Der Arztbesuch

Eingriff oder nicht, das ist die Frage

"Sie hätten früher kommen sollen, diesmal war es fast zu spät." Sie sitzen einander gegenüber, Arzt und Patient.

von Schlaglichter - Der Arztbesuch © Bild: iStockphoto.com

"Was meinen Sie mit fast?"

"Wären Sie nicht gekommen, wer weiß, was sich daraus entwickelt hätte ", sagt der Arzt.

"Aber es ist doch alles in Ordnung jetzt?" "Es ist zwar in Ordnung, aber um ganz sicher zu gehen, würde ich Ihnen dennoch eine weitere Untersuchung empfehlen", der Arzt schaut auf die Diagnose.

"Was für eine Untersuchung?", fragt der Patient. "Ein kleiner Eingriff, völlig harmlos", antwortet der Arzt.

"Aber Sie meinten doch eben, es sei alles in Ordnung!" Der Patient richtet sich auf. "Ja, ist es auch, aber genau weiß man das nie." "Was meinen Sie mit kleinem Eingriff?", fragt der Patient.

"Wir schneiden ein Stück heraus und untersuchen es." "Was, herausschneiden?", fragt der Patient. "Sie spüren gar nichts, machen wir unter Narkose." Der Arzt lächelt.

"Und die Narkose, ist die nicht gefährlich?" "Minimales Risiko", sagt der Arzt.

"Minimal, so minimal wie die nicht entdeckte Erkrankung?", fragt der Patient. "Wie meinen Sie das?", fragt der Arzt.

"Also, wenn ich Sie richtig verstehe: Mach ich den Eingriff nicht, verhindere ich das minimale Risiko des Eingriffs, wird der Eingriff gemacht, reduziert es das minimale Risiko einer nicht entdeckten Erkrankung?", fragt der Patient. "Ja, so ungefähr ", murmelt der Arzt.

Vergleich der Risiken

"Eben, was ist jetzt gefährlicher, Eingriff oder nicht entdeckte Erkrankung, womit geh ich das größere Risiko ein?", fragt der Patient. "Das kann man nicht miteinander vergleichen", sagt der Arzt.

"Ja, das ist mir schon klar, aber die Gefahren müssten doch vergleichbar sein", sagt der Patient. Er lehnt sich wieder zurück, spricht ruhig und langsam. "Nein, kann man nicht", sagt der Arzt.

"Komisch, ich dachte, man kann doch immer entscheiden, je nachdem, was gefährlicher ist, also wenn ich zum Beispiel ", er räuspert sich, fährt sich mit der Hand übers Kinn. "Warten Sie", sagt er plötzlich, zieht die Augenbrauen hoch, als wäre ihm etwas eingefallen. "Ich versuch's mit einem anderen Beispiel, also, wenn ich zum Beispiel Tauchen gehe, dann ist das mit einem gewissen Risiko verbunden."

"Was soll das jetzt, dazu hab ich wirklich keine Zeit, ich versteh nicht, was das mit Tauchen zu tun hat, ich glaub, Sie sollten ", der Arzt steht auf und deutet mit der Hand in Richtung Tür. "So warten Sie doch, ich muss mich ja entscheiden ... sagen wir, also einer geht tauchen und riskiert dabei, nicht mehr aufzutauchen, und ein anderer geht Fallschirmspringen und der Schirm öffnet sich nicht." Auch der Patient ist jetzt aufgestanden.

"Ich muss jetzt weiter, melden Sie sich, wenn Sie sich " Der Arzt greift nach der Türklinke. "Nur die eine Frage noch, was ist riskanter, Tauchen oder Fallschirmspringen?", fragt der Patient und sieht dem Arzt in die Augen. "Also, wenn Sie mich so fragen wahrscheinlich das Fallschirmspringen, beim Tauchen kann man Sie immer noch herausholen, öffnet sich der Schirm nicht, ist es vorbei", antwortet der Arzt und ärgert sich, dass er auf die Frage reagierte. "Sehen Sie, jetzt vergleichen Sie die Risiken und haben sogar eine Meinung zu den Unterschieden." Der Patient lächelt. "Man kann es trotzdem nicht vergleichen, in der Medizin geht das nicht", sagt der Arzt. "Aber Sie haben eben die Gefahren zwischen Tauchen und Fallschirmspringen verglichen, beide sind ganz unterschiedlich-gefährlich!", antwortet der Patient.

Der Arzt öffnet die Tür und sagt: "Es reicht mir jetzt, das geht doch zu weit. Ich habe versucht, Ihnen zu erklären, dass, wenn Sie keinen Eingriff wollen, es das Risiko mit sich bringt, eine Resterkrankung nicht zu entdecken. Die Entscheidung liegt bei Ihnen!"

"Aha, also ist der Eingriff eher das Tauchen als das Fallschirmspringen?", fragt der Patient.

