammt. All jene, die also eine Reise nach Russland planen -diese Tipps sollten Sie auf jeden Fall berücksichtigen:

1. Am besten besucht man die Stadt zwischen Mai und Juni. Hier sind die Temperaturen am angenehmsten. Nur kälteunempfindlichen Menschen kann man eine Reise in den Wintermonaten nahelegen. Minus 25 Grad Celsius sind keine Seltenheit.

2. Keinesfalls sollte man Geld in privaten Wechselstuben oder am Flughafen tauschen. Der Wechselkurs ist hier deutlich schlechter als in der Stadt. Es ist daher sinnvoll, Geld von der Bank zu beheben oder direkt mit Karte zu bezahlen. Auch sollte man keine zerrissenen Euro-oder Dollarnoten einführen. Die werden in sämtlichen Banken verweigert.

3. Fahren Sie nur mit gekennzeichneten Taxis. In privaten Taxis können unangenehme Überraschungen auf Touristen warten. Es ist also jedenfalls ratsam, sich vorher über die offiziellen Taxinummern zu informieren.

4. Über fünf Millionen Einwohner sorgen für eine Menge Verkehr. Um immer pünktlich an sein Ziel zu gelangen, sollte man am besten eine Stunde zusätzlich miteinberechnen.

5. Wie die meisten Metropolen dieser Welt leidet auch Sankt Petersburg unter hoher Kriminalität. Es empfiehlt sich daher, alle Wertgegenstände im Hotelsafe zu lassen. Kameras für ein Foto an Fremde verleihen? In Sankt Petersburg keine gute Idee. Schmuck, teure Uhren, teure Taschen - vorsichtig sein und verbergen.

6. Mein Geheimtipp: Die U-Bahnstationen der Stadt sind die schönsten und prunkvollsten der Welt. Mit vier Linien und 59 Stationen, sind sie ein absolutes Must-See. Die Bahnsteige sind majestätisch und elegant gestaltet. Mächtige Säulen aus Marmor und Kristallleuchter schmücken die unterirdischen Gänge.

Der Beitrag erschien ursprünglich im News 34/2019.