Riesiger Kinderhandel aufgeflogen

Säuglinge aus Marokko in Spanien verkauft. Insgesamt werden bis zu 261 Fälle befürchtet.

von Ein Baby im Krankenhaus © Bild: APA/EPA/Dunyuan/Symbolbild

Wie spanische Medien am Donnerstag berichten, konnten 14 der damals verkauften Kinder bereits identifiziert werden. Die Polizei forschte 19 Personen aus, darunter Ärzte, Nonnen, Hebammen und Eltern, die den Kinderhändlerring formierten. Zwölf weitere Verdächtige seien bereits verstorben. Bei den meisten Verdächtigen handelt es sich um Familien aus der Ortschaft Ontinyent in der Nähe der Mittelmeermetropole Valencia. Sie werden nun unter anderem der Gefangennahme, Dokumentenfälschung und Vortäuschung einer Elternschaft beschuldigt.

Ein Ehepaar aus Ontinyent soll in Zusammenarbeit mit einer marokkanischen Frau sowie verschiedenen Ärzten, Nonnen und Hebammen in der spanischen Nordafrika-Exklave Melilla das Netz geleitet haben. Sie boten verarmten marokkanischen Müttern und Familien Beträge von umgerechnet 30 Euro und das Versprechen an, dass ihre Kinder in Spanien ein besseres Leben erwarten würden. In Spanien suchten sie zahlungswillige Eltern. Die marokkanischen Säuglinge wurden danach über die spanische Nordafrika-Exklave Melilla mit falschen Dokumenten von ihren Adoptiveltern aufs Festland geschleust, die zwischen 1.200 und 6.000 Euro für die Babys zahlten.

Jahrelange Ermittlungen
Der Kinderschmuggel wurde durch die Untersuchungen der Anadir-Organisation bekannt, welche die Fälle bereits 2011 bei der Polizei anzeigte. Nach zweijährigen Untersuchungen und in Zusammenarbeit mit der marokkanischen Polizei, konnten die ersten Fälle nun gelöst werden. Die Ermittlungen gehen weiter. Anadir wurde während der Suche nach in Spanien „geraubten“ Kindern auf den Kinderschmuggel aus Marokko aufmerksam.

Nachdem Antonio Barroso 2008 erfuhr, dass er seiner leiblichen Mutter im Krankenhaus geraubt und von seinen heutigen Eltern für Geld gekauft wurde, gründete er die Anadir-Opfervereinigung in Barcelona. Er machte seinen Fall in den Medien bekannt. Plötzlich meldeten sich immer mehr Personen, die an ihrer Herkunft zweifelten. Derzeit liegen Tausende von Anzeigen vor.

Lange "Tradition"
In Spanien selber wurden während der Franco-Diktatur und bis weit in die 90er Jahre anscheinend Hunderttausende Babys den Eltern direkt nach der Geburt weggenommen. Das Schema, das Ärzte, Hebammen und Nonnen benutzten, war immer gleich: Sie suchten sich arme oder allein stehende, junge Mütter und erklärten ihnen nach der Geburt, der Säugling sei gestorben. Skeptischen Müttern wurden eingefrorene Babyleichen gezeigt. Danach versprach man den Müttern, die Klinik würde sich um die Beisetzung kümmern. In Wirklichkeit wurden die Babys für viel Geld weiterverkauft. Bisher wurden nur einige Dutzend Fälle geklärt.

Eigentlich kannte man die systematischen Kindesentführungen nur aus der Zeit des Bürgerkriegs (1936–1939) und den schweren Nachkriegsjahren. Zehntausenden inhaftierten republikanischen Frauen wurden in jenen Jahren die Kinder, die im Gefängnis zur Welt kamen, weggenommen und an regimetreue, oft kinderlose Paare weitergereicht. „Der einst politisch motivierte Raub von Kindern wurde nach dem Ende des Franco-Regimes aber anscheinend zum lukrativen Geschäft für Ärzte, Hebammen, Pfarrer und Beamte", sagt Antonio Barroso gegenüber der APA. „Wir gehen davon aus, dass in Spanien rund 250.000 Babys auf diese Weise ihren wirklichen Eltern geraubt wurden“, so Barroso.

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