Was hinter der
"Lügenpresse" steckt

Warum wir Menschen kaum noch erreichen und dringend aus unserer Bubble rausmüssen

Immer mehr Menschen fühlen sich von Medien manipuliert und belogen. Wie konnte es zu dieser Vertrauenskrise kommen? Wer sind die Skeptiker? Und warum müssen wir unbedingt versuchen, diese Menschen wieder zu erreichen?

von
Medien - Was hinter der
"Lügenpresse" steckt

Es war Sommer 2015 und weite Teile der österreichischen Bevölkerung surften auf einer Welle von Empathie und Hilfsbereitschaft, als Sandra T. ihr Vertrauen in die klassischen Medien verlor. Sie kann sich sogar noch an den Moment erinnern, in dem sie beschloss: "Jetzt reicht's!" Einige Aktivisten waren nach Budapest gefahren, um dort festsitzende Flüchtlinge mit dem Auto nach Österreich und Deutschland zu bringen. Sandra verstand das nicht. Die Flüchtlinge taten ihr leid, aber sie machten ihr auch Angst. Dass die Medien diese Ängste nicht aufgriffen und "im Gegenteil diese Hobby-Schlepper bejubelten", nahm sie ihnen übel. Für Sandra stand fest: "Die Presse macht Stimmung für Werner Faymanns Asylpolitik. Medien und Politik stecken unter einer Decke. Wir werden manipuliert, bis hin zum Rechtsbruch."

Sandra ist mit ihrer Meinung nicht allein. Das Verhältnis zwischen Zeitungen und ihren Leserinnen und Lesern, dem Fernsehen und seinem Publikum scheint gestört. Die Kritik an etablierten Medien wird nicht nur auf einschlägig rechten Internetseiten lauter. Als der Stratosphärenspringer Felix Baumgartner, der sich inzwischen als geistige Vorhut der FPÖ gibt, vergangenen Sonntag auf Facebook mit den "Mainstream-Medien" abrechnete, diesen "Hofberichterstattern in ihren schlecht gelüfteten Schreibstuben", die vom Publikum ein Ablaufdatum bekommen hätten, gab es dafür innerhalb weniger Stunden mehr als 3000 Likes.

"Wir erleben eine Konjunktur des Kampfbegriffs ,Lügenpresse'", konstatiert der Medienwissenschaftler Fritz Hausjell. Verglichen mit anderen Industriestaaten ist das Vertrauen in heimische Medien sogar besonders gering, wie der aktuelle "Reuters Digital News Report" zeigt. Nur 43 Prozent der Österreicher vertrauen den Nachrichten, und nur 32 Prozent glauben den Journalisten. In puncto Vertrauen liegt Österreich nur auf Platz 15 von 26 abgefragten Ländern. Drei Viertel der Österreicher sind der Meinung, Medien würden politisch oder wirtschaftlich beeinflusst.

Medienkritik ist chic

"Medienkritik ist total anschlussfähig. Dafür bekommt man überall einen Schulterklopfer", sagt der deutsche Medienwissenschaftler John Seidler. Sie zieht sich durch alle Schichten und Klassen. Aber nicht alle kritisieren die Medien aus demselben Grund und mit derselben Intention. Zum einen sind da die ideologisch Getriebenen, die Rechtspopulisten. Die "Lügenpresse" gehört seit jeher zu ihren erklärten Feindbildern, genau wie der Staat, die Systemparteien und die Ausländer. Wenn sich Rechtspopulisten zu vermeintlichen Opfern einer Systempresse stilisieren oder "Lügenpresse, auf die Fresse!" skandieren, geht es ihnen nicht um eine konstruktive Auseinandersetzung mit medialen Inhalten, um Dialog oder Transparenz. Ihr Ziel ist es, die Presse mundtot und die Menschen empfänglich für eigene, alternative Medien zu machen. Plattformen, auf denen das eigene Weltbild unreflektiert und unwidersprochen wiedergegeben werden kann (siehe auch Artikel Seite 30). Wie selektiv die Sorge vor der "Lügenpresse" ist, zeigt die Tatsache, dass auch auf diesen Plattformen Artikel aus etablierten Medien geteilt werden, etwa von krone.at, oe24. at oder heute.at -allerdings nur, solange sie zur eigenen Weltanschauung passen.

Dann gibt es die Medienverdrossenheit in Gestalt von Verschwörungstheorien und Gewaltfantasien, sagt der deutsche Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen. Hier finden sich Radikale wie jener Poster, der Puls-4-Infochefin Corinna Milborn auf der FPÖ-Seite unzensuriert.at ausrichtete, man solle "dieser Entarteten die Gebärmutter ziehen, ausspülen und einem Schutzsuchenden als Trinkschlauch auf die Reise in die Wüste mitgeben". Auch diese Kritiker sind für die klassische Medienwelt vermutlich verloren. Es geht ihnen weder um Annäherung noch um einen konstruktiven Diskurs.

