Kuba zieht Ärzte ab: Brasiliens Gesundheitssystem droht ein Engpass

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In entlegenen Gebieten ist die medizinische Versorgung zumindest vorübergehend nicht mehr gesichert. Im Wahlkampf hatte Bolsonaro mit seinem Seitenhieb auf Kuba bei seinen konservativen Anhängern noch punkten können, zumal er damit nicht nur seinem Lieblingsfeind im Ausland, sondern auch gleich der linken brasilianischen Arbeiterpartei PT einen mitgeben konnte. Wenn er an die Macht komme, so Bolsonaro, würden die Bedingungen des Hilfsprogramms "Mais Medicos" (zu deutsch: Mehr Ärzte) neu verhandelt.

Das Programm war 2013 ins Leben gerufen worden, weil gerade in den entlegenen Gebieten des fünftgrößten Landes der Erde die medizinische Versorgung schlecht oder gar nicht vorhanden ist. Vor den Praxen der wenigen verbliebenen Mediziner bildeten sich laut Medienberichten lange Schlangen. Rund 18.000 Ärztestellen in mehr als 3200 Gemeinden sollten durch das Programm besetzt werden. Zunächst hatte es sich an brasilianische Ärzte gerichtet, doch die Resonanz war schlecht, obwohl das für brasilianische Verhältnisse nicht so schlechte Gehalt von etwa 11.000 Reais (damals rund 3700 Euro) sogar noch durch einen Aufschlag aufgewertet wurde.

In Kuba fand man das durchaus attraktiv. Die brasilianische Bundesregierung von Präsidentin Dilma Rousseff nutzte ihre politische Nähe zum Regime der Brüder Raul und Fidel Castro und rekrutierte großzügig. Knapp die Hälfte der 18.000 Stellen konnten so durch Kubaner besetzt werden. Für Rousseff lohnte sich der Deal auch. Die so bedachte Provinz erwies sich als dankbar und trug sicherlich ihren Teil dazu bei, dass sie 2014 knapp gegen Aécio Neves wiedergewählt wurde.

Das hatte sicherlich auch damit zu tun, dass die Bundesregierung die Kosten für die Ärzte großzügig übernahm. Normalerweise müssen die Gemeinden die Gehälter der bei ihnen angestellten Ärzte teilen. Der Zugang für die Kubaner wurde auch dahingehend erleichtert, dass bei der Anerkennung ihrer Qualifikation mitunter auch ein Auge zugedrückt wurde. Üblicherweise gelten für Ärzte, die ihre medizinische Ausbildung im Ausland absolvierten, strengere Kriterien. "Das war illegal", sagt Dr. Pedro Hakme. Er ist Allgemeinmediziner und leitet die Gesundheitsstation Santa Marta in Rio de Janeiro. "Zuständig für die Kontrolle wäre die Bundesregierung gewesen. Aber nichts passierte."

Und die Sache hatte einen weiteren Haken: Die kubanischen Ärzte erhielten nur einen Teil ihres Lohnes ausbezahlt. Der Rest floss direkt an die kubanische Regierung - eine lukrative Devisenquelle. 60 Euro flossen monatlich auf ein Konto - für das Rückflugticket. Zudem wurden ihre Papiere einbehalten. So konnten sie im Gastland kein politisches Asyl beantragen. Außerdem mussten die Angehörigen in Kuba bleiben, durften nicht miteinreisen.

Genau da setzt Bolsonaro nun an und schiebt der kubanischen Regierung den Schwarzen Peter zu: "Die Fortsetzung des Programms haben wir an Bedingungen geknüpft", verbreitete er über Internet. "Eine Befähigungsprüfung, das gesamte Gehalt für die kubanischen Fachleute - bisher fließt der überwiegende Teil an die Diktatur - und die Freiheit, ihre Familien mitnehmen zu können. Leider hat Kuba das nicht akzeptiert."

Der Abzug der Ärzte reißt nun im brasilianischen Gesundheitswesen ein großes Loch. Felipe Proenco de Oliveira, von 2013 bis 2016 Koordinator des Programms, rechnet laut der Zeitung Estadao erst einmal mit einem Engpass. "Es ist unwahrscheinlich, dass die 10.000 Stellen nur mit Brasilianern besetzt werden können." Er schätzt weiterhin, dass 367 Städte zunächst ganz ohne Ärzte bleiben werden. Eine Möglichkeit, die zurzeit diskutiert wird: Junge Ärzte, die über das Programm Fies eine später zurückzuzahlende Beihilfe zur Finanzierung des Studiums erhalten haben, sollen motiviert werden, an Mais Medicos teilzunehmen und so Teile des erhaltenen Darlehens abzuleisten.

Mauro Junqueira, Präsident des nationalen Rats der Gesundheitsämter (Canasems) rechnet damit, dass einigen Regionen bis zu drei Monate lang keinerlei ärztliche Versorgung zuteil werden könnte. Zwar gäbe es durchaus verfügbare Ärzte in Brasilien, so Junqueira. Es sei aber ungewiss, ob sich diese auch für das Programm melden würden.

Das brasilianische Gesundheitsministerium geht noch weiter. Es rechnet mit 63 Millionen vorübergehend nicht medizinisch versorgten Brasilianern. Auch rund 34 Indigenengebiete wären betroffen. Für Bolsonaro wäre das wohl kein Problem. Im Wahlkampf hatte er mehrfach betont, dass Indigene und andere Minderheiten in seiner Politik keine große Rolle spielen werden.

Doch es könnte auch Profiteure geben. Etwa NGOs, die ebenfalls im Gesundheitssektor mitmischen. Eine der größten ist die evangelikale Missao Evangélica Caiuá. Eine Organisation, die sich, neben der medizinischen Versorgung in erster Linie dem Ziel verschrieben hat, Indigene missionieren zu wollen.

Dafür erhielt sie großzügige Finanzierung vom brasilianischen Staat. Zwischen 2012 und 2017 soll sie rund zwei Milliarden Reais kassiert haben. Die evangelikalen Pfingstkirchen haben in Brasilien einen enormen politischen Einfluss. Dieser hatte einen großen Anteil an der Wahl Bolsonaros zum Präsidenten.

Nur wenige Tage, nachdem Kuba das Programm "Mais Medicos" für sich als beendet erklärt hat, brach das Internetportal vorübergehend zusammen. Laut Gesundheitsministerium hatte es alleine am vergangenen Dienstag mehr als eine Millionen Zugriffe gegeben. Mehr als 3000 Ärzte sollen sich schon eingeschrieben haben. Die Einschreibung ist noch bis 25. November geöffnet.

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