Beistrich, Komma: Wenn der
kleine Strich nicht wär ...

Der Beistrich - notwendiges Übel oder Freund und Helfer in der schriftlichen Kommunikation? Kommunikationsexpertin und Buchautorin Pamela Obermaier klärt auf.

von Grammatik - Beistrich, Komma: Wenn der
kleine Strich nicht wär ... © Bild: Shutterstock/Nelosa

News: Welche Funktion soll der Beistrich erfüllen, also was ist die Idee dahinter?
Pamela Obermaier: Der Beistrich ist dazu da, einen Satz so zu strukturieren, dass er gut lesbar, schnell erfassbar und verständlich – eben unmissverständlich – ist. Er ist so gesehen ein Hilfsmittel, um Missverständnisse zu vermeiden, und ein Dienst am Leser.

Was könnte so ein Missverständnis sein, wenn er falsch oder nicht gesetzt wird?
Im Satz „Wartet nicht hängen!“ fehlt ein Beistrich – so kann der Satz nicht funktionieren.
Wenn man ihn nun vorm zweiten Verb setzt („Wartet nicht, hängen!“), bedeutet das: Der Angesprochene soll nicht damit warten, einen armen Tropf zu hängen, sondern es sofort durchziehen. Setzt man den Beistrich aber nach der Aufforderung („Wartet, nicht hängen!“), so bekommt der Satz die genau gegenteilige Bedeutung: Der Angesprochene soll noch warten und das Leben des Verurteilten nicht beenden.

© Christian Rudolf Kommunikationsexpertin und Buchautorin Pamela Obermaier

Glücklicherweise wurde bei uns ja aber schon lange niemand mehr gehängt ...
Um auch ein realistisches Beispiel heranzuziehen: Eine österreichische Versicherungsgesellschaft hat ein fehlender Beistrich dieser Art in den 1990er-Jahren immerhin 1,8 Millionen Schilling gekostet. „Herzinfarkt ist als Unfallursache nicht aber als Unfallfolge versichert“ lautete ein Satz in einer Polizze. Da ein Versicherter das große Pech hatte, beim Sport von einem Ball so hart an der Brust getroffen zu werden, dass er davon einen Herzinfarkt erlitt, forderte er seine Versicherungssumme für diese vermeintlichen Fälle. Doch die Versicherung wollte nicht zahlen, meinte, ein Herzinfarkt wäre nur als Unfallursache, aber nicht als Unfallfolge versichert. Der Mann ging vor Gericht – und bekam sein Recht, denn der Richter erkannte sofort, dass im betreffenden Satz der Beistrich fehlte, wodurch sein Inhalt nicht eindeutig war: „Herzinfarkt ist als Unfallursache, nicht aber als Unfallfolge versichert“ bedeutet nun mal das exakte Gegenteil von „Herzinfarkt ist als Unfallursache nicht, aber als Unfallfolge versichert.“

»Die Frage ist, warum in Deutschland der Beistrich Komma genannt wird«

Warum heißt der Beistrich in Österreich Beistrich und nicht Komma?
Der Begriff „Beistrich“ stammt überraschenderweise von keinem Österreicher, sondern von einem Deutschen: Der deutsche Dichter Philipp von Zesen, der bis 1689 gelebt hat, wollte damit vermutlich den altgriechischen Begriff „Komma“ eindeutschen. Das Wort wurde bei großen Schriftstellern wie Bertolt Brecht und auch in älteren Ausgaben des DUDEN verwendet. Die Frage ist also eher, warum in Deutschland und in der Schweiz der gute alte Beistrich inzwischen fast durchgängig Komma genannt wird! (schmunzelt)

Seit wann gibt es den Beistrich eigentlich? Wurde er in der deutschen Sprache schon im Mittelhochdeutschen verwendet?
Der heutige Beistrich noch nicht, wohl aber sein Vorläufer, die sogenannte Virgel: Das sind Schrägstriche, die früher zur Gliederung von Sätzen verwendet worden sind und die dann in dieser Funktion durch Beistriche ersetzt wurden. Der heutige Schrägstrich (und/oder) ist damit allerdings nur bedingt zu vergleichen. Punkte zwischen den Wörtern (aber nicht am Satzende) kennen wir aus dem 9. Jahrhundert vor Christus, wo sie erstmals Anwendung gefunden haben dürften. Aber erst ab dem Buchdruck im 15. Jahrhundert wurden sie schließlich dauerhaft ins Schriftbild aufgenommen. Unsere heutzutage verwendeten Satzzeichen gehen auf den venezianischen Drucker Aldus Manutius den Älteren (1450 bis 1515) zurück – sowohl der Punkt als auch der Beistrich. Meines Wissens hat man den Punkt zuerst erfunden, aber dass Punkt und Beistrich fix verwendet wurden, dürfte recht zeitgleich passiert sein.

