Ein Land geht fremd

Carina (Name von der Redaktion geändert) ist 36, seit zehn Jahren verheiratet und eigentlich ganz zufrieden mit ihrem Mann. Wolfgang kommt oft früher von der Arbeit nachhause, um mit den beiden Töchtern zu spielen. „Er deckt an den Wochenenden den Frühstückstisch und will mir eines Tages mein Traumhaus bauen“, erzählt die hoch aufgeschossene Blondine euphorisch. Abends, bei einem Glas Rotwein, sinnieren die beiden dann über die Möglichkeit eines dritten Kindes und den gemeinsamen Ruhestand auf dem Land. Und dennoch war da etwas, das die Büroangestellte aus der niederösterreichischen Bezirkshauptstadt vermisste: „Diese kleinen Aufmerksamkeiten, das Gefühl, wieder begehrt zu werden.“ Zwei Kleinkinder, die im Garten herumtollen, gemeinsam mit Mama basteln: Während Carina die Fotos ihrer Töchter zeigt, betastet sie sanft das kleine Tattoo mit den Geburtsdaten ihrer Kids am Handgelenk. Ein Familienidyll – und dann der Filmriss: Das erste Mal ging Carina schon zwei Jahre nach der Hochzeit fremd. „Es war nicht geplant, es passierte einfach in einer feuchtfröhlichen Nacht in Wien.“ Ein Geschäftsmann hatte so geistreiche Komplimente gemacht, dass sie ihre Freundinnen und den Cocktailabend im „Planter’s Club“ bald links liegen ließ. Sie saß mit dem Fremden bis weit nach Mitternacht an der Bar. Erst lachend, dann flirtend und irgendwann Händchen haltend. Carina ließ sich fallen und genoss die Nacht mit ihm. Doch am kommenden Morgen plagte sie nur Kopfweh, keine Gewissensbisse. Ihr Mann und die Kleinen waren immer noch weit weg, als sie ihre Kleider vom Hotelzimmerboden zusammenklaubte. „Ich fühlte mich sogar wirklich gut.“

Der Klick zum Kick
Carina ist alles andere als allein: In Westeuropa pflegen 60 Prozent aller verheirateten Männer und 50 Prozent aller Frauen mindestens einmal im Leben die „außereheliche Kopulation“, formuliert es der britische Verhaltensbiologe Robin Baker strikt zoologisch. Fremdgehen ist zwar so alt wie die Menschheitsgeschichte. Neu ist, wie einfach es geht: Profil mit Nickname anlegen, Foto hochladen, Präferenzen anklicken, und binnen Minuten steht eine erste Auswahl an potenziellen Sexpartnern parat. Bereits 150.000 Österreicherinnen und Österreicher, so viele wie Salzburg Einwohner hat, tummeln sich im Internet auf Seitensprung-Portalen – Tendenz: steigend. Allein in den Chatrooms von Marktführer „Ashley Madison“ sind 73.000 paarungsbedürftige Landsleute aktiv. Warum? Die digitalisierte Welt wischt alle katholische Zurückhaltung mit einem Klick weg, das Internet schenkt Anonymität und Diskretion. Im Gegensatz zur Partnerschaft trauen wir uns auf diesem Wege, sexuelle Missstände tabulos zu diskutieren – um sie danach in fremden Betten auszugleichen. Eine Art Don-Juan-Syndrom, ein Leben im Zeichen verwegener Verführung? Ganz und gar nicht. Die Sexualtherapeutin und Ärztin Elia Bragagna: „Jetzt, da sich Affären so leicht realisieren lassen, machen immer mehr biedere Durchschnittsbürger immer intensiver von dieser Möglichkeit Gebrauch.“ „Ashley Madison“ befragte für NEWS 1.500 seiner österreichischen User nach ihren Motiven. Ergebnis: Satte 74 Prozent klagten über ein „unerfülltes Sexualleben in der Partnerschaft“.

„kn1976“ bricht aus
Österreich – ein Land geht fremd. NEWS hat sich bei „Ashley Madison“ eingeloggt und Dutzende Menschen, Männer wie Frauen, im Chat oder persönlich getroffen. „Ich bin seit 28 Jahren verheiratet – eigentlich glücklich, wären da nicht die Defizite. Ich mag eine gewisse Leichtigkeit, Spontanität. Ich will weg aus eingefahrenen Bahnen“, schreibt etwa „Toplady161“, eine 49-jährige Wienerin aus gut bürgerlichem Haus, an Redakteur Bastian Kellhofer. Auch „kn1976“, 35-jährig und auf der Suche nach der geeigneten Partnerin für eine Affäre, will zwischendurch immer wieder raus aus dem ehelichen Gefühlstrott: „Der Sex kommt zu kurz. Wenn wir welchen haben, hat er immer das gleiche Schema. Ein Seitensprung tut der Beziehung gut, zumindest war es bei mir so. Man ist irgendwie entspannter, und natürlich spielt der Abenteuereffekt eine große Rolle“, schreibt er an Redakteurin Daniela Schmied. Nein, es sind keine notorischen Playboys und abgehalfterten Lebemänner, die da im Netz nach Befriedigung suchen, keine frustrierten Millionärsgattinnen oder findige Prostituierte auf Kundenfang. Es sind ganz normale Angestellte, Studentinnen, Juristen und Hausfrauen.

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