Integration durch den Magen

In der "Liebe" schwingen bis Ende Jänner Flüchtlinge den Kochlöffel

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Fakten - Integration durch den Magen © Bild: Götz Schrage

„Nächstenliebe“ nennt sich das Projekt, und wenn Julian Steindorfer darüber spricht, fallen sehr häufig Wörter wie „Langfristigkeit“ oder „Perspektive“.

Der 27-Jährige hat „Die Liebe“ gemeinsam mit seinem 34-jährigen Kompagnon David Kreytenberg im vergangenen November gegründet und im Gespräch merkt man ihm die Begeisterung für das Projekt in jeder Sekunde an – auch wenn die Idee von außen kam. Martin Rohla vom Verein „Hosten statt Posten“ trat damit im Dezember an die Jung-Gastronomen heran, kurz darauf stand der Plan und mit Hilfe der in der Flüchtlingshilfe stark engagierten Schauspieler Hilde Dalik und Peter Praschinger war ebenso rasch ein Team aufgestellt.

Sieben Flüchtlinge, darunter eine Frau, werkeln nun seit Anfang Jänner jeden Abend in dem Restaurant in der „Marktwirtschaft“, Wiens erster Indoor-Markthalle in der Siebensterngasse. Sechs von ihnen stammen aus Syrien, einer aus Afghanistan. Was sie eint, sind die Fluchterfahrung, eine Ausbildung in der Gastronomie – und nun die Chance auf „ein Stück Alltag“, wie Steindorfer es formuliert.

"Engagiert, begeistert, dankbar"

Als „irrsinnig engagiert, begeistert und dankbar für alles“ beschreibt er seine neuen Köche, und kann im nächsten Satz seine Enttäuschung über die heimische Bürokratie und die Hürden, die diese Projekten wie der „Nächstenliebe“ in den Weg legt, kaum verhehlen. „Wir würden Menschen gerne Arbeit geben, nicht um sie auszubeuten, sondern um ihnen eine Perspektive zu geben. Dabei stellen wir aber immer wieder fest, dass wir damit uns und auch das Personal in Schwierigkeiten bringen können“, sagt Steindorfer. Um solche Probleme zu vermeiden, wird nun ausschließlich mit anerkannten Flüchtlingen gearbeitet.

Die Liebe
© Klaus Vyhnalek Nur eineinhalb Monate nach der Eröffnung wagte sich das Team an das Projekt "Nächstenliebe"

Einer von ihnen ist Jwan Joo Daod. Der umtriebige Syrer hat nach der Hotelfachschule erst in seiner Heimat, dann im Libanon und schließlich zehn Jahre in einem Viersternehotel in Dubai gearbeitet. Nachdem sein Visum abgelaufen war, musste er zurück nach Syrien, das er drei Monate später wieder in Richtung Europa verließ.

Was die Welt eint: Essen, Trinken, Sex

Seit Juni des vergangenen Jahres lebt er in Österreich, seit Anfang Jänner ist er der Küchenchef des Flüchtlingsteams. Und er ist von der völkerverbindenden Kraft des Essens überzeugt: „Essen, Trinken und Sex, das teilt jeder Mensch auf der Welt. Wenn jemand dein Essen kennenlernt, versteht er sowohl dich besser, als auch die Kultur, aus der du kommst.“

Aus diesem Grund hat der 30-Jährige im vergangenen Jahr auch bereits in Zusammenarbeit mit der „Edition Esspapier“ ein Kochbuch mit syrischen Rezepten herausgegeben. „Zu Gast bei Freunden“ heißt das Werk, in dem zwölf Flüchtlinge neben einem Rezept jeweils auch ihre Geschichte erzählen. Essen sei wie ein Fenster zwischen verschiedenen Menschen, ist Daod überzeugt. Zwar kämen die Menschen in erster Linie in die „Liebe“ um zu essen, doch dabei ergäben sich auch immer wieder Gespräche. Oft mit der einfachen Erkenntnis: „Wir sind auch alle Menschen, und keine Monster.“

Begeisterte Rückmeldungen

Von positiven Rückmeldungen kann auch Steindorfer berichten. Die Idee sei begeistert aufgenommen worden, man könne gar nicht allen Reservierungswünschen Folge leisten. Nicht zuletzt deshalb, weil immer zumindest die Hälfte der Tische für Laufkundschaft freigehalten werde. Und das trotz eines auf den ersten Blick stolzen Preises von 19,50 Euro für ein Menü bestehend aus einer großteils veganen Vorspeisenvariation und einer – wahlweise vegetarischen – Hauptspeise. Suppe und Dessert können à la carte dazu geordert werden. Bei näherer Betrachtung relativiert sich der Preis freilich schnell, muss doch im Moment aufgrund des uneingespielten Teams noch deutlich mehr Personal eingesetzt werden als üblich.

