Warum will sie nur gehalten werden?

Sarah richtet an ihren Mann einen großen, bislang unerfüllten Wunsch. „Ich sehne mich danach, dass du mich einfach nur hältst“, sagt sie in ihrer Paartherapie.

von Liebes-Leben - Warum will sie nur gehalten werden? © Bild: Nathan Murrell

Aber was passt Sarah denn nicht daran, dass Thomas sie nach zwanzig Jahren Ehe immer noch begehrt und bei Körperkontakt mit ihr schnell erregt ist? Ist sie eine verwöhnte, frustrierte Zicke, der man es schlicht nicht recht machen kann?

Bevor Sie sich jetzt in Fantasien über Wechseljahre, atrophierte Schleimhaut und verlorenes Verlangen verrennen, wenden wir uns der Wahrheit über die Liebe in einer Paarbeziehung zu. Die, sagen wir ruhig ein bisschen provokant, gängige Paarbeziehung läuft grundsätzlich im Vorspielmodus. Soll heißen, wenn Thomas Sarah im Arm hält, ist das ganz klar und irrtumssicher das Vorspiel zum Sex. Sarah erschaudert schon beim bloßen Gedanken. Denn dieses Gehaltenwerden ist wie eine Einbahnstraße. A Way of no Return: Ihr Mann werde immer, ja ausnahmslos immer scharf bei Körperkontakt mit ihr, sagt Sarah. Was für ihn ein Inbegriff seiner ungebrochenen Libido und Mannesstärke ist, fällt ihr nicht immer, aber immer öfter einfach nur zur Last. Nie kriegt er die Kurve, bloß zu kuscheln und sie einfach nur zu halten, beklagen sich viele Frauen in meiner Praxis, während deren Männer in der Paartherapie nur noch Bahnhof verstehen.

„Wir haben doch immer noch guten Sex“, wendet er ein. „Ich begehre dich! Was hast du mir vorzuwerfen?“ Und ganz wie das schwarze Zeichentrick-Küken Calimero der Siebzigerjahre beklagt Thomas die zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit der Welt. Er fühlt sich von seiner Frau angeklagt und missverstanden. Was erwartet Sarah bloß von ihm? Ist das ihr Ernst? Begibt sie sich am Ende deshalb mit ihm in Therapie, um ihn dazu zu bringen, einmal keine Erektion zu bekommen, wenn er sie – wie sagte man am besten dazu? – anfasst, sie liebevoll im Arm hält. „Du sollst mich nur halten, als wäre dir das genug! Mit deinem ewigen Begehren machst mich zum Lustobjekt!“, faucht Sarah. Und sie will, sie will wirklich nur das Eine: Dass Thomas sie ganz ohne Vorspielcharakter unaufgeregt im Arm halten soll. Und nicht immer nur gleich mit ihr ratzfatz alles machen, heißen Sex haben wollen.

„Holding“ ist als Begriff in der Psychologie bekannt für das vollkommen asexuelle Halten, so wie ein fürsorglicher Elternteil ein Kind hält. Halten gibt Schutz und Geborgenheit. Nicht alle Psychotherapie-Richtungen erlauben Körperkontakt. Aber manchmal tut es einfach nur gut, wenn schon nicht vom eigenen Liebespartner, so immerhin vom einfühlsamen Seelenklempner ohne erotischen Erwartungsdruck gehalten zu werden. Es gibt tatsächlich schon bezahlte – und absolut unverbindliche – Kuschelangebote im Internet, garantiert ohne jedes Nachspiel!

Bevor es so weit kommt, Ihr Kuschelbedürfnis mit Fremden zu befriedigen, kommt jetzt die Crux an dieser Sache: Genau das suchen Menschen, insbesondere Frauen wie Sarah. Nicht nur, aber auch. Und, nein, das heißt nicht, dass das Verlangen brachliegt. Das bedeutet auch nicht, dass Sarah frigide und dauerhaft regressiv ist, also in einen früheren Entwicklungsstatus, hier wohl eines Babys, zurückkehrt. Nein, nein und nochmal nein. Das heißt aber wohl, dass es manchmal den Mut zur Einfachheit braucht. Nach der Devise „Weniger ist mehr“ kann Thomas Sarah ruhig mal das Gefühl geben, dass Gehaltenwerden mehr als genug ist. Die Liebe wird sich dank des Kuschelhormons Oxytocin umso stiller, aber nachhaltig entfalten.

Thomas kann seiner Frau diesen Wunsch erfüllen, auch wenn er nicht versteht, was ihr das bedeutet. Er muss auch nicht alles verstehen. Es reicht, zu respektieren, dass nicht immer alles gleich sein muss. Und dass es nicht Verrat oder Distanz bedeutet, wenn man scheinbar auf halber Strecke Halt macht. Sondern Aufbruch zu neuen Wegen. Vertrauen.

Prof. Mag. Dr. Monika D. Wogrolly, Philosophin und Psychotherapeutin
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