Polt jagt wieder

Nach zehn Jahren Abstinenz dreht Julian Pölsler eine neue Folge

von Polt © Bild: ORF/Epo Film/Oliver Roth

Das Gasthaus Kopp hat sich vor dem Sterben noch einmal ins Gewand der Wichtigkeit geworfen. Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr sperren die leere Straße gegen Phantompassanten. Scheinwerfer heizen durch die Fenster. Berühmtheiten aus Theater, Funk und Film treffen ein, werden von Kostüm- und Maskenbildnerin empfangen, erwarten verwandelt, in unruhiger Konzentration, ihren Aufruf und verschwinden durch die Tür zur Schankstube. Vor zehn Jahren war das Gasthaus Kopp noch ganztags geöffnet. Jetzt unterwirft es sich den literarischen Tatsachen und sperrt, wie im Roman, nur noch freitags, samstags und sonntags auf, und auch das nur noch bis Jahresende. Der Betrieb lohnt nicht mehr.

Polt ermittelt wieder.

Mailberg ist einer der vielen sterbenden Orte im Weinviertel. Mailberg wurde berühmt, als hier in den Jahren 2000 bis 2003 Alfred Komareks ingeniöse Kriminal-Tetralogie um den Gendarmen Simon Polt verfilmt wurde: vier Folgen nur, eine für jede Jahreszeit, und doch ein medienhistorisch relevantes Ereignis vom Format des "Mundl“, der "Alpensaga“ oder der Joseph-Roth-Verfilmungen von Michael Kehlmann. Das Bild des sorgenvollen Dorfgendarmen hat Unvergänglichkeitswert: Erwin Steinhauer, auf dem Dienstfahrrad durch die weiten Weinberge und die toten Kellergassen schwankend, gleich einem Schmerzensmann die Passionen der Opfer und der Täter auf sich ladend, weil er einer der Ihren ist. Jetzt entsteht hier, wieder mit Steinhauer und wieder in Julian Pölslers Regie, der fünfte "Polt“. Er soll um Weihnachten den öffentlich-rechtlichen Kulturauftrag Faktum werden lassen.

Pölsler im Oscar-Bewerb.

Um den maßgeblichen österreichischen Regisseur Julian Pölsler, 59, zu treffen, sind wir ins Niederösterreichische gekommen: Die Österreichische Filmkommission hat ihn mit dem Meisterwerk "Die Wand“ in den Bewerb um den Auslands-Oscar geschickt. Die Verfilmung des Romans von Marlen Haushofer bringt die Atmosphäre der Angst und Vereinsamung in den österreichischen Fünfzigerjahren zu unheimlicher Konzentration. Eine Frau findet sich plötzlich allein im Gebirge unter einer unsichtbaren Glaskuppel, letzte Überlebende einer Katastrophe, die draußen alles Leben ausgelöscht hat.

So präzise gegenwärtig ist der Alptraum in den heute obwaltenden Zeiten der Kälte, dass Stephen King mit der amerikanischen Hochqualitätsserie "Under the Dome“ zum nahezu identischen Bild gelangte. "Du hast keine Chance, also nutze sie“, zitiert der charismatisch stille Pölsler den Ermunterungssatz der Achtundsechziger. "Nach zweimal Haneke ist die Möglichkeit, nominiert zu werden, gering. Aber Österreich nach Hollywood zu tragen, ist schon eine große Ehre, um es olympisch zu sagen. Dabei zu sein ist hier tatsächlich viel“, fügt er hinzu und verweist auf die Auszeichnungen, die dem bei der Berlinale prämiierten Film zugedacht wurden: der "Guardian“ lobte, die "Washington Post“ vergab vier von fünf Sternen, 68.000 Menschen äußerten sich in einem Blog zu Pölslers Werk, das in amerikanischen Independent-Kinos ein keineswegs unbeachtetes Dasein führt.

In der Fernsehgeschichte.