»Mit der Rechtschreibreform ist nur Weniges wirklich gelungen«

Was waren die grundsätzlichen Ideen der Rechtschreibreform ab 1996 beim Beistrich?
Meinem Verständnis nach wollten die Damen und Herren des Rechtschreibrats damals alles vereinfachen. Durch die Reform wurden die Regeln jedenfalls aufgeweicht, weil es plötzlich so viele optionale Beistriche gab und gibt. Das führt meiner Erfahrung nach allerdings dazu, dass die Leute entweder fast gar keine Beistriche mehr setzen – oder aber viel zu viele. Denn sie merken sich nicht, in welchen Fällen es eine Auswahl gibt und wo die Regel eindeutig ist und denken sich offenbar: „Dann kann ich es mir eh überall aussuchen!“ Insofern ist der Schuss ein bisschen nach hinten losgegangen. Durch die zahlreichen Fälle, in denen man einen Beistrich setzen darf, aber nicht muss, ist es für den Schreibenden unübersichtlich bis undurchschaubar geworden. Ich höre in meinen Inhouse-Trainings und Kursen immer wieder, dass die Leute sich eindeutige Regeln wünschen und nicht die Möglichkeit, es sich aussuchen zu können.

Was ist an der Rechtschreibreform gelungen?
Aus meiner Sicht ist mit der Rechtschreibreform nur Weniges wirklich gelungen: etwa die S-Schreibung, die ich als durchwegs logisch und vereinfacht empfinde. Vieles andere – und darunter auch die Beistrichsetzung – ist leider komplizierter geworden.

»Beistrich setzen? Sieht nicht danach aus, als wären die Österreicher gut darin«

Können die Österreicherinnen Beistriche richtig setzen?
Wenn Sie mich fragen, tut sich die Mehrheit sichtlich schwer damit. Ich kenne zwar keine Studie zu diesem Thema, aber ich bin jeden Tag mit Texten konfrontiert – und egal, ob es sich um E-Mails, Facebook-Postings, Bewerbungen oder Firmenwebsites handelt: Es sieht nicht danach aus, als wären wir besonders gut darin. Allerdings geht’s unseren deutschsprachigen Nachbarn offensichtlich nicht anders. Es ist eben ein einigermaßen schwieriges Unterfangen, Beistriche richtig zu setzen.

Was ist der häufigste Fehler, der gemacht wird?
Der falsch gesetzte Beistrich bei der Grußformel am Ende einer E-Mail: Da schreiben die meisten „Liebe Grüße, Max Mustermann“, obwohl hier kein Beistrich hingehört. Mit diesem Beistrich bedeutet das Ganze nämlich, dass liebe Grüße an Max Mustermann ergehen, nicht aber von ihm an den Adressaten. Es handelt sich dabei um eine Verkürzung der Formulierung „Liebe Grüße sendet (Ihnen/dir) Max Mustermann“, und wenn das „sendet“ – wie üblich – weggelassen wird, tritt an seine Stelle aber nicht etwa ersatzweise ein Beistrich. Wem es optisch seltsam vorkommt, den gewohnten Beistrich wegzulassen, obwohl der Zeilenumbruch für einen Abstand sorgt, der kann statt des falschen Beistrichs ein Rufzeichen setzen („Liebe Grüße! Max Mustermann“) – dann ist es auch klar und richtig.

Konnten die Österreicherinnen vor der Reform Beistriche richtig setzen?
Das ist insofern schwierig zu beantworten, als man vor der Reform wesentlich seltener Einsicht in die Texte anderer hatte: In der Schule, wenn die Deutschschularbeit zurückkam, hat man gesehen, wer gut darin ist; wenn man dann noch eine Brieffreundschaft gepflegt hat, hat man dadurch Einblicke in die Fähigkeit der Beistrichsetzung erhalten, aber damit war’s das dann auch. Heutzutage gibt es durch das Internet wesentlich mehr öffentliche Texte – plötzlich sehen wir im WhatsApp, in einer E-Mail, auf Twitter oder Facebook, ob das jemand kann oder nicht. Mein Gesamteindruck: Wer vor der Reform sattelfest war, tut sich heute einen Tick schwerer, aber ist grundsätzlich immer noch gut darin. Wer vor der Reform schlecht darin war, ist es heute immer noch.

Welche Regel macht die größten Probleme, worüber klagen die meisten?
Am schwierigsten sind für viele die umfangreichen Regeln rund um Infinitivgruppen. Beschwert wird sich am meisten über die Ausnahmen innerhalb der Regeln und über die Änderungen seit der Reform.

Wer bucht Sie als Inhouse-Trainerin, wer kommt zu Ihnen in die Kurse – und warum?
Gebucht werde ich von Firmen, deren Marketingleiter die Wichtigkeit der Rechtschreibung und guter Texte erkennen. Meistens schicken die dann Textprofis bzw. Kollegen/Kolleginnen, die täglich mit Texten zu tun haben (PR-Texter, Redakteure, Marketingleute, Lektoren, Korrektoren, Sekretärinnen), ins Training. Und in die Kurse kommen ebenso textaffine Personen – und aber auch immer mehr Menschen, die auf Social-Media-Plattformen präsent sind und dort ernstgenommen werden wollen. Deren Beweggrund ist: Sie wollen professionell und kompetent wirken und verstehen, dass es dafür notwendig ist, die Rechtschreibung – und eben auch die Beistrichsetzung – halbwegs zu beherrschen.

Infos für Interessierte

Rechtschreib- und Beistrichseminare hält die Germanistin und Expertin für Erfolg durch Sprachwirkung Mag. Pamela Obermaier in ihrer Agentur textsicher in Purkersdorf (textsicher.at), über die sie für den gesamten deutschsprachigen Raum auch als Inhouse-Trainerin gebucht wird, und in der Medienakademie Goldegg-Training in Wien (goldegg-training.com).

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