Die Qual der Wahl in der Liebe

Alina ist blind vor Liebe. Den Heiratsantrag ihres Freundes nimmt sie freudestrahlend an. Der Haken daran? Die gute Frau lebt mit einem anderen Mann zusammen.

von Dr. Monika Wogrolly © Bild: Matt Observe/News

Aber es kommt noch komplizierter. In ihre Psychotherapie bringt Alina ihre "Therapiehausaufgabe" mit. Eine Checklist, was sie mit Patrick und was sie mit Peter zusammenschweißt. Ihre Liebe zu den beiden Männern ist grundverschieden. Während sie den viel älteren Peter schon früh kennenlernte und sich Hals über Kopf in ihren damaligen Klavierlehrer verliebte, der zunächst noch verheiratet gewesen war, begegnete ihr Patrick erst vor zwei Jahren. Der Peruaner erlernte bald nicht nur die deutsche Grammatik bei ihr. Die sexuelle Leidenschaft mit Patrick sei beglückend. Das Liebesleben werde sogar von Mal zu Mal noch intensiver. Alina ist im Zwiespalt: Mit Peter verbinden sie ihr gemeinsames Zuhause und Zukunftspläne: Die Aussicht, das traditionelle Familienleben zu haben, das sie sich immer schon vorstellte.

Alinas Dilemma: Ihr Liebe zum vormaligen Klavierlehrer sei eher wie zu einer Geborgenheit spendenden Vaterfigur. Patricks durchtrainierter Körper sei absolut sexy, da halte Peter mit fast Mitte fünfzig nicht mit, den sie zwar unendlich lieben, aber eher "intellektuell begehren" würde. Mit Patrick sei es die sexuelle Erfüllung. Als sie aber in Peters Abwesenheit eine Woche auf Probe mit ihm zusammenwohnte, wurde er ihr auch schon "zu viel". Auch sei die Sprachbarriere spürbar geworden, während sie mit Peter viel tiefsinniger reden könne und seine bloße Präsenz als Bereicherung empfinde. Am liebsten hätte Alina die beiden Männer in einer Superman-Variante verquickt. Zugleich fühlt sie sich moralisch schuldig: Warum nahm sie von Patrick den Verlobungsring an, während sie zur selben Zeit Peter zuliebe die Pille absetzte, um das gemeinsame Wunschkind zu bekommen? "Keine Ahnung", gesteht Alina. Sie bringe es nicht übers Herz, einen der beiden zu enttäuschen.

Was tun? Ein doppelgleisiges Liebesleben wird als durchaus zeitgemäße Liebesform der Polyamorie bezeichnet. Mit dem Begriff meint man die gleichwertige Liebe zu mehr als einem Menschen und zwar -und darauf kommt es an - in Form einer vollwertigen Liebesbeziehung. Zu zwei oder mehr Partnerinnen oder Partnern pflegen polyamore Personen gleichrangige emotionale Beziehungen. So weit, so gut. Und jetzt die weniger gute Nachricht: Alinas konservative Eltern würden so eine Beziehungsform verurteilen. Und Alina? Hat sich noch nicht von alten Prägungen befreit und will es allen recht machen. Sie setzt ihr aufwendiges Doppelleben fort. Auf ihrer Prioritätenliste ganz oben stehen die Werte, die für sie am wichtigsten sind: Ein schönes Zuhause und Familie. Ihre Gefühle folgen dem "Murmeltierprinzip": Kaum zum Vorschein gekommen, sind sie schon wieder verschwunden. Für hochambivalente Menschen, die mehrere Liebesbühnen bespielen, bieten sich grob folgende Wege an:

Das organisatorisch aufwendige Doppelleben fortzusetzen, alle Beteiligten auf Erfüllung hoffen zu lassen und irgendwann einem oder allen "was zu pfeifen".(Alina überlegt allein abzuhauen, in Kanada neu zu starten.)

Radikale Konfrontation aller Beteiligten mit der Realität, in der Hoffnung auf Trennung oder die Übereinkunft, polyamor zu leben - wenn die beiden einander kennen und akzeptieren würden.

Alina lebt nicht "polyamor", denn dann würden die geliebten Männer voneinander wissen. Aus Angst vor dem Erwachsensein, das mit jeder Entscheidung einherginge, scheuen sich viele Playerinnen der Liebe noch vor Verantwortung. Eine Entscheidung würde nach sich ziehen, sich offiziell zu einer Lebens- und Liebesform zu bekennen und die Heimlichtuerei aufzugeben. Das Schlimme daran ist nicht allein, was Menschen wie Alina mit anderen anstellen. Sondern eher, worum sie sich selbst bringen. Um das Liebesleben, das sie verdient haben. Wenn sie das auch so sehen könnten, wäre auf einmal vieles klarer.