Wann fängt Fremdgehen an?

Beginnt Untreue schon im Kopf? Oder sind die Gedanken frei, Hauptsache, der andere merkt nichts davon? Hannes und Margit stellen sich in meiner Praxis diesen Fragen

von Liebes Leben - Wann fängt Fremdgehen an? © Bild: Getty Images/PhotoAlto

Schon die Philosophen der griechischen Antike wussten, wie wichtig es ist, Fragen zu stellen. Ohne sofort die Lösung parat zu haben, die eine "einzig richtige Antwort". Mit solchem Unbehagen begeben sich Hannes und Margit zu mir. Es habe sie viel Überwindung gekostet, eine Paartherapie zu beginnen. Fast beschämt blicken beide zu Boden und unterliegen drei Irrtümern der Liebe: Erstens, dass es ein Armutszeugnis für die Liebe sei, eine Paartherapie zu machen. Zweitens, dass es um die Liebe geschehen sei, wenn man sich Hilfe von außen hole. Drittens, dass das Ende nahen müsse, nachdem die körperliche Anziehung deutlich, sagen beide, nachgelassen habe. Und das nach 20 Jahren nicht nur Ehe, sondern Loyalität, Krisenbewältigung und gemeinsamer Lebensplanung. Bei diesem Paar herrscht viel moralischer Druck. Sie sind überzeugt, niemand anderen interessant oder gar erotisch anziehend finden zu dürfen, denn Fremdgehen beginnt bei ihnen schon dann, wenn einer von ihnen mehr an eine dritte Person denkt als an den Partner oder die Partnerin. Einspruch!

Auch wenn Sie noch so überzeugt sind, den Deckel für Ihren Topf der Bedürfnisse gefunden zu haben: Das Liebesleben unterliegt dem Gesetz der Wandlung. Es handelt sich dabei um keine starre Größe, die konstant gleich wirkt und unumstößlich ist. Manche Beziehung hat tatsächlich ein Ablaufdatum, wenn, ja wenn das Vertrauen verloren geht. Denn Fremdgehen und Untreue ist es dann, wenn eine Person A eine Person B zum - sagen wir einmal sehr plakativ - Affen macht. Für dumm verkauft, hintergeht. Margit sagt im Einzelgespräch, während ihr Mann eine Runde vor meiner Praxis dreht, zwischendurch immer wieder mal von anderen Männern tagzuträumen, nach dem Motto: "Gegessen wird aber zu Hause." Sie habe ein schlechtes Gewissen erst, seit sie nur noch an ihren Tennislehrer denke, vor allem beim Geschlechtsverkehr mit ihrem Mann, welchen sie wiederum als eheliche Pflicht betrachte. Ist das Untreue oder sind das harmlose Fantasien?

Im Einzelgespräch mit Hannes kommt heraus, dass ihn dasselbe Thema plagt. Er flirtet mit einer Kollegin fremd, an die er auch in Gegenwart seiner Frau wollüstig denkt. Die Lösung? Kann vielerlei sein. Und liegt in erster Linie im Dialog. Mal ehrlich: Das Paar kennt sich lang genug, um nicht gleich in Panik zu geraten. Und allfällige Turbulenzen wie auf einem Langstreckenflug statt als Absturz als vorübergehende Erschütterung (wie ein Luftloch) zu betrachten. In so einem Fall ist wichtig: Besinnen Sie sich auf Sokrates, der Fragen stellt, um mit der Kunst einer Hebamme, der Mäeutik, Beruhigung und Befreiung von inneren Konflikten zu erzielen. Und erwarten nicht gleich die eine und alleinig gültige Lösung. Bleiben Sie auch während Turbulenzen miteinander in Kontakt, anstatt sofort den Weltuntergang heraufzubeschwören. Gedanken sind frei. Und weder Margit noch Hannes müssen den Verlockungen nachgeben und die Beziehung zu Dritten forcieren. Manchmal unterstreicht Verzicht die Liebe in einem kostbaren Wert: in der Beständigkeit und im Vertrauen, dass wir, komme was wolle, unsere Boeing der Liebe nicht abstürzen lassen sondern sie sicher auf unsere Trauminsel navigieren. Wo wir dann neu bei einander landen. Das Liebesleben braucht immer wieder so etwas wie eine Revision. Gerade Untreue-Gedanken können das signalisieren. Und besser, bevor der Zahn fault, zum Zahnarzt gehen, und bevor die Liebe wackelt, präventiv eine Paartherapie aufsuchen.

Es gibt noch eine ganz andere Antwort auf Hannes' und Margits Problemstellung: Die Möglichkeit, die Beziehung, aber bitte nur einvernehmlich, zu öffnen und sich vorübergehend erotische Außenbeziehungen mit dem Tennislehrer oder der Kollegin zu erlauben. Zu schauen, was das mit ihrem Liebesleben macht. Denn Fremdgehen ist es dann, wenn man den geliebten Menschen davon ausschließt und mit einer anderen Person geheime Sache macht.

Prof. Mag. Dr. Monika D. Wogrolly, Philosophin und Psychotherapeutin
Haben Sie noch Fragen? Schreiben Sie mir bitte: praxis@wogrollymonika.at