Ungarn: Handschellen für Obdachlose

Anwälte drohen mit Boykott - Richter zum Handeln aufgefordert

von

"Der Orban will uns zu Verbrechern machen", kritisierte Csaba gegenüber der APA. Der 40-jährige zeigt seinen nagelneuen Pass. "Ich gehe nach England, dort habe ich Kumpel, denen es sogar als Obdachlose besser geht als hier."

Unter den Betroffenen ertönt Kritik an Premier Viktor Orban dafür, dass er nicht helfe, sondern strafe. Da habe die Polizei Obdachlose schon mit Handschellen abgeführt. "Angeblich gibt die Regierung große Summen für uns aus, die aber nie bei uns ankommen. Wo sind die immer wieder versprochenen neuen Sozialwohnungen?", hinterfragte der 50-jährige Jozsi, der sich auf einen Gehstock gestützt mit seiner großen karierten Plastiktasche in Gang setzt.

Er geht nicht in ein Obdachlosenheim: "Nein, ich habe meine eigene Unterkunft, weit weg von der Polizei, in meiner Bokor-Strasse", schmunzelt Jozsi und erklärt: Diese Straße liegt in einem Wäldchen nahe Budapest, nämlich zwischen Büschen (Bokor). Dort habe er eine kleine Hütte. Jozsi ist nicht er einzige, der in Wäldchen rund um Budapest lebt, die bisher von Polizei-Razzien verschont blieben.

Das neue Gesetz spaltet die Gesellschaft. In einer Straßenbahn kommt es zu einer heftigen Debatte. Drei Frauen verurteilen die "dreckigen Obdachlosen", die überall in der Stadt ihren Müll hinterließen. Eine Vierte mischt sich ein, erregt Ärgernis: Sie verurteilt nicht die Menschen ohne Dach über dem Kopf, sondern die Regierung, die es soweit kommen ließ.

Mehr als 500 Anwälte unterzeichneten inzwischen eine Petition. Darin wird von den Gerichten die umgehende Einstellung von Verfahren gegen Obdachlose gefordert. "Obdachlosigkeit ist kein Verbrechen und kein Regelverstoß. Obdachlosigkeit ist eine der schrecklichsten Situationen, in die ein Mensch gelangen kann", heißt es in der Petition. Diese fordert weiters die Richter auf, das Verfassungsgericht zwecks Stellungnahme anzurufen. Die Anwälte kündigen einen Boykott an, wenn die Richter nicht reagieren.

Die Orban-Regierung setzt die neue Verordnung mit ganzer Härte durch. Jüngster Fall: drei Polizeiautos, fast ein Dutzend Polizisten und ein festgenommener Obdachloser.

Obdachlose seien nach wie vor in der Stadt, würden jedoch herumwandern, abtauchen, die Unterführungen meiden, die seitens der Polizei vorrangig kontrolliert würden, erklärte Zoltan Aknai, Direktor der ungarischen Stiftung "Menhely" (Asyl), heute (Montag) der APA. Aus Angst vor Polizei und Gericht würden Betroffene auch Obdachlosenheime ansteuern. In Budapest seien in einer Woche rund 120 neue Insassen registriert worden. Laut Aknai gebe es im Winter inklusive Krisen-Kapazität landesweit rund 11.000 Plätze in Obdachlosenheimen, während die geschätzte Zahl der Bedürftigen zwei- bis dreimal höher liege.

Die Orban-Regierung würde die Bedürftigsten der Gesellschaft in ihrer eigenen Heimat zu "Migranten" machen, kritisierte das Internetportal "merce.hu" am Montag. Dies sei "Zynismus" seitens jener, die während der dreijährigen Flüchtlingskrise ihren politischen Gegnern Rechenschaft darüber abverlangten, warum sie Flüchtlingen und nicht den ungarischen Obdachlosen helfen? Im Kampf gegen die Kriminalisierung der Obdachlosen, die Verfolgung der Armen bedürfe es des Zusammenschlusses, der Solidarität der Gesellschaft, was dem politischen System der Orban-Regierung widerspräche. Das Bild der Obdachlosen auf der Straße würde die "Unfähigkeit" der Regierung demonstrieren, die im Gegensatz dazu ständig ihre "Erfolge" betone, schrieb das Portal.

Kommentare