"Mitarbeiter sind nicht
nur Mittel zum Zweck"

Schwäche und Emotionen haben im Jobleben nichts zu suchen. Sagen Männer. Stimmt nicht, sagt die Unternehmerin Naomi Ryland, die weniger auf Ellenbogen, dafür auf Beziehungen setzt.

von Karriere - "Mitarbeiter sind nicht
nur Mittel zum Zweck" © Bild: Lena Scherer Fotografie

Frau Ryland, Sie haben gemeinsam mit Lisa Jaspers ein Buch über weibliche Unternehmenskultur geschrieben. Warum ist es Ihnen wichtig, eine Revolution in der Arbeitswelt anzuzetteln?
Wir haben einfach in unserem eigenem Unternehmen gemerkt, dass wir selber in diesem System gefangen waren. Dass wir uns viel verstellen mussten, um voranzukommen. Dass wir Ratschläge bekommen haben, die sich nicht gut angefühlt haben. Dass es viel Ungleichheit gibt, Spaltung da ist und Business as usual gar nicht so sinnvoll ist. Deswegen die Revolution. Wir brauchen in der Arbeitswelt ganz andere Denkanstöße. Aber von wem stammen die meisten Businessratgeber? Das ist eine sehr homogene Gruppe. Unter den top 50 der Businessbücher bei Amazon gibt es nur fünf Autorinnen. Da sieht man, wie die Perspektive ist. Egal, was man als Frau macht. Egal, wie sehr man versucht, sich anzupassen - man kommt trotzdem nicht als Unternehmerin an das Geld oder im Unternehmen an die Macht. Das System läuft für alle nicht gut. Also ändern wir es.

Das aktuelle System läuft vor allem nach bekannten Spielregeln, nämlich männlichen Spielregeln. Erfolgreich ist, wer keine Schwäche zeigt, mit seinen Leistungen auf den Putz haut, bestimmt und gerne auch aggressiv auftritt. Die Unternehmerinnen in ihrem Buch praktizieren genau das Gegenteil. Was kann man sich von ihnen abschauen?
Wir wollen keine Tipps geben, was man machen soll. Das sehen wir ja ständig: Man muss es so machen, oder es ist falsch. Die Frauen, die wir im Buch porträtieren, kennen sich selbst sehr gut. Sie haben verstanden, was Erfolg für sie bedeutet. Was sie brauchen, um gut zu sein. Aber auch, was ihre Mitarbeiter brauchen. Sie haben gelernt, sich nicht zu sehr von externen Dingen beeinflussen zu lassen. Es geht viel um Selbstführung. Das ist der Grundstein unserer Revolution.

Diese Unternehmerinnen betonen immer wieder, dass es wichtig ist, sich selbst zu kennen und schätzen zu lernen. Was braucht es, um selbst wirkmächtiger zu werden?
Coaching und Therapie beispielsweise. Darüber reden diese Unternehmerinnen ganz offen. Ich muss verstehen: Was sind Gewohnheiten oder kulturell bedingte Vorgehensweisen, die ich irgendwann gelernt habe, die aber am Ende nur darauf aufbauen, dass wir alle wie Roboter funktionieren sollen? Was sind umgekehrt gesunde, menschenzentrierte Verhaltensweisen, wo ich nicht das Gefühl haben muss: Ich gehe zur Arbeit und bin eine ganz andere Person, und ich gehe nach Hause, und hier lebe ich dann mein eigentliches Ich. Es geht darum, sich nicht zu verstellen oder für den Job eine professionelle Identität aufzuziehen. Es geht darum, Mitarbeiter nicht anders zu behandeln, als man sie im privaten Kontext behandeln würde. Es geht darum, zu hinterfragen: Muss ich eine Distanz zu meinen Mitarbeitern aufbauen, weil das überall so praktiziert wird? Fühlt sich das gut an, oder sind nicht andere Wege sinnvoller?