Eine weitere Gruppe sind die faktischen Kritiker, die sich intensiv und analytisch mit Medien auseinandersetzen und deren Kritik an falsch gewählten Filmausschnitten, Symbolfotos, Übertreibungen, Zuspitzungen und Banalisierungen berechtigt ist.

Und schließlich ist da die immer größer werdende Gruppe der Verunsicherten, die sich von den Medien ausgeschlossen und manipuliert fühlen. Sie haben ein massives Misstrauen gegenüber dem journalistischen Handwerk und der Nachrichtenauswahl, sagt Pörksen.

Eine von ihnen ist Sandra T., Ende 20, Maturantin und Finanzangestellte. Sie sagt, die Medien hätten sich zu Sklaven einer politischen Korrektheit und zu Verbündeten einer politisch gesteuerten "Asylindustrie" gemacht. Darüber hätten sie die Ängste und Sorgen der Österreicher vergessen. Sandra lebt in Wiener Neustadt und ist mit einem Serben verheiratet. Sie bezeichnet sich als weltoffen, und sie sei "sicher kein Angsthase". Ein Jahr war sie als Au-pair-Mädchen in New York, dort habe sie sich sicherer gefühlt als heute in Wiener Neustadt. "Aber das wollen die Medien nicht sehen, darüber schreibt keiner." Seit dem Sommer 2015 hat sie das Gefühl, dass in den Medien etwas schiefläuft, dass nur mehr "die armen Ausländer" Gehör fänden. "Wer damals nicht am Westbahnhof in Willkommenstränen ausgebrochen ist, wer nicht zu den 'Bahnhofsklatschern' gehört hat, stand ganz schnell im rechten Eck. Und so ist das bis heute." Warum glaubt sie, dass das so ist? "Vermutlich, weil die Medien Angst haben, dass sie Strache und Co. in die Hände spielen, wenn sie Probleme in Zusammenhang mit Asylwerbern ansprechen." Dass die FPÖ in vielen Medien verteufelt werde, regt Sandra fürchterlich auf. "Eine rechtlich zugelassene Partei immer nur vorführen zu wollen und abzuwerten, das ist wie in Nordkorea", findet sie.

Verständnis für ihre Sorgen fand Sandra auf der Facebook-Seite von Heinz-Christian Strache. Im letzten Jahr klickte sie die zum ersten Mal an und wurde dafür prompt von einigen Bekannten aus deren Facebook-Freundeslisten gestrichen. Anfangs habe sie das irritiert, aber mittlerweile sei es ihr egal. "Dann sollen die Leute doch glauben, was sie wollen. Wenn ich für sie jetzt ein Nazi bin, weil ich Strache gelikt habe, kann ich ihnen auch nicht helfen." Strache selbst, sagt sie, sei ihr ohnehin "irgendwie zu radikal", er sei "ein Hetzer" und man dürfe auch nicht alles auf seiner Seite glauben. Aber immerhin greife er unbequeme Themen auf -hier fühlt sich Sandra mit ihren Ängsten ernst genommen.

Flüchtlinge als Turbo?

War der Sommer 2015 ein Turbo für die Medienskepsis? Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur des deutschen Wochentitels "Die Zeit", meint: Ja. In einem nicht unumstrittenen Beitrag im Politikmagazin "Cicero" schreibt er, dass die Journalisten vor allem in der Anfangszeit nach der Grenzöffnung Anfang September 2015 "geradezu beseelt waren von der historischen Aufgabe, die es nun zu bewältigen galt". Damit sei aber auch die Missachtung der Ängste in der Bevölkerung einhergegangen. "Noch problematischer war die kritiklose Übernahme der Erklärungen einer Bundesregierung, der nun jedes Wort recht war, sich nachträglich etwas schönzureden, was in Wirklichkeit ungeplant passiert war." Auch wenn sich in fast allen Medien heute sehr viel Skepsis über die Vorgänge des vergangenen Jahres wiederfindet, seien die Folgen der medialen Willkommenskultur bis heute zu spüren, glaubt di Lorenzo. "Ohne Not haben wir uns wieder dem Verdacht ausgesetzt, wir würden mit den Mächtigen unter einer Decke stecken, wir würden so uniform berichten, als seien wir gesteuert."

