Der Stiftungsrat, die
Wundertüte des ORF

Der Stiftungsrat des ORF gilt als ÖVP-nahe wie selten zuvor. Alexander Wrabetz ist das nicht – und dennoch chancenreich auf weitere fünf Jahre als General. Denn seine Wählerschaft widerspricht wie eine Wundertüte immer wieder den Erwartungen.

von Medien & Menschen - Der Stiftungsrat, die
Wundertüte des ORF © Bild: Gleissfoto

Der Stiftungsrat des ORF ist das wahrscheinlich seltsamste Gremium Österreichs. Dieser Zirkel repräsentiert den totalen Parteienzugriff auf die Republik, aber er konterkariert auch die Vorstellung klarer Farbzuordnungen. Das wird selten so klar wie nun vor der Neuwahl des ORF-Generaldirektors kurz vor Ferragosto. Zuständig dafür ist der Stiftungsrat. Er gilt als ÖVP-nahe wie nie zuvor, aber sein Vorsitzender ist immer noch der mitunter verhaltensauffällige frühere FPÖ-Vizekanzler Norbert Steger.

Das einst Kuratorium genannte höchste Organ des ORF trifft die wichtigste Medienentscheidung des Landes, hat aber viel zu wenig Hintergrundwissen dafür. Die von den Neos nominierte, international renommierte Journalistin und Managerin Anita Zielina verfügt als Einzige über aktuelle Fachexpertise. Gregor Schützes Kurzgastspiel als Geschäftsführer bei ATV liegt sieben, Herwig Höseles Vorstandszeit im Zeitungsverband 15 Jahre zurück. Abgesehen von diesem Trio und den Betriebsräten fehlt jegliche operative Medienerfahrung. Am häufigsten sind PR-Profis mit politischer Kommunikationsbiografie. Das gilt für Jürgen Beilein (ÖVP) ebenso wie für Lothar Lockl (Grüne) und Heinz Lederer (SPÖ).

Diese Abwesenheit von Macher-Kompetenz für Radio, Fernsehen und Internet – das Arbeitsfeld des trimedialen Marktführers ORF – ist Absicht. So wie aktive Politiker können auch „Personen, die in einem Arbeitsoder Gesellschaftsverhältnis zu einem sonstigen Medienunternehmen stehen“, nicht Stiftungsräte werden. Die auch infolge der gesetzlichen Konkurrenzklausel geringe eigene Expertise macht sie lenkbarer für Institutionen, die sie entsenden. Das sind de facto die politischen Parteien.

Je neun von Bundesregierung und -ländern, je sechs von Publikumsrat und Nationalratsfraktionen plus fünf von der Personalvertretung: Das ist die Formel zur Zusammensetzung des Gremiums, das am 10. August den ORF-General wählt. Doch grau ist lediglich die gesetzliche Theorie und bunt die österreichische Realität. Zu fünf türkisen und zwei grünen Abgesandten einigte sich die Koalition auf zwei unabhängige. Neben sechs schwarzen und zwei roten Regionalvertretern gibt es einen noch unter orange-blauer Ägide in Kärnten bestellten Delegierten. Und da der Bundeskanzler persönlich die Mehrheit des sogenannten Publikumsrats kürt, hat dieser je drei der ÖVP und der FPÖ nahestehende Hörer und Seher entsandt – als Ibiza noch in erster Linie eine Insel war. Das ergibt gemeinsam mit den offiziellen Parteienvertretern schon 16 der ÖVP Nahestehende in diesem 35-köpfigen Gremium. Vom Betriebsrat werden drei der SPÖ zugerechnet. Die verbleibenden zwei sind neben dem ebenso deklarierten Duo mit Regierung-Absender die – laut Papierform – einzigen wirklich Unabhängigen.

Doch damit nicht kompliziert genug: Die vermeintlich deutliche Zuordnung hat sich immer wieder als Trugschluss entpuppt. Das war schon bei Gerd Bacher so, der gegen den Willen der Sozialdemokratie zurückkehrte und insgesamt 20 Jahre ORF-Chef war. Das ist bei Alexander Wrabetz ähnlich, der unter Schwarz-Orange gewählt und unter Rot-Schwarz zweimal bestätigt wurde, das Intermezzo von Türkis-Blau überstanden hat und nun als Favorit trotz Türkis-Grün gilt. Diese Rolle verdankt der bisher einzige deklarierte Kandidat allein schon seinem Antreten. Es signalisiert seinen Glauben an den Sieg.

Eine herausragende Fähigkeit des Titelverteidigers ist das Schaffen von Mehrheiten – auch gegen die Parteifarbenlehre. Dazu braucht es Versprechen – nicht nur zum Wohl des Unternehmens. Wrabetz hat sein Antreten sicher durch viel Entgegenkommen vorbereitet. Womit genau, das könnte schon ein bisschen sichtbar werden, wenn er seine Vorschläge für die im September neu zu bestimmenden (Landes-)Direktoren bekannt gibt. Freiwillig sagt ein General das erst nach der Wahl. Uns aber sollte wichtig sein, es davor zu wissen. Denn der Preis des Chefs darf nicht auf Kosten des Hauses gehen.