Warum uns der Berg ruft

Warum die unermüdliche Jagd nach dem ultimativen Gipfel uns ins Seelentief stürzt und wie wir aus den Abgründen der Selbstoptimierung wieder herausfinden, erfahren Sie auf einer therapeutischen Seilbahnfahrt.

Liebes Leben - Warum uns der Berg ruft © Bild: Nathan Murrell

Peter kam in meine Praxis, weil er an Höhenschwindel litt. "Ich war früher viel in den Bergen", sagte er. Auf einmal gehe nichts mehr. Viele reitet das unsichtbare Gespenst einer Erschöpfungsdepression schon lang, bis es sich in Symptomen als Ausdruck chronischer Belastung zeigt. Fragen Sie sich auch schon, was Sie falsch machen, wo Sie doch immer nur Ihr Bestes geben. Und machen und tun? Sind Sie "zu gut für diese Welt"? Fragen wie diese stellen sich vor allem Menschen mit einem großen Leistungsanspruch an sich selbst, wenn sie plötzlich einknicken. Peter hielt sich für so einen Fall eines Tausendsassas, dessen Kapazitäten dahinschmolzen. Daher gab er in der Talsohle der Depression seine Verantwortung für alles und jedes zwar mit Skepsis, aber schließlich doch ab. Und folgte mir in einer XXL-Therapiesitzung auf einen Tagesausflug auf den Dachsteingletscher. Zugegeben, alpine Regionen sind nicht jedermanns Sache. Aber wenn ich Ihnen verspreche, dass Sie wie Peter Fortschritte machen, wenn Sie Ihre Komfortzone verlassen, dann werden Sie sich trauen. Es geht nicht um Spitzenleistungen im Job, sondern um andere Höhepunkte, um Seelennahrung. Wir lösten auf rund 1.700 Höhenmetern in der Talstation die Tickets. Und es ging mit der Seilbahn steil bergauf. Schon nach sechs Minuten angenehmer Bergfahrt war Peter am Gipfel der Gefühle. Und das, obwohl es neblig war.

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Was passiert? Schon während der Fahrt auf fast dreitausend Höhenmeter verändert sich die Atmung. Und ohne es zu beabsichtigen, entschleunigt die mittlere Höhenlage zwischen 1.500 und 2.500 Höhenmetern die meisten Menschen. Vor allem jene, die am Limit sind. Planaibahnen-Chef Georg Bliem kennt die Wirkung der mittleren Höhenlage: "Ein Gipfel wie der Dachstein mit seinen fast 3.000 Metern stellte schon immer ein erstrebenswertes Ziel für den Menschen dar. Man hat sofort das Gefühl, frei aufatmen zu können und Erholung und Ruhe zu finden. Medizinische Studien haben gezeigt, dass die Höhenluft mit ihrer Hypoxie, also geringerem Sauerstoffgehalt, tatsächlich enorme positive Auswirkungen auf Körper und Geist hat." Zu Peters Erstaunen fühlte er die Kraft des Berges sogar an einem wolkenverhangenen Tag, auch ohne vom Skywalk das Alpinpanorama zu sehen. Schon in der griechischen Antike wurde beim Nachdenken das Gehen gegenüber dem Stillsitzen bevorzugt. Der Berg ruft! Natürliche Ressourcen werden entfesselt, der Kopf wird frei. Im Eispalast, der über eine Hängebrücke sicher, aber die Adrenalinausschüttung ankurbelnd erreichbar ist, ist Peter sprachlos vor Glück. Und ganz nebenbei bedeutet ein längerer Aufenthalt in der Höhe nicht nur, dass der Kreislauf in Schwung kommt, sondern wirkt wie ein natürliches Doping, wenn sich die roten Blutkörperchen vermehren.

Alpinmediziner kennen schon lang die positiven Auswirkungen der mittleren Höhenlage auf Körper und Psyche. Und Peter? Ist ohne Witz nach einem Besuch des Gletschers seine Schwindelgefühle los. Sie hatten sich bei ihm nicht auf die Höhe bezogen, sondern waren Nebenprodukte seiner chronischen Überarbeitung, ein Aufschrei des Organismus, dass die Work-Life-Balance in Schieflage war. Indem Sie im Alltag fortan bewusst kreative Erlebnisspitzen setzen, anstatt stereotyp zu funktionieren, tankt Ihre Seele auf. Und Sie sind auf einem Umweg auch wieder leistungsfähiger. Aber eben nicht wie ein Roboter, sondern wie frisch verliebt ins Leben.

Prof. Mag. Dr. Monika D. Wogrolly, Philosophin und Psychotherapeutin
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