Recht nett: Tschechows "Möwe" in den Kammerspielen

von Recht nett: Tschechows "Möwe" in den Kammerspielen © Bild: APA/APA/Theater in der Josefstadt/Moritz Schell

Nils Arztmann als Konstantin und Sandra Cervik als Irina

Mit Torsten Fischers Inszenierung von Tschechows "Die Möwe" begann im Jahr 2022 die neue Ära der Festspiele Reichenau unter der Leitung von Maria Happel. Für die Wiener hat der Deutsche eine eigene Fassung kreiert, die am Donnerstag in den Kammerspielen der Josefstadt Premiere feierte. Vielleicht kann man es am besten mit den Worten einer Figur beschreiben: recht nett, recht talentiert, aber kein Tolstoi.

Torsten Fischer hat den Klassiker von Anton Tschechow vor zwei Jahren bei den Festspielen Reichenau schon einmal inszeniert. Damals mit Vollmond, Nebel und einem Emo-Helden. Davon war in den Kammerspielen nichts mehr zu sehen. Die Bühne von Vasilis Triantafillopoulos und Herbert Schäfer ist im Grunde fast leer. Im Hintergrund läuft ein Video, der See, an dem sich die Familie trifft. Es gibt einen transparenten Vorhang und ab und zu wird eine Matratze auf die Bühne geschoben. Die Besetzung ist, bis auf zwei Schauspieler, die gleiche, aber der deutsche Regisseur hat eine zweite Chance bekommen und beginnt diesmal nicht mit der Frage nach dem Krieg, sondern im Sinne von Shakespeare nach der Existenz.

"Sein oder nicht sein, Mama, das ist die Frage!" Ähnlich wie Hamlet hadert Konstantin (Nils Arztmann) mit sich selbst, beschreibt das Leben als eine Qual und sehnt sich nach dem Tod. Um seine Mutter (angemessen theatralisch: Sandra Cervik) zu beeindrucken, hat er ein Stück geschrieben. Er will das Theater verändern. Er will neue Formen finden. "Wir müssen der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten! Es wird warm. Die Welt brennt!", sagt er - ein Seitenhieb auf den Klimawandel. Das Theater müsse politisch sein. Ähnliches versucht Torsten Fischer, indem er von einer Jugend erzählt, die an einer grausamen Zukunft zerbricht.

Konstantins Geliebte Nina (Paula Nocker) spielt die Solorolle in seinem Stück, aber es ist zu abstrakt für die anwesenden Egozentriker, die sich hier im Seehaus versammelt haben. Die Mutter, eine berühmte Schauspielerin, macht sich über ihn lustig. Der unverstandene Sohn ist geknickt. Er hat sich weißes Clown-Make-Up ins Gesicht geschmiert und die Lippen rot bemalt. Das Motiv des tragischen Clowns scheint sich derzeit übrigens wie ein roter Faden durch die Wiener Theaterszene zu ziehen: Zuerst Elias Eilinghoffs (großartiger) "Diener zweier Herren" im Volkstheater, dann Nicholas Ofczareks clownesker Danton am Burgtheater. Und jetzt Konstantin, den der junge Arztmann (eindeutig der Star des Abends) mit Wut und Verzweiflung im Bauch wirklich hervorragend spielt.

Tschechows Tragikomödie, die der russische Schriftsteller 1896 in vier Akten auf die Bühne brachte, handelt vom Scheitern, vom Hätteseinkönnen, von unerwiderter Liebe, von der Unerträglichkeit der Mittelmäßigkeit und der "Kunst zu leiden", wie es eine Figur an einer Stelle so schön sagt. Das Leben ist vereitelt, nie ganz erfüllt, immer auch ein Konjunktiv.

Nina verliebt sich in Trigorin (Claudius von Stolzmann), den berühmten Schriftstellerfreund der Mutter - bis der sie wieder abserviert. Konstantins trinkfester Onkel (köstlich: Martin Schwab) beteuert, dass er sein Leben "verplempert hat". Der Arzt (Günter Franzmeier) trauert seiner Jugend hinterher. Markus Koflers Hausverwalter sorgt für ein paar Lacher mit seinen Dummheiten, aber seine Frau Polina (Alexandra Krismer) ist in den Arzt verliebt, während seine Tochter Mascha (hervorragend desolat: Johanna Mahaffy) ihr "beschissenes Leben" beklagt. Und alle saufen sie Wodka, als gäbe es kein Morgen.

Die Kostüme sind nicht besonders erwähnenswert und mit der Musik von Radiohead trägt Fischer ein wenig zu dick auf am Ende. In den Szenen, die am besten funktionieren, sind die Schauspieler kraftvoll: wenn Konstantins Mutter ihm sagt, er sei ein "Versager"; wenn er sie anfleht, nicht fortzugehen. Und weil dies ein Tschechow-Stück ist, muss natürlich am Ende die eingangs zur Schau gestellte Waffe abgefeuert werden. Vielleicht zu melodramatisch für ein vom Leben längst abgehärtetes Publikum.

(Von Marietta Steinhart/APA)

(S E R V I C E - "Die Möwe" von Anton Tschechow in den Kammerspielen der Josefstadt, Rotenturmstraße 20, 1010 Wien. Regie: Torsten Fischer, Bühnenbild und Kostüme: Vasilis Triantafillopoulos und Herbert Schäfer, Video: Jan Frankl, Dramaturgie: Herbert Schäfer, Licht: Sebastian Schubert, Mit: Sandra Cervik - Irina Arkadina, Nils Arztmann - Konstantin (Kostja), Paula Nocker - Nina, Martin Schwab - Pjotr Sorin, Markus Kofler - Schamrajew, Alexandra Krismer - Polina, Claudius von Stolzmann - Trigorin, Johanna Mahaffy - Mascha, Günter Franzmeier - Arzt, Jakob Elsenwenger - Lehrer. Weitere Vorstellungen am 30. März, 4., 5., 15. April, 3., 7., 8. Mai, 10., 25. Juni)