Sie sagen, Menschen sind das Wichtigste, das man als Chefin hat. Und: Ein Unternehmen mit einer guten Arbeitskultur ist menschenzentriert. Was heißt das in der Praxis?
Mitarbeiter sind nicht Mittel zum Zweck, sondern du begegnest denen als Menschen. Und du zeigst dich denen auch als Mensch. Du zeigst dich mit deinen Stärken und Schwächen. Du gibst zu, wenn du Fehler machst oder etwas nicht weißt. Und damit erlaubst du deinen Mitarbeitern, das Gleiche zu tun. Das alles führt auch zu einer psychologischen Sicherheit am Arbeitsplatz: Mitarbeiter können sich äußern, sie werden viel offener und trauen sich mehr. Sie bringen sich ein und halten Ideen nicht zurück, weil sie Angst vor Konsequenzen haben. Feedback geben ist dabei ein wichtiger Aspekt. Auf der einen Seite muss man Wertschätzung zeigen und auf der anderen Seite die Möglichkeiten geben, Dinge anzusprechen und zu sagen, wenn sich etwas nicht gut anfühlt - auch zwischenmenschlich. Chefinnen und natürlich auch Chefs müssen lernen, gutes Feedback zu geben. Nur so können sich beide Seiten weiterentwickeln.

Eine Arbeitskultur, in der sich alle wohlfühlen, wird oft als "nice to have" dargestellt. Als wirklich relevant für den Unternehmenserfolg wird die Stimmung im Team meist nicht gesehen. Warum ist das so?
Ja, das ist die gängige Meinung. Wir glauben, dass es wesentlich ist. Wir wissen aus Studien, dass die Menschen kündigen, weil sie nicht glücklich sind, weil sie sich nicht wertgeschätzt fühlen, weil sie das Gefühl haben, dass sie sich nicht weiterentwickeln können. Wenn man auf diese ganzen Sachen achten würde, wenn die Menschen die Möglichkeiten hätten, das vorher anzusprechen, würde es dazu oft nicht kommen. Glücklich und erfüllt seinen Job zu machen -das klingt so utopisch. Aber warum eigentlich? Wir verbringen alle so viel Zeit im Job

Trotzdem haben Sie sich als Chefin anfangs auch geplagt. Sie sind ehrlich und schreiben: "Obwohl wir nette Chefinnen waren, hatten wir es irgendwie geschafft, die Arbeitsatmosphäre zu vergiften und dadurch auch unseren eigenen Alltag unangenehm und belastend zu machen." Was ist schief gelaufen?
Nette Chefs vermeiden häufig Konflikte, haben Schwierigkeiten, klare Grenzen zu setzen, oder scheuen sich davor, Macht auf eine gesunde Art und Weise nutzen. Das waren Fallen, in die wir getappt sind. Unsicherheit spielt dabei auch eine große Rolle. Irgendwann realisiert man, dass das so nicht geht.

Die Protagonistinnen im Buch zeichnet Gelassenheit, Bescheidenheit, Nachdenklichkeit und jede Menge Offenheit, mit der über Schwierigkeiten gesprochen wird, aus. Gefühlen wie Angst, Zweifel und Schwäche geben sie in ihrem Arbeitsumfeld viel Raum. Läuft man nicht Gefahr, in einer von Alphamännern dominierten Welt als gefühlsduselig abgestempelt zu werden?
Es wird zumindest so ausgelegt, dass solche Eigenschaften nicht richtig sind. Aber etliche Studien zeigen, dass Empathie oder Schwäche zeigen Führungsqualitäten sind, die von Mitarbeitern am meisten geschätzt werden. Das sehen wir ja auch in der Corona-Krise, wo weibliche Regierungschefs durch ihren anderen Führungsstil besser durch die Krise gekommen sind. Wir wissen auch, dass gemischte Führungsteams die besseren Team sind. Ich glaube, wir Frauen eröffnen damit auch vielen Männern die Möglichkeit, anders zu sein. Viele von denen fühlen sich auch nicht wohl in dieser Arbeitswelt. Aber weil sie aufsteigen, indem sie sich anders verhalten als viele Frauen, ist der Raum für Veränderungen derzeit noch wenig da. Das ist auch eine Generationenfrage. Ältere Männer sind da ein bisschen schwieriger, die wollen nicht verstehen, warum es auch wichtig ist, Gefühle zu zeigen. Diese älteren Männer sind aber gerade oben an der Macht. Viele Frauen in der Konzernwelt steigen aus, wenn sie es geschafft haben und angekommen sind, eben weil die Kultur da oben noch so ist, wie sie ist. Irgendwann können sich das Konzerne nicht mehr leisten. Die jüngere Generation von Führungskräften will anders arbeiten. Wir müssen Geduld mitbringen. Viele Jobs werden Maschinen übernehmen. Was Roboter aber nicht ersetzen können, ist die soziale Kompetenzen, die kreative Kompetenz. Das Beste, was man machen kann, ist, bei sich, bei seinen Kindern diese Kompetenzen zu stärken. Alles andere machen irgendwann Roboter. Wenn man sich umschaut: Viele sehnen sich nach Jobs mit Sinn. Die Leute wollen etwas bewirken, wollen Wertschätzung. Dafür sind sie bereit, Gehaltseinbußen hinzunehmen. Das ist nicht nur ein Trend. Das ist schon eine Transformation.

