Love Bombing oder Liebestraum

Christof hat ein Problem. Seine große Liebe, Melanie, erpresse ihn, so sagt er. Es gebe immer öfter Liebesentzug. Genauer gesagt, haben sie seit ihrem zweiten Jahrestag ein gewaltig abgespecktes Liebesleben.

von Dr. Monika Wogrolly © Bild: Matt Observe/News

Bis dahin habe sie ihm jeden Wunsch von den Lippen abgelesen und ihn einfach so zwischendurch auf einer Autofahrt mit einem Blowjob überrascht. Sie sei seine perfekte Traumfrau und ein Inbegriff für Leidenschaft gewesen. Sie habe nicht genug von ihm bekommen, und er habe versucht, alles richtig zu machen, um sein Glück nicht zu verspielen. Und Melanie? Sie habe in diesem etwas anderen "Veni, vidi, vici" buchstäblich im erotischen Nahkampf über ihn gesiegt. Sie sei eine Frohnatur gewesen und habe ihm das Gefühl gegeben, ein großartiger Liebhaber zu sein. Und dann? Längst habe sich das Blatt gewendet. Und pfeife ihm ein rauer Wind um die Ohren. Sie, die ihm jeden noch so extravaganten erotischen Wunsch eigeninitiativ erfüllt habe, Heilige und Hure, Superwoman und sogar Köchin für ihn gewesen sei, sei auf einmal wie ausgewechselt; fordernd, passiv, vorwurfsvoll und schnippisch. "Auf einmal hält sie mir vor, mehr zu verdienen und sie damit als Frau zu demütigen", sagt Christof. "Und dann sagt sie noch, dass ich so erfolgreich sei, nur weil ich ein Mann bin." Er holt tief Luft: "Und manchmal habe ich den Eindruck, dass sie mir grundsätzlich vorwirft, männlichen Geschlechtes und damit privilegiert zu sein." Er befürchtet, aber will noch nicht glauben, dass Melanie ihn mit "Love Bombing" gezielt eingekocht habe.

Ausgeprägte narzisstische Persönlichkeitszüge führen zu dem, was als "Love Bombing" bezeichnet wird. Über einen gewissen Zeitraum hinweg wird der anderen Person vermittelt, die perfekte Wahl zu sein und keine Wünsche offen zu lassen. So auch hier: Alles, was Melanie von sich aus ins Liebesleben einbrachte, ist auf einmal an Bedingungen geknüpft oder sogar gänzlich tabu. Jetzt hat sie Kreuzschmerzen, Herpes und Migräne, Sex ist in weite Ferne gerückt - stattdessen stehen ausgedehnte Shoppingtouren, Wellnessbehandlungen und Beauty-Doc-Besuche für sie an. Und Christof zahlt alles. Typisch für Opfer gespielter Liebe: Sie haben meist unbewusste (und verdrängte) Selbstzweifel, überhaupt liebenswert zu sein, und neigen auch zu übertriebener Fürsorglichkeit ihren Partnerinnen oder Partnern gegenüber. Das betrifft auch nach außen selbstbewusst wirkende Menschen. Mythen bestimmen uns noch immer. So auch jener von einer glücklichen selbstlosen Frau, die sich im Schatten des Mannes wonnig sonnt und damit ihr Auskommen hat, seine Liebesdienerin zu sein. Aufopfernd und hingabefähig, so erschien Christof seine Sexgöttin Melanie. Und auf einmal ist sie lustlos und zickig. In ihrer Paartherapie kommt es zum verbalen Schlagabtausch. "Wie kannst du dich so verändern?" fragt er. "Das wirkt so, als wäre alles nur Show gewesen, um mich abhängig zu machen.""Schau doch selbst, wie du den Macho raushängen lässt!", faucht sie.

Melanie nutzt Christofs Bindung schamlos aus: Sie lässt sich von ihm die Liebe unter Beweis stellen, zweifelt gezielt an ihrer Gleichwertigkeit und setzt ihn mit Liebesentzug unter Druck. Um sie bei Laune und für sich das Bild der Traumfrau zu erhalten, tut Christof alles. Ein Fehler wäre für von Allmachtfantasien und Selbstüberschätzung geprägte Persönlichkeiten wie Christof ein Kontrollverlust. Oder auch der Verlust seiner Hoffnung, Melanie könne mit ein bisschen Mühe wieder in ihre frühere Topform kommen. Und alles werde wieder gut.

Warum kämpfen Opfer von malignen Narzissten so um die Aufrechterhaltung ihres Trugbildes vom vollkommen Glück? Christof ist als Unternehmer an Druck gewöhnt. Er kann sich aber eins nur schwer verzeihen: die falsche Wahl getroffen zu haben. Daher investieren Menschen wie er zumeist so lang in eine Person, die ihnen nicht gut tut, bis der Leidensdruck groß genug ist, um sich -zwar unfreiwillig, aber dann schließlich hoffentlich doch -zu lösen. Das wird dann oft als persönliche Niederlage verbucht. Ist es aber nicht. Denn warum sollten Sie nicht weiterhin daran glauben, eines Tages der wahren Liebe zu begegnen?