Fetisch oder Liebe?

Maria ist hin und weg. Aber nicht vor Glück. Sie hat ihren Ehemann erwischt, als er im Internet auf Latexseiten war, und fand bei ihrer nachfolgenden Recherche auf seinem Computerdesktop einen Ordner mit Bildmaterial von diesem Fetisch

von Dr. Monika Wogrolly © Bild: Matt Observe/News

Lack, Leder, Latex? Maria erklärt in ihrer Paartherapie, dass sie alles andere als prüde sei. Aber was ihr Mann da geliefert habe, spotte jeder Beschreibung. Und Gert? Sitzt wie ein begossener Pudel neben seiner aufgebrachten Frau und versucht, die Wogen zu glätten. Doch denkste! Was für ihn harmlos war, ist für sie moralischer Betrug. Und Gert sei ihr ja doppelt fremdgegangen: Einmal, indem er sich klammheimlich einschlägige Filme anschaute, und dann, weil sie nach über zwanzig Ehejahren nichts, aber auch wirklich gar nichts von seinem Fetisch gewusst hatte. Gert versucht zu erklären: Latex sei ihm doch gar nicht wichtig, und er wünsche sich überhaupt nicht, dass sich etwas an ihrem Liebesleben ändern solle. Er sei rundum glücklich mit seiner Frau. Maria lässt das nicht gelten; sie entgegnet wutentbrannt, weshalb er es dann nötig habe, sich an in Latex gewandeten Damen aufzugeilen, wenn angeblich ja sie seine sexuelle Erfüllung sei. Fetisch gegen Liebe? Menschen wie Gert führen ein Doppelleben. Einmal versuchen sie sich in der Rolle des Traums jeder Schwiegermutter und setzen auf Blümchensex, wie Maria spöttisch ihre "ewige Missionarsstellung" bezeichnet. Und manchmal sind sie wieder "kinky", wie man Abweichungen von sexuellen Normvarianten, exzessive, mithin grenzwertige Sexualität im Gegensatz zu bravem "Vanilla-Sex" im Fachjargon nennt. Wieso durfte Maria nicht an Gerts erotischer Parallelwelt teilhaben? In dem Fall ging Gert offenbar von der Sicherheitsvariante aus. Und von der Vorannahme, dass das höchstens verstörend und ohnehin nichts für sie sei. Zudem kann er sich, wenn er ehrlich ist, Maria nicht in der Rolle der frivolen Latexlady vorstellen.

Was ist hier geschehen: Gert hat offenbar seine Sexualität in ihren Abgründen, seine wahren Sehnsüchte und Fantasien ausgelagert, um Maria nicht zu belasten. So weit, so gut. Aber nun sie ist ja weder durch diese Geheimnistuerei entlastet noch Gert dankbar, sondern fühlt sich hintergangen, betrogen und ausgegrenzt. Maria hält rein gar nichts von diesem Schongang in der Liebe.

Die Moral von der Geschicht': Immer gleich zu Beginn der Liebe mit der Wahrheit ans Licht. Dass Sie eben gern Lack, Leder oder Latex in Ihr Liebesleben hineinholen, oder, wenn das nicht, es doch sehr aphrodisisch finden würden, sich damit sinnlich zu beschäftigen. Etwa in einem bestimmten Outfit auszugehen oder Sex zu haben. Vorausgesetzt, das Gegenüber teilt die Leidenschaft. Sonst ist es wohl besser, das mit sich allein auszumachen, aber eben nicht heimlich. Denn jede Heimlichkeit wird als Zurückweisung empfunden und weckt Ohnmachtsgefühle im Partner oder der Partnerin, nach dem Motto: "Du bist ja ein ganz anderer Mensch, als du mir gegenüber vorgibst zu sein! Warum darf ich nicht wissen, wer du bist?" Es fördert Distanz in der Liebesbeziehung und verunmöglicht Vertrauen und emotionale Nähe.

Am Ende verlangt Maria eine Entscheidung: Latex oder Liebe. Aus ihrer Wut und Enttäuschung findet sie nur heraus, indem sie offen über ihre Verlustangst und das Minderwertigkeitsgefühl spricht, das durch die Entdeckung von Gerts Fetisch getriggert wurde. Ist sie ihm auch ohne Latex genug?

Wichtig ist, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Ängste und Gefühle von Enttäuschung und Wut zu äußern. Dann, nur dann kann es zu einem glücklichen Liebesleben kommen, wenn Maria nicht mehr auf Gerts sexuelle Vorliebe eifersüchtig ist, sondern sie spielerisch ins Liebesleben einfließen lässt. Dabei sollte sie aber kritisch bleiben: Denn jede Fixierung, wenn's ohne Fetisch gar nicht geht, wäre besorgniserregend. Und im Fall von Latex im buchstäblichen Sinne einengend.

Prof. Mag. Dr. Monika D. Wogrolly, Philosophin und Psychotherapeutin Haben Sie noch Fragen? Schreiben Sie mir bitte: praxis@wogrollymonika.at