Österreichischer Erfolg
mitten in New York

Sie sind gekommen, um zu bleiben: Aldo Sohm und Eduard Frauneder haben sich in New Yorks Gastroszene einen Spitzenplatz erarbeitet

von Life - Österreichischer Erfolg
mitten in New York © Bild: Francesco Tonelli

Eigentlich wollte er nicht lange bleiben. Und überhaupt gab es anfangs nur ein ganz simples Ziel: Nämlich seinem Englisch, das ganz okay war, den letzten Feinschliff zu verpassen. "Der Plan waren 18 Monate. Da habe ich mich leicht verrechnet", schmunzelt Aldo Sohm. "Und eigentlich hatte ich mich bei Wolfgang Puck beworben. Aber da habe ich nie eine Antwort bekommen." 17 Jahre ist es her, dass der Tiroler aus dem kleinen Bergdorf Inzing, zwischen Innsbruck und Telfs gelegen, seine Koffer gepackt hat -und mitten in New York in der Welt der Spitzenweine gelandet ist.

Sohm ist Chefsommelier im Le Bernardin, aktuell eines von nur fünf Restaurants in New York, das vom Michelin-Guide mit der Höchstbewertung von drei Sternen dekoriert ist. Sein zweiter Arbeitsplatz liegt nur wenige Schritte zwischen den Hochhausschluchten von Manhattan entfernt und trägt seit 2014 seinen Namen: Aldo Sohm Wine Bar. Aber Sohm ist nicht irgendein Sommelier. Er ist einer der besten. Der Weltbeste. Viermal wurde er zum besten Sommelier Österreichs gekürt; es folgte die Auszeichnung als bester Sommelier der USA. 2008 wurde er erstmals weltbester Sommelier. Gerade erst hat er die Auszeichnung erneut in seine Wahlheimat geholt. "Es gibt im Leben keine Zufälle. Du musst für das Glück hart arbeiten und ein grobes Ziel vor Augen haben", sagt Sohm, der Herr über mehr als 900 Weine ist. Auf dem Weg zu einer Weinverkostung in Philadelphia legte er seinerzeit einen Zwischenstopp in New York ein -und blieb. "Mein Vater hat gesagt: Du wirst dir schon irgendwas überlegt haben." Das hatte er. Sein Grundsatz: Das Leben beginnt außerhalb der Komfortzone. New York lieferte dafür die optimale Spielwiese. "Es gibt viele, die wollen, aber nur wenige, die tun", sagt Sohm, der Macher. "Du musst dich durchbeißen - oder zurückgehen."

"Das geht nicht!"

Sohm absolvierte in St. Johann in Tirol die dreijährige Tourismusschule, will Koch werden, wechselt aber ins Service und entdeckt seine Leidenschaft für den Wein. Dass viele aus seinem Umfeld seine New-York-Ambitionen nur als Hirngespinst abgetan haben, hat ihn besonders motiviert. "Wenn einer sagt: Das geht nicht!, mache ich es erst recht." 2004 heuerte er im Big Apple bei Kurt Gutenbrunner, dem aus Österreich stammenden Spitzenkoch, an und arbeitete für österreichische Top-Adressen wie das Café Sabarsky. "Ich war in Österreich zwar schon einigermaßen erfolgreich, aber in New York zählt das nicht. Da bist du als Österreicher nichts Besonderes, du sitzt mit allen im gleichen Boot."

Er sei durchaus mit offenen Armen empfangen worden. Aber mehr auch nicht. "Wenn du es nicht bringst, laufen die anderen über dich drüber. Und der Nächste steht schon in den Startlöchern." Seine größte Lektion: Selber Ausländer zu sein. "Auf einmal schlägst du dich mit Problemen rum, von denen du gar nicht wusstest, dass es sie gibt. So etwas erweitert den Horizont ungemein", sagt Sohm. Und plötzlich redet sich der sonst ruhige und zurückhaltend agierende Tiroler für seine Verhältnisse fast ein bisschen in Rage. Fremdenhass, Abschottung, Ausgrenzung -damit kann er nämlich wenig anfangen. "Irgendwer ist immer irgendwo der Ausländer. Was spielt es für eine Rolle, wo ich herkomme? Wir alle haben gute und schlechte Eigenschaften."

Zuhören und lernen

Eine Drehtür führt in das Innere seiner schlicht eingerichteten Bar mit viel Holz, meterhohen Wänden und einem riesigen Ledersofa als Blickfang. "Ich bin ein Artist. Ich folge meiner Leidenschaft", sagt Sohm. Von Trends lässt er sich nicht treiben. "Ich höre zu und versuche in zehn, 15 Sekunden herauszufinden, was der Gast will. Du musst die gleiche Tonhöhe treffen -ganz egal, wie der Wissensstand deines Gegenübers ist." Seine Gäste, das sind die Angestellten, die in den Büros über seiner Weinbar arbeiten. Und das ist die New Yorker Upper-class-Klientel. Top-Banker, Rechtsanwälte und schwerreiche Hedgefondsmanager, die längst auch zu Freunden geworden sind. "Diese Menschen stehen noch mehr unter Strom als ich, und wenn sie erzählen, dann nehme ich mir Zeit, höre zu und lerne." Aber auch in der Lebensschule New York hat er einiges gelernt - etwa Konkurrenz und Druck auszuhalten. "Es gibt immer einen, der besser und schneller ist. Ohne Konkurrenz holst du nicht das Beste aus dir heraus." Sohm hat schnell gelernt mit der Geschwindigkeit mitzuhalten, das "typisch Österreichische" abzulegen und amerikanisch zu denken. "Wenn du hier viel Arbeit hast, freuen sich die Leute für dich -und dann hast du es geschafft. Mit Jammern kommt man nicht weiter."