Es wäre freilich zu einfach, die Schuld für die Medienskepsis nur an der Flüchtlingskrise aufzuhängen. Die Vertrauenskrise geht tiefer. Auch beim Ukraine-Konflikt, bei der Einschätzung des russischen Präsidenten Wladimir Putin oder zuletzt beim Freihandelsabkommen Ceta fühlt ein Teil der Leserschaft sich mit seiner Meinung nur unzureichend in den Medien vertreten. Eine Krise der Politik, die sich von Europa bis in die USA zieht, trifft auch die Medien, die diese Politik vermitteln.

Diese Stimmung machen sich Medienkritiker wie Udo Ulfkotte zunutze, die aus der Verunsicherung Kapital schlagen. Auf Einladung des rechten oberösterreichischen Alternativblatts "Wochenblick" war Ulfkotte Mitte Oktober für einen Vortrag zum Thema "Presse geht auch ohne Lügen: Die Wahrheit ist zumutbar" nach Linz gekommen. Etwa 250 Bürger hatten sich für diesen Abend in Schale geworfen und hingen bei einem weißen Spritzer oder einem Glas Bier an den Lippen des ehemaligen Journalisten. Auch er sei als Reporter der renommierten "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" Teil des Systems gewesen: "Ja, ich war korrupt, ich habe mich schmieren lassen", räumt er gleich zu Beginn ein, nur um dann aus dem Vollen zu schöpfen.

Einfache Erklärungen

Geheimdienste würden Redaktionen infiltrieren, Journalisten in einem System aus Privilegien und Verhaberung mit den Eliten leben. Nur wer berichtet, was diese vorgeben, und die Regeln der politischen Korrektheit einhält, kann Karriere machen, behauptet Ulfkotte. Wer Missstände anprangert, werde, wie er selbst, Opfer des Systems. "Früher fanden Hinrichtungen am Marktplatz statt -heute in den Medien", ruft Ulfkotte und der Saal applaudiert. Der umstrittene Verschwörungstheoretiker liefert den Zuhörern, was sie wollen: auf den ersten Blick einleuchtende, aber unüberprüfbare Erklärungen über eine Medienwelt, aus der er bereits vor mehr als 13 Jahren ausschied, die er also kaum noch kennt und in die auch seine Zuhörer keinen Einblick haben.

"Glauben Sie den Leitmedien nicht!", sagt Ulfkotte und empfiehlt ein Abo von "Wochenblick". Nach seinem Auftritt darauf angesprochen, ob er wüsste, welche Geldgeber hinter diesem Medium stecken, meint er nur, er werde bei Gelegenheit nachfragen. Zu diesem Zeitpunkt waren 250 Menschen bereits im Bewusstsein nach Hause gegangen, endlich den Beweis für die manipulierten Medien gehört und eine gute Alternative gefunden zu haben.

Medienskepsis wird von Generation zu Generation weitergegeben. Vor allem bei Jugendlichen aus sozial prekären Verhältnissen ist die Überzeugung, dass "alle Zeitungen, das Fernsehen und sogar das Internet lügen", weitverbreitet, wie eine aktuelle Studie der Stadt Wien über Teenager in Jugendzentren zeigt. "Für mich sind Politik und Medien die größten Terroristen" oder "Ich scheiß auf die Medien, weil die eh nur lügen" sind gängige Aussagen. Wie unreflektiert sie sind, zeigt, dass sie keiner Nachfrage standhalten. Warum und was genau gelogen ist, "diese Fragen lösen bei den Jugendlichen nur Achselzucken aus oder das Eingeständnis, keine Ahnung zu haben", heißt es in der Studie.

Ist die Situation zu retten?

Was können Medien tun, um diese Menschen nicht ihren eigenen Ressentiments zu überlassen? Um sie aus einem algorithmusgetriebenen Paralleluniversum herauszuholen, in dem sie wieder und wieder mit der gleichen, sich selbst bestätigenden Meinung überschwemmt werden?"ZiB 2"-Moderator Armin Wolf sagte unlängst bei den Münchner Medientagen: "Wir müssen dorthin, wo das Publikum ist. Und wenn viele, vor allem junge Menschen, auf Social Media sind, dann müssen wir auch dorthin. Wir müssen Social Media mit Journalismus infiltrieren und in die Echokammern ihrer Abermillionen Nutzer hineinbrüllen oder auch hineinflüstern, dass es da draußen auch noch was anderes gibt als ulkigen Unsinn und paranoide Propaganda."

