Warum verliebe ich mich in völlig Fremde?

Sommer, Sonne, Sand und Meer. Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum es zu einer Urlaubsliebe kommt? Und warum viele scheinbar perfekten Lieben im Alltag baden gehen?

von Liebes Leben - Warum verliebe ich mich in völlig Fremde? © Bild: Nathan Murrell

Stellen Sie sich vor, Sie sind an einem wunderbaren Ort. An Ihrer Traumdestination. Und? Haben Sie schon ein Bild vor Augen? Weiße Sandstrände und den Blick aufs Hausriff oder eher eine Seenlandschaft oder gar sattgrüne Almwiesen? Im Urlaub fühlen wir uns wie neugeboren, unbeschwert, frei, jung und sind bereit, zu flirten. Das Fremde, das Exotische, das Mysteriöse anderer Kulturen ist anziehend. Wir sind dann wieder wie kleine Kinder, wenn wir uns mit Blicken und einem Lächeln verständigen. Das Wichtigste daran: Wir sind aus dem Hamsterrad und der Stress-Spirale unserer Wert-durch-Leistung-Gesellschaft endlich einmal ausgestiegen.

Und dann kommt eine Person, der Traumtyp, zur rechten Zeit in unser Leben und verkörpert genau das, was wir immer schon gesucht, aber nie gefunden haben. Zu wenig Zeit für Gefühle! Egal, ob im Urlaub, im Internet oder im Alltag, haben Sie sich schon einmal gefragt, wie es dazu kommt, sich in völlig Fremde zu verlieben? Die Psychoanalyse bezeichnet als Übertragungsphänomen, wenn wir in bislang unbekannten Menschen von jetzt auf gleich Vertrautes entdecken. Wir erkennen in Fremden Wesenszüge und Charaktermerkmale, aber auch physiognomische Spuren wie einen ähnlichen Körperbau, die gleichen Gesichtszüge, vertraute Bewegungsmuster oder Übereinstimmungen in der Stimmfarbe und Wortwahl mit ursprünglichen Bezugspersonen, sehr oft den Eltern. Das geschieht aber vollkommen unbewusst und liegt nicht in unserer Absicht. So geraten Sie immer an "denselben Typ Mensch", in jeder neuen Lebensabschnittspartnerschaft folgen wir wieder unserem unbewussten Beziehungsmuster: Auf der Suche nach dem Vertrauten im Fremden unterliegen wir dem Wiederholungszwang. Selbst wenn wir auswandern und den Kontinent wechseln, unser inneres Beuteschema wirkt wie eine Programmierung bei der Partnerwahl.

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Hier geht es weniger um optische Merkmale und vielmehr um die Neuauflage von eingefleischten Glaubenssätzen, wie ein Partner oder eine Partnerin zu sein hat. Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus meiner Praxis: Dirk ist von Kindheit daran gewöhnt, in einer Schar von Geschwistern unterzugehen, um sein Gesehen-Werden zu kämpfen. Er sucht Bindung. Seit er drei Wochen in Stockholm war, träumt er nur noch von seiner Romanze mit Lina. Und sie? Ist indessen längst zu Olaf gewechselt. Sie hat Bindungsangst und sucht die positive Spiegelung von möglichst vielen Männern, die sie aber vorsorglich "abschießt", bevor die Beziehungsfalle zuschnappt. Dirk war nur ein einmaliger Seitensprung, als ihr Exfreund auf Geschäftsreise war, und brachte sie als "Trägerrakete" zum nächsten Landeplatz. Während er noch ein halbes Jahr später an Liebeskummer leidet, feiert sie mit Olaf ihr Glück. Für Lina ist aber Vertrauen Mangelware, da sie als Scheidungskind von einem Haushalt zum anderen gereicht wurde. Dirk hingegen meint es ernst mit ihr.

Wann immer es Knall auf Fall zu einer Verliebtheit kommt, sind folgende Kriterien maßgeblich, ob es auch später und langfristig klappt, und die Schmetterlinge im Bauch de facto Überflieger sind oder emotionale Strohfeuer: 1. Interessiert sich die Person wirklich für Sie oder gibt sich nur dem Augenblick hin? 2. Spricht Ihr Flirt auch über den persönlichen Beziehungsstatus? 3. Zeigt die Person Interesse nicht nur an einem Wiedersehen, sondern an einer Fortsetzung der Beziehung? Im Alltag gehen Urlaubslieben meist schon auf Grund der veränderten Rahmenbedingungen baden. Wäre Lina zu Dirk gekommen, hätte er möglicherweise schnell festgestellt, dass er sie nun gar nicht mehr wiedererkannt hätte. Der Zauber des Vertrauten im Fremden und seine eigene Unbedarftheit und Risikobereitschaft sind häufig im stressigen Berufsalltag dahin. Was im Endorphinrausch perfekt wirkt, ist nicht automatisch alltagstauglich. Daher machen Sie bitte immer den Realitätsscheck, bevor Sie sich binden.

Prof. Mag. Dr. Monika D. Wogrolly, Philosophin und Psychotherapeutin
Haben Sie noch Fragen? Schreiben Sie mir bitte: praxis@wogrollymonika.at