Hallstatt: Leere Gassen statt Touristenmassen

Vor wenigen Wochen kämpfte Hallstatt noch gegen den Massentourismus, viele Einwohner klagten über die vorwiegend asiatischen Touristen. Nun sind die Gassen im Ort leer, und es wird deutlich, wie wichtig diese Gäste für die lokale Wirtschaft sind.

von Tourismus - Hallstatt: Leere Gassen statt Touristenmassen © Bild: Ricardo Herrgott

Hunderttausende Fotos werden jedes Jahr vom Hallstätter Fotopoint aus geknipst. Denn von diesem Aussichtspunkt am Ende des Zentrums wird sichtbar, was den kleinen oberösterreichischen Ort so einzigartig macht: Er duckt sich zwischen den dunklen, grün-blauen See und steile Berge. Die Häuser sind liebevoll hergerichtet, zwischen ihnen verlaufen schmale Gassen mit vielen Treppen, dazu gibt es gleich zwei Kirchen.

© Ricardo Herrgott Das Kaffeehaus von Markus Derbl ist ganz auf asiatische Gäste spezialisiert. Derzeit überarbeitet er die Speisekarte

Vor wenigen Wochen herrschte am Aussichtspunkt noch dichtes Gedränge. Nicht grundlos ist Hallstatt seit einigen Jahren ein Synonym für Overtourism in Österreich. Auf 770 Einwohner kamen 2019 eine Million Tagestouristen und 140.000 Nächtigungen. Der überwiegende Teil der Gäste stammte aus Asien. In den Gassen wurde es zu den Stoßzeiten so eng, dass ein Durchkommen fast unmöglich war. An einigen Stellen im Ort wurden mehrsprachige Hinweistafeln errichtet, um Besucher daran zu erinnern, dass Hallstatt kein Museum ist und die Privatsphäre der Bewohner respektiert werden sollte.

Doch mit Schließung der Grenzen wegen des Coronavirus wurde es schlagartig ruhig. Zunächst kam gar niemand in den Ort. Mittlerweile sind es einige Radfahrer, Paare und Familien, die einen Ausflug hierher machen.

© Ricardo Herrgott Es gibt noch genügend Schnaps, doch es fehlen die ausländischen Touristen

Atmen die Einwohner nun auf, dass sie endlich wieder ungestört spazieren gehen können und Ruhe eingekehrt ist? "Zu Beginn war es kurz angenehm. Aber nun ist die Stimmung gedrückt. Diese Entwicklung von 100 auf null hat sich niemand vorstellen können", sagt Bürgermeister Alexander Scheutz. "Zwar schimpft ein Teil der Bevölkerung über die Touristen, aber viele leben schließlich von ihnen."

Bisher keine Corona-Fälle

Wer durch den Ort spaziert, erreicht automatisch den Marktplatz. Hier betreibt Rebecca Schilcher ein Trachtenmoden-Geschäft. Sie hat das offizielle Hallstatt-Dirndl in den Farben Grau, Blau und Rosa entworfen. "Grau steht für die Asche. Denn Hallstatt wurde im Jahr 1750 durch einen Brand weitgehend zerstört. Blau für die Genügsamkeit der Hallstätter während des Wiederaufbaus ihres Ortes und rosa für das Feuer", erklärt Rebecca Schilcher die Bedeutung der Farben der Tracht. Alle Kleider, die sie in ihrem Geschäft verkauft, sind in Österreich oder Bayern hergestellt.

© Ricardo Herrgott Seit Ostern hat Rebecca Schilcher kein einziges Dirndl verkauft

"Der Ort lebt vom Tourismus", sagt sie. Die Asiaten empfand sie immer als angenehm, derzeit hingegen sei es hier "schwierig und frustrierend". Seit sie das Geschäft nach Ostern wieder öffnen durfte, hat sie kein einziges Dirndl verkauft. Dazu versteht sie nun alle Wortmeldungen der Besucher, die vorbeigehen und sie mit der Ansage "Na, seids froh, dass endlich keine Touristen kommen?" ärgern, während sie vor ihrem Geschäft steht und auf Umsatz wartet.

