Ungarn-Aufstand 1956: Bewährungsprobe für das junge österreichische Bundesheer

Brigadier i.R. Horvath erinnert sich an Vorkommnisse

Erste Informationen über Kampfhandlungen in Ungarn sowie darüber, dass Teile des Bundesheeres bereits alarmiert seien, erhielten die Militärakademiker am 24. Oktober beim Mittagessen durch Jahrgangskommandant Oberleutnant (der spätere General, Anm.) August Segur-Cabanac. Am Abend des 26., Horvath und einige Kameraden waren gerade Abendessen in einem Gasthaus, wurde - damals noch durch einen Trompeter - Alarm gegeben: "Wir sind im Laufschritt eingerückt. Die Wache war schon feldmarschmäßig gekleidet."

Auf seinem Bett habe er bereits ein zwölf Kilo schweres lMG A2 US (leichtes Maschinengewehr, Anm.) mit 240 Patronen samt einer Pistole mit zwei gefüllten Magazinen vorgefunden: "So wurde ich der MG-Schütze." Als "Alarmkompanie Militärakademie" formiert, ging es noch am selben Abend nach Kaisersteinbruch ins Burgenland.

Am 28. Oktober waren die Soldaten im Seewinkel unterwegs: Der Weg führte entlang der Grenze von Halbturn vorbei am ungarischen Meierhof Albert Kaszmer nach Andau und dann durch die Dörfer des Seewinkels wieder zurück, um der Bevölkerung zu zeigen, "die Unseren sind da", schildert Horvath. Trotz "saukalten" Wetters und leichtem Nieselregen seien die Fahrzeuge ohne Abdeckplanen unterwegs gewesen: "Am freundlichen Winken und Zurufen in unseren Dörfern konnte man entnehmen, dass die Bevölkerung froh ist, dass wir da sind."

Bei dem Meierhof seien auch ungarische Grenzsoldaten gestanden, mit rot-weiß-grünen Armbinden: "Wir sind dort abgesessen und haben zugeschaut, wie die Bevölkerung von diesem Meierhof gerade einen Sowjetstern von einem Gebäude runtergedroschen hat."

Am 31.Oktober wurde die Gruppe mit Horvath an die Grenze Richtung Lutzmannsburg befohlen, um Grenzgänger aus Ungarn aufzufangen. Dabei habe sich herausgestellt, dass es sich um ungarische Bevölkerung aus einem Nachbardorf handelte. Die Menschen wollten ihre österreichischen Nachbarn in Lutzmannsburg endlich wieder besuchen und mit ihnen ihre Freiheit feiern.

Ein Dolmetscher musste ihnen aber erklären, "dass wir sie zurückschicken müssen, weil sonst die Gefahr des Vorwurfs besteht, dass Österreich die ungarischen Revolutionäre unterstützt", was mit dem Status unserer Neutralität unvereinbar wäre, so Horvath: "Wir selber haben das natürlich auch in Gesprächen bedauert. Denn am liebsten hätten wir mit ihnen mitgefeiert."

Sowjet-Panzer an der Grenze
Am 4. November 1956 mussten die Bundesheer-Soldaten rund 60 ungarische Studenten der Hochschule in Sopron (Ödenburg) entwaffnen, die von Sowjets an die österreichische Grenze gedrängt worden seien. Die Männer hätten sich erhofft, dass man sie mit Lkws zum Grenzübergang Klingenbach bringe. Von dort aus hätten sie wieder zurück nach Sopron gewollt zum Weiterkämpfen, schildert Brigadier i.R. Nikolaus Horvath.

Und wieder mussten die Militärs erklären, dass das aus Gründen der Neutralität unmöglich sei: "Mit Zornes-Tränen haben manche ihre Waffen abgegeben und haben sich dann abtransportieren lassen in eine Sammelstelle in einem leer stehenden Meierhof in St. Martin."

Am nächsten Tag fuhren die Militärakademiker einen Jeep-Spähtrupp zum Grenzübergang Rattersdorf-Liebing, um einen anderen Trupp abzulösen. "Noch bei Tageslicht kamen aus Güns (Köszeg, Anm.) sowjetische Panzer, besetzten die Grenze, nahmen die ungarischen Grenzsoldaten fest und trieben diese mit erhobenen Händen Richtung Güns", erzählt Horvath: "Nach Einbruch der Dunkelheit hörten wir aus dem Waldgebiet südlich von uns Schüsse mit automatischen Waffen. Männer, Frauen und Kinder schrien, Hunde bellten. Auch Leuchtkugeln stiegen im Wald auf."

Die Soldaten nahmen an, dass es sich um Fluchtversuche handelte, die vermutlich von Sowjets unterbunden wurden, "also menschliche Tragödien in unserer Nähe, ohne dass wir helfen konnten". Um etwa 23.00 Uhr kam der Befehl, nach St. Martin einzurücken. Dort eingetroffen, saß die komplette Alarmkompanie bereits auf den Lkws, das Gepäck war schon verladen. Ohne die Scheinwerfer einzuschalten, fuhr die Kolonne los.

Zwei Gruppen des Zuges mit Fähnrich Horvath wurden danach südwestlich von Eisenstadt zwischen Großhöflein und dem Föllig abgesetzt: "Wir bekamen als Feindlage: Mit dem Einmarsch sowjetischer Truppen kann jederzeit gerechnet werden", dazu kam ein Verteidigungsauftrag.

Nach einem weiteren Ortswechsel wurde die Gruppe bei Pöttsching an der Straße Richtung Zillingtal eingesetzt. Obwohl man sich in diesem Gelände wenig Chancen ausrechnete, habe man "ein etwas besseres Gefühl" gehabt, berichtet der Brigadier: "Denn neben uns befand sich zumindest eine PAK 7,62 (Panzerabwehrkanone, Anm.) und einige hundert Meter hinter uns die T34-Kompanie (Kampfpanzer des Bundesheeres aus russischer Produktion, Anm.) im Raum der heutigen Pöttschinger Seesiedlung."

Am 8. November wurde der Auftrag abgebrochen, die Militärakademiker bezogen in Pöttsching in einem Gasthaus Unterkunft: "Der Bevölkerung gegenüber, soweit sie überhaupt mitbekommen hat, was da gespielt wird, wurde die ganze Aktion als 'Einsatzübung' deklariert, um nicht nachträglich noch Unruhe aufkommen zu lassen." Am 12. November wurden die Fähnriche wieder nach Enns zurückverlegt zur weiteren Ausbildung.

"Dieser Einsatz hat uns alle eigentlich sehr geprägt und auch erste kleine Erfahrungen gebracht", resümiert der Bundesheer-Offizier. Aus der Warte des damaligen MG-Schützen betrachtet, habe er sich gut ausgebildet und gut geführt gefühlt: "Wir haben klare Aufträge bekommen". Brigadier Horvath war nach Abschluss seiner Offiziersausbildung unter anderem als Jahrgangskommandant sowie später als Lehroffizier für Wehrpädagogik und Wehrpolitik an der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt tätig, im Oktober 2000 trat er in den Ruhestand. (apa/red)