Skistars unter der Käseglocke

Reporter-Legende Michael Kuhn über die Geringschätzung der Printmedien durch die PR

von Sport - Skistars unter der Käseglocke © Bild: News Zach - Kiesling Roman

Samstag, 8. Feber 1964, ganz klar in der Erinnerung, als wär’s gestern gewesen. Olympiahotel in der Axamer Lizum, nahe Innsbruck. Rein zufällig trudeln wir in die Bar. Dort lehnt Pepi Stiegler, seit einer Stunde Slalom-Olympiasieger. Allein. Durchaus bereit für ein langes Zufallsinterview. Undenkbar heute, unmöglich, unglaubwürdig.

Ein Print-Journalist, der im Ski-WM-Winter ein paar Worte mit Marcel Hirscher wechseln konnte, nämlich allein, darf sich als Glückspilz bezeichnen.

Natürlich, die Sportwelt hat sich geändert seit den ersten Innsbrucker Olympischen Spielen anno 1964. Kunstschnee, neue Bewerbe, Materialrevolution, Internetjournalismus, die Allmacht des Fernsehens in der Medienlandschaft. Und auch der Zugang des schreibenden Sportjournalisten zu seinem Beruf. Denn die Objekte der Reporterbegierde atmen in diesem Jahrtausend unter einer Käseglocke. Beschützt von ihren Funktionären, verwaltet von einer neuen Berufsgruppe: den persönlichen Managern, teils klugen Köpfen, leider oft aber auch egoistischen Wichtigmachern. Aktuelle Interviews sind fast unmöglich. Denn Zeitungsjournalisten werden zweitklassig behandelt. Das Fernsehen zahlt und hat Vorrang, auch nach dem Wettkampf.

Darum blieben bei der Ski-WM in Schladming viele Reporter als Opfer des Zeitdrucks dem Zielraum fern, verfolgten die Rennen auf der riesigen Vidiwall im Pressezentrum und schrieben die ORF-Liveinterviews mit, an die sie im Ziel kaum zeitgerecht herangekommen wären. Unjournalistisch, aber Notwehr. Die Abwertung des Printjournalisten ist ungerecht und kurzsichtig. Denn Tageszeitungen und Magazine bereiten das Interesse an TV-Sportübertragungen erst auf. Kostenlos.

Kürzlich interviewte ich für NEWS Fußball-Weltstar Thierry Henry im Red-Bull-Stadion vor den Toren New Yorks. Ein Hinweis an der Kabinentür überraschte mich als Österreicher: „Medien willkommen 15 Minuten nach Spielende“. Willkommen in der Kabine. Wie es drüben auch im Eishockey, im Basketball und im Football selbstverständlich ist.

Die Amerikaner als Champions cleverer PR-Arbeit wissen, dass wir Journalisten sie brauchen, genauso aber sie uns. Ein in Europa unbekanntes Wechselspiel.

Hierzulande ist die Kabine tabu, einziger Treffpunkt die so genannte „mixed zone“, durch die der eine oder andere Sportler für kurze Wortspenden an den Reportern vorbeigeschleust wird. Das Rad der Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Spitzensportler haben heutzutage Verpfl ichtungen, an die man vor einigen Jahrzehnten nicht einmal dachte. Marcel Hirscher wird kurz nach einem Triumph nie allein an der Hotelbar lümmeln. Nicht selten gelten Sportreporter aber als nützliche Idioten, gerade gut genug als Werbetrommler – und nicht als Partner. Das ist ein grundsätzliches Missverständnis.


Zur Person: Michael Kuhn, 75, berichtete seit 1962 von insgesamt 24 Ski-Weltmeisterschaften, war Sportchef und Chefredakteur der „Kronen Zeitung“ und ist heute Präsident von „Sports Media Austria“, der Vereinigung der österreichischen Sportjournalisten.

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