Die nicht entdeckte Krankheit

Der Arzt beginnt zu schmunzeln, wiegt den Kopf hin und her und sagt: "Sie sind wirklich ein komischer Kauz, lassen Sie mich nachdenken "

"Schwierig, soll ich eher tauchen oder springen oderbeides vermeiden, aber das geht ja gar nicht ?", sagt der Patient und setzt sich wieder.

"Ich kann das nicht vergleichen und muss jetzt weiter, Sie können ruhig hierbleiben und nachdenken", sagt der Arzt.

"Die nicht entdeckte Krankheit, ist die so gefährlich wie Tauchen oder Fallschirmspringen?", spricht der Patient mehr zu sich selbst.

"So kommen wir nicht weiter, bitte ", sagt der Arzt. "Ich kann mich nur entschließen, wenn ich zwischen dem Risiko des Eingriffs und dem Risiko der nicht entdeckten Erkrankung entscheiden kann, für Sie ist beides ein minimales Risiko und Sie scheuen sich, eine Empfehlung auszusprechen." Der Patient hebt den Kopf und sieht den Arzt an.

"Das stimmt nicht, mein Rat ist, riskieren Sie den Eingriff, weil ich die Gefahren nicht abschätzen kann, wenn man nichts tut", sagt der Arzt.

"Eben, einerseits hat beides für Sie ein minimales Risiko, dennoch ist der Eingriff für Sie das Tauchen, das heißt, weniger gefährlich, obwohl ich nach der Narkose nicht mehr aufwachen könnte und es dann eigentlich wie das Fallschirmspringen ist", sagt der Patient.

"Jetzt hören Sie doch auf!" Der Arzt wendet sich wieder der Tür zu.

"Warten Sie, einen Moment noch, aber eigentlich bin ich ja gesund", sagt der Patient mehr zu sich selbst.

"Ja, schon, fragt sich nur, wie lange noch und wie lange ich noch gesund bin, wenn ich Ihnen noch weiterzuhöre " Der Arzt hat die Türklinke wieder losgelassen.

Tauchen oder Fallschirmspringen

"Ja, wie lange noch? Wie lange werde ich wohl noch gesund sein, wenn das irgendwer wüsste, würde ich mein Leben verkürzen mit dem Eingriff oder der nicht entdeckten Krankheit?" Er schaut auf den Boden, währender spricht.

"Sie sind wirklich kein einfacher Patient, ich weiß auch nicht, wie ich Ihnen helfen könnte", sagt der Arzt.

"Gleich, nur ganz kurz noch, ich muss nur etwas nachdenken", sagt der Patient. "Wir sind gleich dort. Also, wenn ich jetzt gesund bin, aber Sie sich nicht ganz sicher sind und niemand weiß, wann ich eventuell krank werde wegen einer unentdeckten Erkrankung, jedoch diese erkannt werden könnte durch den Eingriff unter der Voraussetzung, dass mich der Eingriff nicht umbringt, und der Eingriff zeigen würde, dass derzeit keine oder eben schon eine Gefahr drohe, dann sollte ich mich eigentlich für den Eingriff entscheiden. Der Eingriff ist für Sie eindeutig das Tauchen, durch den Eingriff könnten Sie mich sozusagen aus dem Wasser holen. Aber ganz anders ist es, wenn kein Eingriff gemacht wird, das bewahrt mich zwar vor dem Risiko des Eingriffs, und ich doch aufgrund ihrer Meinung jetzt eigentlich gesund bin, was allerdings einen Einfluss auf eine spätere Erkrankung haben könnte, weil ja niemand weiß ohne Eingriff, ob etwas entdeckt werden könnte, was man, ohne ein Stück rauszuschneiden, nicht sehen würde, da sein könnte oder auch nicht, und die nicht entdeckte Erkrankung das Risiko des Eingriffs eben rechtfertigt, aber ohne jetzt nachschauen gäbe es keine spätere Rettung, wie beim Fallschirmspringen!"

Ich brauche Ihren Rat

"Ich verstehe Sie nicht und kenne mich wirklich nichtmehr aus, ich will nicht sagen, dass das Gespräch mit Ihnen nicht amüsant war, aber ich hab auch andere Patienten, die auf mich warten, verständigen Sie mich einfach, wozu Sie sich entschlossen haben", sagt der Arzt.

"Aber Sie können mich doch jetzt nicht allein lassen. Ich brauche doch Ihren Rat!" Der Patient ist wieder aufgestanden.

"Nein, den brauchen Sie nicht ", antwortet der Arzt und lächelt. "Natürlich brauch ich den!" Der Patient geht einen Schritt auf den Arzt zu. Der weicht zurück, öffnet die Tür und sagt: "Nein! Für Sie war von Beginn an der Eingriff das Fallschirmspringen und der Nichteingriff das Tauchen, und Sie haben sich längst entschlossen, den Eingriff nicht zu machen!" "Wieso wissen Sie das?" Doch der Arzt hatte das Zimmer bereits verlassen.