Ein Mord-Versuch: Der neue "Lohengrin" der Wiener Staatsoper

von Ein Mord-Versuch: Der neue "Lohengrin" der Wiener Staatsoper © Bild: APA/APA/WIENER STAATSOPER/MICHAEL PÖHN

Ach Menno! Das Ende ist für Lohengrin bekanntlich immer frustrierend

Die Rollenbilder kommen ins Wanken - nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch beim neuen "Lohengrin" der Wiener Staatsoper. Im Experiment des Regieduos aus Jossi Wieler und Haus-Chefdramaturg Sergio Morabito werden die Zuschreibungen vertauscht: Die vermeintlich Unschuldigen sind die Täter und die scheinbar Sinistren die Aufklärer. Denn schließlich geht es hier um einen Mordversuch - der am Ende mit satten Buhs quittiert wurde.

Bei der von den Osterfestspielen Salzburg übernommenen Inszenierung gilt das Motto "Nimm dich in Acht vor blonden Frauen", um einen Marlene-Dietrich-Klassiker zu zitieren. Denn die mit ebensolcher Haarpracht ausgestattete Elsa von Malin Byström ist in dieser Regiearbeit tatsächlich dafür verantwortlich, dass Thronfolger Gottfried nicht vom Spaziergang mit ihr zurückkehrt. Die sonst unschuldige Elsa wird zur kaltblütigen Täterin, die bereits im Vorspiel ihren Bruder in einem Kanal versenkt, um den herum sich das gesamte Geschehen abspielt - wenn auch im Vergleich zum breiten Bühnenportal des Salzburger Festspielhauses notgedrungen etwas gestaucht.

Die Elsa ist hier ein überspannt-entrücktes Wesen, die Irrationale, während die Ortrud von Anja Kampe für die Ratio steht und den Mord, den sie beobachtet hat, gesühnt haben möchte. Auch Gespiele Telramund ist nun mehr Detektiv denn machtgeiler Möchtegernusurpator. Eine echte Rollenumkehr. Der gottgesandte Held Lohengrin (David Butt Philip) kommt zwar in hübscher Lockenperücke, aber ansonsten aus der Zeit gefallen mit Kettenhemd und Rüstung daher, die durch eine an den Knien aufgerissene Hose blitzt. Die Brabanter akzeptieren diesen etwas abgeratzten Helden dennoch als ihren Erlöser. Lohengrindig. Die übrigen Kostüme von Anna Viebrock changieren zwischen Erstem Weltkrieg für die Soldaten und heutiger Alltagskleidung für die Zivilisten.

Die Bösen sind hier also die Guten - und das gilt nicht nur im Bezug auf den Mordfall. Martin Gantner stellt bei seinem Hausdebüt einen Telramund auf die Bühne, der zwar schon vor dem Beginn des Kampfes mit Lohengrin einen Herzanfall erleidet, aber ansonsten mit scheinbar unendlicher Energie und Leidenschaft überzeugt, worin ihm Anja Kampe als süffisante Ortrud in nichts nachsteht. Beim Lohengrin von David Butt Philip und Malin Byströms Elsa wäre hingegen stimmlich Luft nach oben, die eben genau dann immer wieder fehlt. Beide liefern solide Rolleninterpretationen, müssen aber oft forcieren, wenn es in die Höhe geht.

Diese verkehrte Wagner-Welt auf der Bühne geht in vielem durchaus stimmig auf, lässt aber immer wieder auch Brüche offen. Am Ende ist Elsa als Mörderin gescheitert und zieht den lädierten Gottfried aus dem Wasser. Dieser tritt entkräftet die Thronfolge an und rammt Schwesterherz ein Schwert in selbiges. Das Publikum geht bei diesem Gedankenexperiment jedenfalls mehrheitlich nicht mit und lässt seinem Unmut in Richtung Regieteam freien Lauf.

So bleibt am Ende der Meistumjubelte des Abends Christian Thielemann. Beim Wagner-Platzhirsch tritt verlässlich der ansonsten seltene Fall ein, dass ein Dirigent mehr gefeiert wird als alle Übrigen einer Produktion - und das zu Recht. Dem designierten Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden gelingt es bei seinem Leib- und Magenkomponisten immer wieder, einzelne Stellen, die man vermeintlich kennt, gänzlich neu klingen zu lassen. Da werden die Geigen bei einem Übergang zurückgenommen, um den sonst stets etwas abrupten Übergang vom Bläsercrescendo zu mildern - und schon gewinnt eine Passage ganz neue Qualitäten. Oder der 65-Jährige dreht im Vorspiel zum dritten Aufzug bis an den Anschlag auf, um das Werk gleichsam von 100 auf 0 ins Subtile herunterzufahren. Mein lieber Schwan!

(Von Martin Fichter-Wöß/APA)

(S E R V I C E - "Lohengrin" von Richard Wagner an der Staatsoper, Opernring 2, 1010 Wien. Musikalische Leitung: Christian Thielemann, Regie: Jossi Wieler/Sergio Morabito, Bühne/Kostüme: Anna Viebrock, Licht: Sebastian Alphons. Mit König Heinrich - Georg Zeppenfeld, Lohengrin - David Butt Philip, Elsa von Brabant - Malin Byström, Telramund - Martin Gantner, Ortrud - Anja Kampe, Heerrufer Attila Mokus, Vier brabantische Edle - Juraj Kuchar/Oleg Zalytskiy/Johannes Gisser/Ferdinand Pfeiffer, Vier Edelknaben - Antigoni Chalkia/Piia Rytkönen/Lucilla Graham/Dymfna Meijts. Weitere Aufführungen am 2., 5., 8. und 11. Mai sowie am 27. April, 1. und 4. Mai 2025. )