Auf dem Weg zurück zu seinen Gästen im Nobelrestaurant Le Bernardin bleibt Sohm inmitten der Häuserschluchten stehen. "Hörst du das? Dieses ständige Surren der Klimaanlagen? Dieser dauerhafte Geräuschpegel? Wir leben hier wie in einem Kernkraftwerk. Diese überwältigende Energie der Stadt saugt dich aus, wenn du nicht aufpasst. Es ist wichtig, dass du dir Inseln schaffst." Seine Insel ist der Red Hook Pier in Brooklyn. Der Blick auf die Freiheitsstatue. Ein Bier. Mehr braucht der weltbeste Sommelier nicht.

© Udo Spreitzenbarth, Schilling NYC

Unaufgeregter Top-Gastronom

Unverputzte Ziegelwände, ein riesiger Esstisch aus Holz, ein Hauch von shabby-chic und ein Restaurantname, der Programm ist: Schilling. Hier, in der 109 Washington Street, in Gehweite zum One World Trade Center, interpretiert Eduard "Edi" Frauneder seit zweieinhalb Jahren österreichische Klassiker auf eine neue, auf seine Art. Es gibt Schnitzel, Spätzle, Apfelstrudel und Schnaps. Und mit "Radeberger" fließt überraschenderweise ein ostdeutsches Bier aus dem Zapfhahn. Weniger überraschend: der obligatorische Burger. "Den muss man immer anbieten", sagt Frauneder, der kulinarische Botschafter Österreichs. "Und wer ein Stiegl haben will, kann das in der Flasche haben." Dass der gebürtige Wiener, Jahrgang 1977, in New York gelandet ist, war eher Zufall. "Das hat sich so ergeben." Im Laufe der 18 Jahre hat er sich ein kleines Gastronomieimperium aufgebaut. Das Schilling ist eines von zwischenzeitlich neun Lokalen. "Nach dem zweiten Kind hat meine Frau, eine Chirurgin, gesagt: Es reicht." Jetzt liegt der Fokus auf sechs Betrieben: die Bar Third Man, ein Biergarten, eine Taco-Bar, das Restaurant im Deutschen Haus, das Schilling und ein Cateringunternehmen. Knapp 100 Angestellte stehen auf seiner Lohn-und Gehaltsliste. "Eine schöne Größe", wie er findet. "Ganz schön groß", denkt man sich beim Zuhören. Aber bei Frauneder schaut und hört sich das nicht nach viel Arbeit an. Unaufgeregt wechselt er im Schilling zwischen Küche, Bar und Gastraum hin und her. Plaudert. Serviert. Und steht noch selbst am Herd, wenngleich nicht jeden Tag. "Am Ende zählt der Geschmack. Der Gast muss sagen: Das Essen war sehr, sehr gut."

Vom Judenplatz in die weite Welt

Gelernt hat er sein Handwerk in Wien, zunächst als 13-Jähriger im elterlichen Betrieb beim Vater in der Bäckerei im zehnten Bezirk. Auf die dreijährige Kochschule am Judenplatz folgten ein dreijähriger Aufbaulehrgang für Tourismus und zwei Jahre Betriebswirtschaftsstudium. Und dann? "Mit 21 habe ich die Koffer gepackt." In Griechenland heuert er als F&B-Manager an, wurde Privatkoch für den österreichischen Botschafter in London und wechselte schließlich nach New York, um beim österreichischen Uno-Botschafter aufzukochen. "Ich hatte den klassischen New-York-Plan: Ich bleibe für ein Jahr. Und dann bin ich hängengeblieben." Vier Wochen nach seiner Ankunft passierte 9/11; sein Restaurant im Deutschen Haus hatte er da gerade erst aufgesperrt. "Unser Lebensunterhalt war weg. So etwas schmeißt einen drei, vier Jahre zurück. Hätte ich zu diesem Zeitpunkt eine engere Bindung zu der Stadt gehabt, wäre ich vielleicht gegangen." Er bleibt. Und erkocht sich im Restaurant Seasonal seinen ersten Michelin-Stern. "Ich bin dankbar, ihn gehabt zu haben. Aber ich arbeite jetzt auf keinen Stern hin." Überhaupt ist das Pläneschmieden nicht unbedingt sein Ding. "Krampfhaft auf etwas hinzuarbeiten, hat für mich noch nie funktioniert." Nur eines weiß er: Zurück nach Österreich will der Wiener, und das ist er noch immer aus tiefstem Herzen, nicht.

Rückblickend sagt er: "Ich habe jeden Fehler im Gastgewerbe gemacht, den man machen kann. Aber von Erfolgen lernt man nicht, sondern nur von Fehlern." Sein Leitspruch: Mit Konsistenz und Qualität kommt man immer ans Ziel. Sein Erfolgsrezept: Leidenschaft. Und Geduld. Letzteres haben ihm vor allem seine Kinder beigebracht. Sie sind es auch, die ihn besonders antreiben -und sei es nur beim morgendlichen Frühstück. "Toast mit Erdnussbutter wollen sie eher selten. Aber Palatschinken, die gehen immer."

Dieser Beitrag ist ursprünglich im Lifestyle-Magazin Lifedrive (2019/2020) erschienen!