Der Sultan und seine Diener

von Christoph Lehermayr © Bild: Ian Ehn

Wie muss es sein, in einem Land zu leben, wo der Wahn unwidersprochen bleibt? Die Türkei ist dabei, ein solches Land zu werden. Mit einem Präsidenten an der Spitze, der nicht nur Phantasmen liebt, sondern sie auch gleich selbst kreiert. Etwa wenn es darum geht, die Urheber des schlimmsten Terrorakts der türkischen Geschichte ausfindig zu machen, bei dem vor drei Wochen in Ankara über 100 Menschen starben. Für
Recep Tayyip Erdogan ist klar, wer dahintersteckt: Der IS habe sich mit der kurdischen PKK und dem Geheimdienst von Syriens Machthaber Assad verbündet, gemeinsam hätten sie den Anschlag ausgeheckt. Dass es sich bei den dreien eigentlich um Todfeinde handelt, mag da ein vernachlässigbares Detail sein, das ein Staatsoberhaupt nicht weiter zu kümmern braucht. Gerade wenn im eigenen Land ohnedies längst eine
Nachrichtensperre gilt und Medien gar nicht mehr in der Lage sind, solch absurde Verschwörungstheorien ihres Präsidenten zu hinterfragen.

Am Sonntag folgt der nächste Akt in diesem Schauspiel: Die Türken müssen erneut ihr Parlament wählen. Und zwar ein knappes halbes Jahr, nachdem sie sich erdreistet hatten, Erdogans Partei bei den Wahlen eine absolute Mehrheit zu verwehren. Die bräuchte der sich längst als Sultan gebende Herrscher aber, um auch formell die Verfassung ändern und sich ein ihm genehmes autoritäres System zimmern zu können. Faktisch ist dessen Errichtung in den vergangenen sechs Monaten ohnedies weit gediehen. Der Aussöhnungsprozess mit den Kurden ist passé, nachdem diese es gewagt hatten, ihre eigene Partei ins Parlament zu wählen. Medien werden gegängelt, Journalisten verhaftet, Redaktionsräume gestürmt. Anschläge häufen sich. Und Erdogan nahm die Destabilisierung seines Landes für den potenziellen Gewinn an Macht bewusst hin.

Und dann kam Angela Merkel. Lange schloss sie einen EU-Beitritt der Türkei kategorisch aus, selbst als Erdogan noch den Demokraten gab. Nun, wo er unverhohlen als Autokrat auftritt, hofiert sie ihn. Und das aus purer Not, weil er den Treck der Flüchtlinge, der gen Deutschland wandert, aufhalten soll. Drei Milliarden Euro erhielt er dafür und die Rückkehr der Option eines EU-Beitritts. Die bösen Bilder weinender Kinder und tobender Flüchtlinge, die das Dichtmachen der Grenzen zwangsweise produziert, könnte man dann ja ihm anlasten und nicht den Hütern der Menschenrechte in Berlin. Politiker, die so agieren, machen sich nicht nur von Autokraten abhängig, sie werden zu deren Dienern. Und sie beschämen all jene Türken, die gegen Erdogans Allmachtsfantasien aufbegehren. Denn wäre etwa dieser Kommentar in einer türkischen Zeitung erschienen, säße sein Autor nun im Gefängnis.

Kommentare

Oberon
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Neuwahl in der Türkei! Die würde sich auch in Ö Verlierer-Parteien wünschen, und zwar so lange, bis das Ergebnis passt. Frage: WIE will es Erdogan denn anstellen, um die gewünschte Mehrheit zu erlangen?
Merkel biedert sich bei Erdogan an? Diese Frau ist mir schon lange verdächtig. :-( Früher hat man Gaddafi dafür bezahlt, damit er Flüchtlinge aufhält, jetzt Erdogan. Meiner Ansicht nach ....

Oberon
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.... ein starkes Zeichen der Hilflosigkeit.

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