Moskau und Kiew: Gegenseitige Angriffe mit mehreren Toten

von Moskau und Kiew: Gegenseitige Angriffe mit mehreren Toten © Bild: APA/APA/AFP/SERGEY BOBOK

Feuerwehr nach russischen Angriffen in Charkiw im Einsatz.

Moskau und Kiew werfen einander gegenseitige Angriffe mit getöteten Zivilisten vor. Bei einer russischen Luftattacke auf die ostukrainische Großstadt Charkiw wurde am Samstag laut Behörden ein Baumarkt getroffen. Dabei habe es elf Tote und 40 Verletzte gegeben, hieß es Sonntag früh. Russisches Bombardement gab es auch in der Nacht, hieß es. Bei ukrainischem Raketenbeschuss in der Region Belgorod (Südrussland) sollen wiederum mindestens vier Menschen ums Leben gekommen sein.

Der Regionalgouverneur von Belgorod teilte über die Nachrichten-App Telegram den Tod von vier Einwohnern nach einem Angriff der Ukraine mit. Wjatscheslaw Gladkow zufolge sollen drei Menschen in dem Dorf Oktyabrsky bei einem Raketenangriff getötet worden seien. Ein weiterer Mann starb, nachdem er nach dem Vorfall ins Krankenhaus gebracht worden war. Bei zwei Granatenangriffen sollen außerdem zwölf Menschen verletzt worden sein, darunter ein Kind. Gladkow erklärte zudem, die russische Luftabwehr habe 29 Ziele abgefangen und zerstört habe.

Zum Zeitpunkt des Angriffs auf Charkiw am Samstag hielten sich rund 200 Menschen in dem Markt auf, wie Präsident Wolodymyr Selenskyj auf der Plattform X mitteilte. "Es gab Tote und Verletzte", schrieb er zum "brutalen Angriff" des russischen Militärs. 16 Personen wurden vermisst. Es gebe inzwischen elf Tote, teilte der Gouverneur der Region Charkiw, Oleh Synegubow, am Sonntag in der Früh im Onlinedienst Telegram mit. Zuvor hatten er und Bürgermeister Ihor Terechow von sechs Toten, 40 Verletzten und 15 Vermissten gesprochen. Das Gebäude war nach Angaben des Gouverneurs am Samstag von zwei Lenkraketen getroffen worden.

Videoaufnahmen zeigten nach dem Angriff dichte Rauchwolken über dem Gelände des Baumarkts. Nach Angaben der Behörden stand eine Fläche von 10.000 bis 15.000 Quadratmetern in Flammen. Der Gouverneur der umliegenden Region Charkiw, Oleh Synegubow, sagte, dass der Baumarkt von zwei Lenkraketen getroffen worden sei. Bürgermeister Terechow erklärte: "Eine große Zahl von Menschen wird vermisst. Es gibt viele Verletzte." Nach Angaben des Baumarktbetreibers hätten sich zum Zeitpunkt des Angriffs etwa 200 Menschen im Gebäude aufgehalten, 15 Beschäftigte seien nicht erreichbar.

Das russische Militär behauptete später, die ukrainischen Streitkräfte hätten in dem Baumarkt ein Waffenlager versteckt. "In Charkiw wird die Taktik der menschlichen Schutzschilde angewendet - sie (die Ukrainer) haben ein Militärlager und einen Kommandoposten in einem Einkaufszentrum eingerichtet, was von unserem Geheimdienst entdeckt wurde", zitierte die Staatsagentur Tass einen namentlich nicht genannten Vertreter der russischen Führung.

In der Nacht auf Sonntag bombardierte Russland die Ukraine nach Kiewer Militärangaben mit Raketen, Marschflugkörpern und Kampfdrohnen aus der Luft. Die Ukraine hat eigenen Angaben zufolge zwölf von Russland abgeschossene Raketen und 31 Drohnen zerstört. Dabei kamen auch Hyperschallraketen vom Typ Kinschal zum Einsatz, wie die ukrainische Luftwaffe auf ihrem Telegramkanal mitteilte. Die Ziele schienen demnach vor allem im Westen des Landes zu liegen. Explosionen wurden aus dem Gebiet Chmelnyzkyj gemeldet, dort liegt auch die wichtige ukrainische Luftwaffenbasis Starokostjantyniw. Im Gebiet Winnyzja wurde nach Angaben der Regionalverwaltung ein Wohnhaus getroffen. Auch die Region Lwiw an der Grenze zu Polen wurde angegriffen, wie der Bürgermeister von Lwiw, Andrij Sadowyj, auf Telegram schrieb.

Eine Übersicht über Schäden und mögliche Opfer gab es in der Nacht nicht. Auch in der Nähe der Hauptstadt Kiew sei eine Explosion zu hören gewesen, berichtete der öffentliche Rundfunk Suspilne. In Kiew suchten wie immer bei Luftalarm viele Menschen in der U-Bahn und anderen Bunkern Schutz.

Der schwere nächtliche Luftangriff hatte sich mit dem Start von strategischen Bombenflugzeugen Tu-95 in Russland abgezeichnet, die Marschflugkörper abschießen. Später stiegen auch Kampfjets MiG-31 auf, die Trägersystem der Kinschal sind.

Selenskyj forderte die westlichen Verbündeten der Ukraine nach dem Angriff erneut auf, seinem Land mehr Luftabwehrsysteme zu liefern. "Wenn die Ukraine genug Luftabwehrsysteme und moderne Kampfflugzeuge hätte, wären solche russischen Angriffe unmöglich", erklärte der Präsident. "Jeden Tag appellieren wir an die Welt: Gebt uns eine Luftabwehr, rettet Menschen."

Der jüngste russische Angriff ist nach Worten Selenskyjs "eine weitere Manifestation des russischen Wahnsinns". "Nur Wahnsinnige wie (Kremlchef Wladimir) Putin sind in der Lage, Menschen auf so abscheuliche Weise zu töten und zu terrorisieren", sagte der ukrainische Präsident am frühen Samstagabend in seiner täglichen Videoansprache.

Charkiw ist die zweitgrößte Stadt der Ukraine. Sie liegt im Nordosten des Landes nahe der russischen Grenze und wird regelmäßig von Russland angegriffen. Am Donnerstag waren bei russischen Angriffen auf die Stadt nach Angaben der Behörden sieben Menschen getötet worden.

Am 10. Mai hatte die russische Armee in der Region eine Bodenoffensive gestartet. Am Samstag beschoss Russland nach Angaben der ukrainischen Staatsanwaltschaft auch das Dorf Kupjansk-Wuslowyj, einen Eisenbahnknotenpunkt in der Region Charkiw nahe der Grenze, und verletzte dabei fünf Menschen. Zwei Fahrzeuge seien unter Beschuss geraten: ein Auto mit zwei Insassen sowie ein Rettungswagen mit einem Fahrer, einem Sanitäter und einem 64-jährigen Patienten.