»Diese Entwicklung von 100 auf null hat sich niemand vorstellen können«

Bei den schon vor Wochen bestellten Maßanfertigungen kommt sie ebenfalls nicht weiter. "Es wären zweite Anproben notwendig. Ich biete zwar an, zu den Leuten zu fahren, Mundschutz und Handschuhe zu tragen. Aber niemand will, dass ich komme. Die Angst vor einer Ansteckung ist offenbar zu groß", sagt Rebecca Schilcher, die zwar in Hallstatt arbeitet, aber in Strobl lebt. Dort wurde sie zu Beginn der Coronakrise, als noch Touristen aus Asien kamen, von einigen Menschen angefeindet. Der Vorwurf: Sie würde das Virus von Hallstatt nach Strobl einschleppen. Das war allerdings gar nicht möglich. Denn bisher in Hallstatt gab es bis dato keinen einzigen Corona-Fall.

© Ricardo Herrgott Thomas Piiz (li.) baut sein zentral gelegenes Haus gerade in ein kleines Hotel um

Die Zahl der internationalen Touristen stieg hier seit 2010 rasch an. Die Nachricht, dass der kleine Ort in China nachgebaut werde, machte ihn blitzartig weltweit bekannt und sorgte für einen Ansturm asiatischer Touristen. Es folgten Amerikaner und Touristen aus ganz Europa, die das einst verschlafene Bergbaudorf überrannten. 2010 waren es 3.440 Busse, die im UNESCO-Welterbedörfchen Halt machten. Neun Jahre später kamen schon 21.254, und damit ...

"Damit wollen nicht nur die Zahl der Besucher regulieren, sondern gleichzeitig von den 45-Minuten-Touristen wegkommen", erklärt Bürgermeister Scheutz. Das sind die Besucher, die genau einmal vom Parkplatz zum Fotopoint und retour spazieren, um ein Selfie zu machen, und dabei weder einkehren noch etwas kaufen. Einzig die öffentlichen Toiletten benutzen viele von ihnen zur Gebühr von einem Euro. Das rechnet sich: Die Gemeinde erlöste im vergangenen Jahr mit ihren WC-Anlagen 120.000 Euro.

Seit 1. Mai ist das neue Slot-System für die Busse in Betrieb. Allerdings zur Unzeit: Zeitfenster bis Mitte Juli wären für die Reiseveranstalter zu reservieren, eingegangen ist bisher noch keine Buchung. Die Busparkplätze sind leer und werden es für absehbare Zeit wohl auch bleiben.

Plötzlich Arbeitslose

Und das ist bitter, denn der Tourismus brachte dem Ort außer Menschenmassen auch Geld. Mit den Einnahmen aus Parkplatzbewirtschaftung und WC-Gebühren wurden vor zwei Jahren eine neue Ordination für die Gemeindeärztin und Wohnungen für junge Familien errichtet. "Das wäre ohne Tourismus nicht gegangen", sagt der Bürgermeister. Auch Wasserrettung, Bergrettung und Feuerwehr werden mit dem Geld der überwiegend asiatischen Besucher unterstützt. Im März 2019 gab es in Hallstatt keinen einzigen Arbeitslosen, sind es jetzt plötzlich 53.

© Ricardo Herrgott Bedarf an Souvenirs haben die wenigsten Menschen, die derzeit den See entlang spazieren

Markus-Paul Derbl zum Beispiel musste all seine Mitarbeiter beim AMS anmelden. Er betreibt das Café Derbl, ein Restaurant mit Bar, dazu einen Souvenirladen am Marktplatz. Seit mittlerweile sieben Wochen sind Kaffeehaus und Restaurant zu. Schlecht gehe es ihm, sagt Derbl. Aber nicht wegen seiner eigenen Befindlichkeit, fügt er düster hinzu, sondern wegen der Mitarbeiter. "Ich habe mir durch die Touristen einen finanziellen Polster erwirtschaften können. Das haben aber viele Menschen, und vor allem all jene, die gerade investiert haben, nicht."