Darüber hinaus werden sämtliche Gewinne aus dem Flüchtlings-Projekt zur Gänze gespendet. Zum Teil voraussichtlich an Flüchtlingshilfe-Organisationen, zum Teil aber auch an mögliche Folgeprojekte. In der „Liebe“ ist nämlich Ende Jänner wieder Schluss mit der syrischen Küche, an einem Folgeprojekt wird aber bereits gearbeitet. Spätestens Ende des Monats soll es vorgestellt werden, will Steindorfer noch nicht mehr verraten.

Gewaltiger Lernprozess

Genügend Know-how wird sich bis dahin jedenfalls angesammelt haben, ist das Projekt doch auch ein gewaltiger Lernprozess für alle Beteiligten. So lernen die Flüchtlinge natürlich nebenbei Deutsch, dennoch „macht die Verständigung immer wieder Probleme“, erzählt Steindorfer. Trotz des international erfahrenen Küchenchefs, trotz eines ehrenamtlichen Übersetzers, der das Team unterstützt – und trotz des 20-jährigen Kochs Borhan Hassanzadeh, der nicht nur mit 14 Jahren bereits sein eigenes Restaurant in Afghanistan betrieb, sondern auch neun Sprachen und Dialekte beherrscht.

© David Kreytenberg Ahed Al Ali, Zuzanne Mohammad Ramadan und Küchenchef Daod bei der Produktion von Kibbeh, einer traditionellen Vorspeise aus Bulgur und Lammfleisch

Auch die Produktsuche erweist sich nicht immer als reibungslos. So hätten die Nahost-Köche im ersten Moment oftmals „wahnsinnig spezifische“ Produktwünsche, die sich am Ende aber problemlos mit österreichischen Produkten ersetzen ließen. „Wir lernen noch, das Küchenteam lernt genauso“, erzählt Steindorfer von den Problemen des internationalen Küchenalltags. Die sich dann aber doch immer irgendwie lösen lassen.

Flüchtlinge als Chance betrachten

Dennoch ist das Projekt für ihn nicht nur eine Herzensangelegenheit, sondern auch ein großes Stück Wissenstransfer. „Man sieht einfach nicht die Chance, die diese Menschen bieten. Eine neue Sprache, Begeisterung, Fachwissen. Flüchtlinge sind ja oft gebildete Menschen, die nicht grundlos verfolgt wurden, sondern weil sie etwa Fragen gestellt haben“, plädiert Steindorfer für die offenere Aufnahme der aus ihrer Heimat Vertriebenen.

Und hofft, ihnen durch die Anstellung in der „Liebe“ auch längerfristig zu helfen. Im Fall von Küchenchef Daod muss er sich da wohl keine Sorgen machen. „Ich habe schon viele Angebote und hoffe, ich treffe die richtige Entscheidung“, erzählt er. Zwei große Ziele habe er nämlich momentan: „Erstens Deutsch lernen und zweitens den richtigen Job finden.“ Feiern kann er den dann hoffentlich bereits mit seiner Frau und seinem Kind, die derzeit noch im Libanon auf die Genehmigung warten, nach Österreich nachreisen zu dürfen.

In seiner Wohnung hat Daod jedenfalls schon alles für die Ankunft der beiden hergerichtet. Dann werden Deutschkurs und Kochschürze auch vielleicht kurz zurückstehen müssen. Für die Liebe.

Die Fakten

Logo der "Liebe"
© Die Liebe

Die Liebe in der Marktwirtschaft
Siebensterngasse 21
1070 Wien
0676/6681969
http://www.dieliebe.wien/

Öffnungszeiten:
Di-Sa 9 bis 24 Uhr
So 9 bis 18 Uhr

Die syrische Küche des Projekts "Nächstenliebe" kann bis 31. Jänner täglich ab 17 Uhr verkostet werden.

Kommentare

Mit ihre dreckigen Finger herumrühren, der Gestank dazu, Mahlzeit!!

Um sich zu integrieren muss man lernen bodenständige Speisen zu kochen und zu essen.
Touristen kommen nicht nach Österreich um griechische, italienische oder gar syrische Pseudospezialitäten zu essen.



ich find das ja toll.. wirklich !
ichwürde mir aber AUCH wünschen, dass SOLCHE energien in langzeitarbeitslose gesteckt wird, denen man AUCH eine neue perspektive anbieten möge.

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