Der erste Schritt für Chefinnen, die die Revolution mitgehen wollen, wäre also die Trennung zwischen "Arbeits-Ich" und "Privat-Ich"?
Ja. Und diesen Prozess sollte man auch gleich bei den Mitarbeitern unterstützen. Sie ermutigen, Verantwortung zu übernehmen, Entscheidungen zu treffen, Zweifel zu zeigen. Ihnen Sicherheit geben, mutig zu sein. Dafür braucht es wechselseitige Feedback-Prozesse: Was ist gut gelaufen, was hätte besser laufen können? Und nicht: Du hast dieses und jenes , sondern: "Ich habe das Gefühl, dass " oder "Bei mir ist angekommen, dass ", "Ich habe beobachtet, dass " Es geht um das Zuhören und um das Verstehen, dass das die Perspektive der anderen Person ist. Bei solchen Feedbackprozessen merkt man auch, wie viel man gemeinsam hat. Und man merkt, wie man als Person rüberkommt oder was das Gegenüber in sich reingefressen hat.

Eine Beziehung baut man auch auf, indem man fragt, wie das Wochenende war und ob es den Kindern gut geht, lese ich in Ihrem Buch. Wie wichtig ist dieses "kümmern"?
Menschenzentriert arbeiten heißt auch, dass man den Mitarbeiter als ganze Person sieht. Dass es einem nicht egal ist, was diese Person beschäftigt. Nicht nur, weil es die Arbeit auf irgendeine Weise betrifft, sondern weil die Person nicht nur eine arbeitende Person ist, sondern ein Mensch. Menschen verstehen und Menschen besser kennenzulernen, ist nie schlecht. Die Person fühlt sich mehr gesehen, mehr wertgeschätzt -und ist im Zweifel produktiver.

Zu nett zu sein, ist aber auch schlecht, oder?
Es muss authentisch sein. Es geht nicht darum, nur nett zu sein. Und es darf nicht oberflächlich sein. Das wäre das Schlimmste. Das erkennen die Menschen. Dieser Prozess fängt schon beim Recruiting an: Kann ich mir vorstellen, jeden Tag mit dieser Person zusammenzuarbeiten? Was inspiriert mich an dieser Person? Was kann ich von ihr lernen?

Umgekehrt sollten Chefinnen nicht darauf warten, dass die Mitarbeiter fragen, wie es einem geht, oder ständig sagen, dass man den Job gut macht. Sie warnen davor, sich von dieser Art der Wertschätzung abhängig zu machen.
Das liegt am Machtverhältnis, das es ja trotzdem gibt. Als Chef ist es wichtig, dass man ein gesundes Selbstbewusstsein hat und seine Sicherheit, Bestätigung und Wertschätzung nicht aus den Mitarbeitern zieht. Aber wenn man mit einem guten Beispiel vorangeht, eine wertschätzende Kultur schafft, kann man davon ausgehen, dass irgendwann auch Wertschätzung von den Mitarbeitern kommt. Sich aber davon abhängig zu machen, kann gefährlich sein.

Dürfen Männer eigentlich auch Ihr Buch zur Hand nehmen und sich etwas abschauen?
Das Buch ist zwar von Frauen für Frauen geschrieben, aber es für alle gedacht. Wir wissen, dass viele Männer sich in diesem System nicht wohlfühlen, aber eben wenige andere Vorbilder haben. Das ist eine Einladung an die männlichen Führungskräfte da draußen, sich des Ganzen anzunehmen. Oder es zumindest einmal auszuprobieren, wie es anders gehen könnte.

Dieses Interview ist ursprünglich in der Printausgabe 43/2020 erschienen.