Die Kommentatorin,
ein Fußball-Tabu

Anna-Theresa Lallitsch kommentiert für den ORF die Fußball-Europameisterschaft. Das ist offenbar immer noch ein Tabubruch und weckt unhaltbare Vorurteile.

von Medien & Menschen - Die Kommentatorin,
ein Fußball-Tabu © Bild: Gleissfoto

Österreich holt auf. Erstmals steht seine Nationalmannschaft im Achtelfinale einer Fußball-Europameisterschaft. Zur Erinnerung: Das Frauen-Team kam 2017 bis ins Halbfinale gegen Dänemark. Österreich holt auf. Erstmals kommentiert eine Frau einige Spiele der um ein Jahr verschobenen Euro 2020 im ORF. Zur Erinnerung: Das ZDF hatte damit schon 2016 in Frankreich begonnen.

Die Reaktionen darauf waren und sind in Deutschland ähnlich wie heute in Österreich. Anna-Theresa Lallitsch erhält via Social Media wütende, manchmal unflätige und auch nicht wiedergebbare Kritik. So ergeht es ihrer Kollegin Claudia Neumann schon seit fünf Jahren. Das ZDF hat einige dieser Hasspostings jetzt veröffentlicht. Und nein, das ist keine Pöbelei, wie sie auch männliche Kollegen trifft. Es handelt sich um zutiefst sexistische Angriffe. Daneben gibt es aber auch vehemente grundsätzliche Verteidigung der Sportjournalistinnen auf Facebook, Twitter & Co.

Diese Polarisierung zeigt, wie sehr weite Teile der Gesellschaft einer Entwicklung nachhinken, die Eliten längst als Normalität begreifen. Der Kampf um Binnen-I und Gender-Sternchen entscheidet sich letztlich im internen Konflikt der Schriftgelehrtenschaft und aufgrund politischer Opportunität. Im Hass auf Kicker-Kommentatorinnen spiegelt sich die Ohnmacht der Unterprivilegierten.

Das birgt ein grundsätzliches Problem: Sachliche, konstruktive Kritik an Sabine Töpperwien, Claudia Neumann, Stephanie Baczyk und anderen Pionierinnen ist kaum möglich, ohne in ein falsches Licht gerückt zu werden. Noch schlimmer ist allerdings Feedback, das sich als vorurteilsfreie professionelle Einschätzung tarnt. Der Tiroler Sportkommentator Othmar Peer schrieb über Anna-Theresa Lallitsch auf Facebook: "Eine Live-Kommentatorin bei einem Fußballspiel ist leider ein Ärgernis für meine Ohren." Warum? "Weil eine Frau nun im Regelfall eine andere, höhere Stimmlage hat." Die Reaktion darauf war so heftig, dass er das Posting rasch gelöscht hat. Die Zeiten ändern sich also doch -auch wenn fraglich bleibt, ob die Socia-Media-Solidarisierung mit Lallitsch typisch für die Bevölkerung ist.

Bei einer repräsentativen Studie in Deutschland gaben 44 Prozent der Befragten an, es sei besser, mit öffentlichen Äußerungen vorsichtig zu sein. Bei einer ähnlichen Marktforschung in Österreich haben 53 Prozent der Aussage zugestimmt: "Das, was ich wirklich denke, behalte ich lieber für mich." Umso mehr Gewicht bekommen die Beiträge von Experten in Diskussionen. Peer ist Sportkommentator. Seine Aussage über "unsere ansonsten attraktiven und kompetenten ORF-Moderatorinnen"(eine beachtliche Einschränkung und Reihenfolge) entlarvt nicht nur ein rückständiges Gesellschafts-und fragwürdiges Frauenbild. Infolge des Profi- Absenders gilt das pure Geschmacksurteil als Expertenanalyse.

Nun ist der Vorteil vergleichsweise tiefer Stimmen öffentlicher Personen vielfach belegt. Sie wirken kompetenter. Das gilt aber für Männer wie Frauen. Von der britischen Ex-Premierministerin Margaret Thatcher ist bekannt, dass sie infolge intensiven Trainings um eine halbe Oktave tiefer als ursprünglich sprach. Das ist exakt der durchschnittliche Unterschied zwischen Männer-und Frauenstimmen -110 bzw. 165 Hertz. Dieses Ergebnis einer umfangreichen Studie der Uni Leipzig hat auch die Fachwelt verblüfft. Zuvor galt die Kluft von einer Oktave als Norm. Noch überraschender ist allerdings die Ursache dieser wundersamen Stimmhöhensenkung: Schon 2013 nannte der Sprechwirkungsforscher Walter Sendlmeier von der TU Berlin die Emanzipation als Ursache. Ähnlich erklärte 2018 sein Kollege Michael Fuchs das Leipziger Studienergebnis: "Frauen sind heutzutage selbstbewusster, beruflich erfolgreich, verdienen mehr Geld. Das zeigt sich in der tieferen Stimme."

Zum Beispiel in jener von Anna-Theresa Lallitsch, deren Pioniertat nicht am unhaltbaren Vorwurf "gepresst und schrill" zu messen ist, sondern aufgrund der fachlichen Leistung. Diesen Vergleich mit den Kollegen hält sie locker aus.