Statt in überseeischen Geschäftsexaltationen aber findet sich der Berichterstatter in der österreichischen Fernsehgeschichte wieder. Das Gasthaus ist noch dasselbe und die Besetzung so hoch wie einst. Elisabeth Orth und Hans-Michael Rehberg kommen von den Proben zum Burgtheater-"Hamlet“. Rehberg ist wieder der alte Kurzbacher, unheimlich in seiner idiomatischen Perfektion: Er lässt sich von einem Weinbauern gegen Gebühr jeden Satz seines Textes vorsprechen und gibt ihn makellos wieder. Seinerzeit schon beklagten sich Leute aus der Gegend, dass nur ein einziger aus dem Pulkautal in die Besetzungsliste gefunden habe. Der eine war Hans-Michael Rehberg aus Berlin.

Elisabeth Orth wiederum muss eine Tote substituieren. Monika Bleibtreu, die Gemischtwarenhändlerin "Frau Habesam“, ist verstorben und die Orth "Frau Haupt“, ihre Schwester. Auch Ludwig Hirsch, Otto Anton Eder, Hans Clarin und Heinrich Schweiger aus der alten Besetzung leben nicht mehr.

Dafür tritt Cornelius Obonya in den lebensgefährlichen erotischen Wettbewerb mit dem gleichfalls neuen Fritz Karl, der den Polizisten Sailer verkörpert. Sailer ist der Mörder, und das darf gesagt werden, denn Alfred Komareks fünfter und letzter "Polt“-Roman ist seit 2009 käuflich erwerbbar. Obonya als ehemaliger Polizist erfreut außerehelich Sailers Gattin, und er ist nicht der Einzige. Auch das Mordopfer, ein Wein-Scout, hat bei der Dame Erhörung gefunden.

Polt soll weitergehen.

Polt ist noch keine Sechzig und hat doch schon den Dienst quittiert, denn die Zeiten konvenieren ihm nicht mehr. Die Gendarmerie ist jetzt die Polizei und blau statt flaschengrün. Dass der Mörder ein Polizist und Frauenschläger ist, hat Methode. "Eine anarchistische Geschichte“, sagt Pölsler. Polt verdingt sich als "Kellergassen-Guide“ für die Restpopulation versprengter Urlauber und hat sich mit zweien aus dem Dorf - Rehberg und Franz Friedrich - zusammengeschlossen, um das bankrotte Wirtshaus wenigstens an drei Tagen offen zu halten. Die Landschaft in ihrer depressiven Weite bleibt Protagonistin, aber der Ablauf wird schneller, witziger. Und: Polt geht auf Reisen, schifft sich mit Kurzbacher und einem Koffer voller Weinflaschen in Krems nach Odessa ein. Und, noch spektakulärer: Drei weitere "Polt“-Folgen sind angedacht, nach der aktuellen Herbst-Episode wieder rund um die Jahreszeiten und wieder auf Reisen. Das Geld ist noch nicht aufgebracht, aber Programmdirektorin Kathrin Zechner dafür.

"Wehmütig“ nennt Erwin Steinhauer das nun Erlebte, das voller Erinnerung ist: an verstorbene Kollegen und an die Orte von damals, in denen die Zeit stehen geblieben ist. "Es ist so still wie vor zehn Jahren. Zu gewissen Uhrzeiten sieht man keinen Menschen auf der Straße. Man glaubt, eine Neutronenbombe hat eingeschlagen.“ Polt, der Zivilist, trägt noch die alten Hemden und Uniformhosen auf, Steinhauers Präsenz hat eine neue Dimension erreicht. "Wenn man das Drehbuch liest, ist man sofort im Gefühl, in der Struktur dieser Figur. Wenn man das G’wand anhat und herumschaut in diesen wunderbaren Motiven, dann kommt alles wieder.“ Hoch an der Zeit, dass so etwas wiederkommt.

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