Wie der Austausch in Online-Foren verrohen kann

von Wie der Austausch in Online-Foren verrohen kann © Bild: APA/HELMUT FOHRINGER

Das toxische Verhalten beschränkte sich auf Online-Interaktionen

Von medialen Online-Foren ist bestens bekannt, wie schnell ein Austausch in eine abschätzige bis beleidigende Richtung abdriften kann. In einer Studie mit Beteiligung von Marius Lüdicke von der Wirtschaftsuni (WU) Wien suchte man nun bei einer britischen Online-Community, die Fans elektronischer Dance Music vereinte, nach den Mechanismen, die hinter dem verbalen Abfeuern von Salven stecken. Dafür studierte man den 18-jährigen Kommunikationsverlauf der "Hard-House"-Musikfans.

"Uns hat interessiert, warum Online-Gemeinschaften, die sich formiert haben, um sich friedlich über ihr Hobby auszutauschen, plötzlich anfangen, einander systematisch brutal verbal zu attackieren", wird Lüdicke, Leiter des WU-Instituts für Internationales Marketing Management, in einer Aussendung zitiert. Es zeigte sich, wie wichtig die Moderation der Foren ist.

Die untersuchte Plattform war im Jahr 2001 von einem halbprofessionellen DJ aus London gegründet worden, schreiben die Forscher im "Journal of Consumer Research". Liebhaber von "Hard House" konnten sich dort bis zum Jahr 2018, dem Ende der Community, austauschen. Das Forum umfasste 20.000 Mitglieder, der Datensatz der Forscher sieben Millionen Postings, die sich um Events, DJs, Musik, ausgetauschte Clubbing-Fotos, aber auch Privates drehten. Zudem dokumentierten die Wissenschafter besuchte Veranstaltungen der Community und führten Interviews.

Hard-House-Clubbing habe seine Wurzeln in der Rave-Jugend-Gegenkultur, die dafür bekannt ist, dass sie nach ausgedehnten Eskapismus-Erfahrungen sucht und das Recht fördert, aus den gesellschaftlichen Normen auszubrechen, heißt es in der Studie. Doch selbst bei einem derartigen Musikforum, "das vor allem für gemeinsamen Spaß und Eskapismus steht", sei die Atmosphäre sehr konfliktgeladen gewesen, zeigte man sich überrascht.

Der "libertäre Ethos" der Szene führe "zu einer höheren Toleranz für verbale Gewalt" in dem untersuchten Forum sowie "zu einer Glorifizierung der Idee der Unabhängigkeit und Selbstständigkeit", ergänzte Lüdicke gegenüber der APA: "Wer in so einem Kontext nicht schlagfertig und witzig ist, wird schnell zum Opfer verbaler Gewalt und der Schadenfreude des Forums ausgesetzt. Weniger freiheitsliebende Foren tolerieren vermutlich eingangs weniger verbale Gewalt, sind aber dennoch für Brutalisierung anfällig."

Die Forscher identifizierten "drei spezielle Konstellationen von direkter, struktureller und kultureller Gewalt", die Brutalisierung befeuern können: sadistische Unterhaltung, Clan-Kriegsführung und Selbstjustiz, wie es in der Studie heißt. Das Vorhandensein dieser Brutalisierungsformen stehe im Kontrast zur vorherrschenden Meinung, dass diese Art von "Konsumgemeinschaften" nur situativ gewalttätige, aber insgesamt "prosoziale, wertschaffende soziale Einheiten" darstellen.

Sadistisches Entertainment, häufig gestartet von einem arrivierten Mitglied der Community und als provozierende Beleidigung einer anderen Person angelegt, werde oft harmlos empfunden und nicht unterbunden. Streitigkeiten zwischen zwei Untergruppen der Community entstünden hingegen meist aus einem Streit zwischen zwei Einzelpersonen heraus, führen dann aber zu Clan-Kriegen, die oft monate- oder sogar jahrelang anhalten und häufig mittels exzessiver verbaler Gewalt, inklusive Morddrohungen, geführt werden.

Die dritte Konstellation ist die Selbstjustiz. Hier sehen sich die Mitglieder im Recht und in der Pflicht, die Community-Richtlinien mittels "verbaler Lynchjustiz" selbst durchzusetzen. Ziel sei es hier, dass der oder die Angegangene die Online-Community verlässt.

Vor allem in der dritten Konstellation zeigte sich, so Lüdicke, wie wichtig die Moderation der Foren ist. Die Moderatoren müssten Mitgliedern vermitteln, "dass auch verbale Gewalt in Online-Foren verletzend sein kann und mitnichten für alle Mitglieder harmlos ist". Verbale Gewalt könne zwar "kurzfristig energetisierend wirken" und werde daher von Moderatoren oft toleriert. Langfristig sei sie aber schädlich für Gemeinschaften.

Das toxische Verhalten in dem untersuchten Forum griff im untersuchten Fall nicht über auf Treffen in der realen Welt, sondern beschränkte sich auf Online-Interaktionen. Dennoch dürfe verbale Online-Gewalt nicht verharmlost werden, sagte der Forscher. Sie könne, wie hinlänglich bekannt sei, u.a. zu Depressionen, Angstzuständen, Schamgefühlen und posttraumatischen Belastungsstörungen führen.

"Die Idee von verbaler Gewalt als 'harmloses Spiel' muss enttarnt werden, um sadistische Unterhaltung zu bekämpfen, und Strukturen, die Gewalt fördern, müssen ersetzt werden", sagte Lüdicke. Zudem müssten vor allem etablierte Mitglieder zu mehr Offenheit motiviert werden, um langfristig den Niedergang ihrer Gemeinschaft zu verhindern und Clan-Kriegen vorzubeugen. Und Moderatoren "dürfen die Zügel nicht schleifen lassen", so Lüdicke, da sonst brutale Selbstjustiz blühen kann.

Service: Studie in "Journal of Consumer Research":