Das Café Derbl hat sich auf asiatische Gäste spezialisiert. Das heißt, es finden sich neben österreichischen Spezialitäten von Apfelstrudel bis Schnitzel auch Reis und Nudeln auf der Karte. Das Essen muss für diese Klientel schnell auf dem Tisch stehen. "Länger als 40 Minuten hat keiner der asiatischen Gäste vom Betreten des Lokals bis zum Verlassen Zeit", sagt Derbl, der früher einmal als Skilehrer in Japan gearbeitet hat.

© Ricardo Herrgott Cafés und Lokale sind noch geschlossen. Einzig beim kleinen Imbiss gibt es Coffee to go

Da der Gastronom nicht davon ausgeht, dass heuer noch viele Gäste aus dem ferneren Ausland kommen werden, rechnet er mit einem Umsatzrückgang von 70 bis 80 Prozent. Derzeit passt er die Karte an die Bedürfnisse österreichischer Gäste an und freut sich schon, endlich wieder aufzusperren. "Ich habe wochenlang alles aufgeräumt und geputzt. Jetzt ist mir schon ziemlich langweilig."

»Ich rechne für heuer mit einem Rückgang des Umsatzes von 70 bis 80 Prozent«

Vor dem Nachbarhaus sitzt Familie Pilz unter einem Baugerüst. Thomas Pilz ist gerade dabei, das Haus in ein kleines Hotel zu verwanden. Der Name steht schon fest. "Es wird ,I da Mit' heißen", sagt Pilz. Was so viel wie "in der Mitte" bedeutet, denn das Haus liegt das Haus mitten im Zentrum von Hallstatt. Vier Zimmer inklusive Frühstück will Pilz ab Herbst anbieten. Dann, so hofft er, werden auch wieder Gäste kommen. Eine Hoffnung, die er mit Simone Lenz, der Geschäftsführerin des Heritage Hotels in Hallstatt, teilt.

Hallstatt und die Eisprinzessin

"Die letzten paar Wochen waren hart. Alle Mitarbeiter sind in Kurzarbeit", bedauert die Unternehmerin, die seit ihrer Geburt im Ort lebt. Derzeit werde alles für einen Sommer mit österreichischen Gästen vorbereitet, und tatsächlich kommen seit einigen Tagen vereinzelt erste Buchungen herein. Grund zu überschwänglicher Freude ist das für die Hotelchefin indes nicht: "Mit Gästen aus Österreich kommen wir über einen Sommer. Aber ohne internationale Touristen wird es schwer für uns, zu überleben."

© Ricardo Herrgott "Die Ruhe ist zwar angenehm. Aber unsere Wirtschaft braucht die Touristen", so Reinhard Kerschbaumer

Dabei hat das Jahr aus touristischer Sicht in Hallstatt fast zu gut begonnen: Mit dem Start des Disney-Films "Eisprinzessin 2" ging das Gerücht um, Hallstatt sei das Vorbild des Märchenschlosses Arendelle. Wieder waren internationale Journalisten beim Bürgermeister in der Leitung, wieder war Hallstatt weltweit in den Schlagzeilen. Scheutz vermochte zwar keinerlei Ähnlichkeiten zwischen Arendelle und Hallstatt zu erkennen, aber so mancher im Ort rüstete sich schon für den sommerlichen Ansturm der Eisprinzessinnen auf den Fotopoint.

Anfang des Jahres bangten die Hallstätter noch vor neuen Touristenströmen. Jetzt blickt Scheutz hoffnungsvoll der Wiedereröffnung der Schulen entgegen: Wenn einmal die Schülerinnen und Schüler der HTL und der Holzfachschule wiederkommen, wird hier wieder ein bisschen Leben einkehren.

© Ricardo Herrgott Vor wenigen Wochen gab es noch Gedränge, jetzt sind die Treppen menschenleer

Ein erster Lichtblick für die vereinsamte Idylle zwischen See und Bergen.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich im News 19/20.