Das, was wir lesen und hören, wird zu einem Teil unserer Wirklichkeit, sagt der Medienhistoriker Hausjell. Die meisten Menschen kennen die Mechanismen der sozialen Medien nicht. Sie wissen nichts von Algorithmen, den Programmen, die festlegen, was wir in unserer Facebook-Timeline sehen. Sie ahnen oft nicht, dass diese Programme dazu führen, dass wir nur die Inhalte sehen, die unseren Interessen entsprechen. Dass wir in Echokammern geraten, wo wir uns sozusagen nur mehr selber hören. Sie verstehen nicht, warum sie in sozialen Medien Informationen finden, die sie in den klassischen Medien nicht bekommen, und wissen nicht, dass in sozialen Medien Gerüchte und Verschwörungstheorien gleichwertig behandelt werden wie Texte aus seriösen Quellen. Das schürt Misstrauen. Hier ist die Politik gefragt, sagt Hausjell. Medien-und Quellenkritik müssen fixer Bestandteil des Lehrplans sein. Aber auch die Journalisten müssen sich mit Gerüchten im Internet auseinandersetzen. Sie müssen sie auf ihre Substanz überprüfen und die Ängste und Motive erkennen, die hinter Gerüchten liegen, sagt Hausjell. Es geht um den Versuch, die Menschen zu verstehen -auch ohne einverstanden zu sein.

Journalisten müssen sich erklären, sagt der deutsche Medienwissenschaftler Pörksen. Wie das Beispiel der Linzer Zuhörer zeigt, wissen viele nicht, wie Journalisten arbeiten, wie Nachrichten zustande kommen und wie hart um Qualität gerungen wird. Jeder Redakteur muss die Aufklärung über die eigene Branche als notwendigen Zweitjob begreifen. Er muss für Glaubwürdigkeit werben, Urteile begründen und Fehler benennen - auch wenn es wehtut.

Um die Lebenswelt von Menschen wie Sandra T. zu erreichen, braucht es auch eine kluge Personalpolitik, sagt Pörksen und zitiert den "Zeit"-Reporter Stefan Willeke: "Journalisten befinden sich in einer Homogenitätsfalle der urbanen Mittelschicht. Sie sind viel zu oft in denselben bürgerlichen Stadtteilen zu finden, Altbau, hohe Decken, Fischgrätparkett." Es brauche aber heterogene Redaktionen, die die unterschiedlichen Wirklichkeiten abbilden. Mehr Migranten, Nicht-Studierte, mehr Frauen und Menschen mit großen, tiefen biografischen Erfahrungen.

Wenn es Medien nicht gelingt, Zugang zur Lebensrealität von Sandra T. zu finden, wenn Dialog unmöglich wird, dann werden Menschen wie sie der tatsächlichen "Lügenpresse" überlassen. Alternativen Medien, denen Recherche, Faktenchecks und Ausgewogenheit fremd sind, die auf Gerüchte, Emotionen und das Bestätigen von Vorurteilen setzen. Wenn sich diese Medien durchsetzen -dann wird die Welt vermutlich tatsächlich so, wie sie Verschwörungstheoretiker in ihren Horrorszenarien skizzieren.

Kommentare

Lustig.. Mario Barth arbeitet scheinbar an "korrektiven Maßnahmen" zur Verteidigung der angeblichen Lügenpresse..
Wie Ihm das gelingt?
Diffamiere was nicht zu diffamieren ist.. finde genügend Bewunderer.. und präsentiere diese.. eh klar.. medial ;)

Sollten gewisse Medien keine Presseförderung erhalten, dann wären sie morgen Geschichte.

?
http://www.servustv.com/at/Medien/Der-Wegscheider72
;)

Journalisten dürfen die Wahrheit gar nicht schreiben!!! Ebenso ein Maulkorb wie uns Bürgern, denn sonst werden sie entlassen oder angeklagt!!! Trump hat uns aus der Seele gesprochen: Wir wollen alte Währung und Grenzen,aber das Volk wird von den EU Diktatoren nicht gefragt!!!Offene Grenzen - Kriminalität und Unterwanderung ohne Grenzen!!!! Urteile nur lächerlich!

Ivoir

Gilt nicht nur für User; auch die Journalisten und Presse sollten sich ab und zu den Spiegel vorhalten!

http://www.presserat.at/show_content.php?hid=2

https://lupocattivoblog.com/tag/wer-kontrolliert-die-medien/

Alle Medien sind von den Parteien und der Politik beeinflusst, und darum ist auch das Vertrauen so gering.

Markus Heidegger

Also die Bagetellisierungsmedien ins Netz entfleuchen lassen, damit sie dort den Schaden weiter anrichten, den sie die Zeit vor dem Internert quasi monopolisiert hatten?

Warum wohl glaubt man dem Staatspropagandafunker und den ihm angeschlossenen, Presseförderung- und Inseraten-gefütterten Systemmedien nicht mehr?

Nun, die Bürger haben erkannt, es gibt noch eine Welt da draußen. ;-)

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