Der kalte Krieg und das Mädchen

Ihre Familie war für den Anschluss an Russland. Katja fürchtet dagegen den Krieg.

von
  • Bild 1 von 19 © Bild: NEWS/Heinz Stephan Tesarek

    Die pro-russische Propaganda auf der Krim ist allgegenwärtig.

  • Bild 2 von 19 © Bild: NEWS/Heinz Stephan Tesarek

    Wladimir Putin als Retter, der dem ukrainischen Brudervolk die Hand reicht.

Drei Tage zuvor lernten wir Katja kennen. Ein Mädchen, kurz vor der Matura, das am Strand seiner Heimatstadt spaziert. Katja ist 17, hat beste Noten, kennt Geschichte, liebt Literatur, interessiert sich für Politik, aber auch für Rockbands und Tricks zum Abnehmen. Sie ist ein Teenager wie so viele andere und doch ganz anders.

Alle sagen, es sei richtig. Außer Katja

Wir sind in Tschornomorske, einem Städtchen am Meer, ganz im Westen der Krim. Der schöne Strand macht den Ort zu einem kleinen Paradies. Die Sonne scheint, und Katja spricht vom Krieg. Von ihrer Angst, wie all das enden wird.

Später, auf dem Weg zum Haus ihrer Großeltern, marschiert ein Verband von Kosaken an ihr vorbei. "Na Mädchen, du magst sicherlich ein Foto mit uns”, fragt einer der Kämpfer mit der schwarzen Fellmütze. Sie schüttelt ablehnend den Kopf, sieht weitere Uniformierte die Straße hochkommen. "Es sind lauter Russen,” sagt Katja, "das erkenne ich an ihrem Dialekt. Ich mag die Russen, aber hier bei uns haben die wirklich nichts verloren.” Mit "bei uns” meint Katja die Krim, die Ukraine. Wobei das dieser Tage nicht mehr so klar ist.

Überall hängen Plakate, die eine glorreiche Zukunft mit Russland anpreisen, einen Frühling in der alten Heimat, die man nur durch einen Irrtum der Geschichte verloren hat. Übelste Propaganda, in der die Ukraine auf einer Landkarte mit dem Hakenkreuz zu sehen ist. Und sie wirkt. Was für den Westen eine brutale Okkupation durch die Russen ist, fühlt sich hier für die meisten wie ein Segen der Geschichte an.

Wie kann etwas falsch sein, wenn es alle anderen für richtig halten? Das hat sich Katja zuletzt oft gefragt. Seit die ukrainischen TV-Kanäle auf der Krim einfach abgedreht und durch russische ersetzt wurden, gibt es keinen Widerspruch mehr. Im Fernsehen, im Radio, auf den Straßen, überall werden die Segnungen Russlands angepriesen, Menschen gezeigt, welche den Anschluss kaum noch erwarten können.

Und mittendrin dieses Mädchen, das nun am Tisch der Großeltern sitzt. Es gibt Wurst, Käse, Kuchen, Wein aus dem eigenen Garten. Der Großvater war Major der Roten Armee, diente der Sowjetunion von deren Westgrenze bis in die Weiten Sibiriens. Ein stolzer, freundlicher Mann, der seiner Enkelin lange zuhört.

"Für Putin ist das erst der Anfang.“

"Das ist erst der Anfang”, sagt sie, "Putin wird sich nicht mit der Krim begnügen. Er wird weiter zündeln, auch im Osten der Ukraine Menschen finden, die er glaubt, beschützen zu müssen. Und dann gibt es Krieg, Opa. Krieg, das weißt du besser als ich, bringt Leid und Tote.” Milde blickt der alte Mann auf seine Enkelin, kein einziges Mal an diesem Nachmittag wird er sie unterbrechen, gar tadeln oder maßregeln.

"Weißt du, Katja”, wird er später nur sagen, "ich habe 23 Jahre in dieser Ukraine gelebt, mit Gangstern und Verbrechern an ihrer Spitze. Kein Wort habe ich gesagt. Aber nun ist genug. Janukowitsch mag kein Guter gewesen sein, aber was nach ihm kommt, ist es noch weniger. Wir müssen froh sein, dass wir Russland haben.”

Katja rollt mit den Augen, argumentiert, dass sie doch alle, die hier am Tisch sitzen, die Oma, der Opa, die Mama, Ukrainer sind. Sie ihre Heimat nicht verkaufen können, bloß weil Russland mit besseren Löhnen und höheren Pensionen lockt. "Heute noch kann hier jeder seine Meinung sagen, ohne sich fürchten zu müssen. Das wird sich bald ändern. Für Putin sind wir nur ein Faustpfand, Teil eines größeren Planes, seht ihr das nicht”, wirft Katja ein, die wie alle auf der Krim Russisch spricht. Und doch bleibt sie die einzige, die die Ukraine im Herzen trägt. "Es könnte alles gut sein”, sagt die Oma, "wäre nur dieser blöde Maidan nicht gewesen. Die ganzen Radikalen, die Bewaffneten, die sie im Westen ausgebildet und dann in Kiew unter Drogen gesetzt haben.”

So liebevoll alle mit Katja umgehen und so stolz sie auf dieses Mädchen sind, das Stipendien erhielt und Bewerbe gewann, so einsam fühlt sich die Schülerin in diesem Moment. "Aber Oma”, sagt Katja, "du warst doch auch für den Maidan, wir haben es gemeinsam im Fernsehen verfolgt.” Die Großmutter schweigt, geht lieber in die Küche und setzt Kaffee auf. Der Riss, so viel wird an diesem Nachmittag klar, geht mitten durch die Familie. Und plötzlich platzt einer rein, der auch zu ihr gehört, bislang aber nicht zur Sprache kam: Evgenji, der Bruder.Er ist betrunken, trägt Uniform, eine ukrainische, grölt, "za Rossiju”, für Russland, setzt der Schwester sein rotes Barett mit dem ukrainischen Staatsemblem auf und torkelt aus dem Zimmer. Betretenes Schweigen. Der Gäste aus dem Ausland wegen.

Am nächsten Tag in Katjas Schule. Es ist Sonntag, alte Sowjet-Schlager und neuer russischer Pop dröhnen aus dem Gebäude. Die Kosaken stehen davor Wache. Drinnen gibt es Süßes und eine einzige Wahl. Katjas Mutter hat soeben abgestimmt. Schnell, zügig und ohne zu zögern für Russland. Auch wenn das bedeutet, dass sie ihre eigene Tochter ans Ausland verliert, da Katja entschlossen ist, ab dem Herbst ein Studium zu beginnen, und zwar in Kiew.

Nun will sie nach Simferopol, in die Hauptstadt der Krim. Sie hat getan, was sie konnte. Freunde, Bekannte, ja selbst Fremde auf der Straße hat sie zu überzeugen versucht, nicht für Russland zu stimmen. Briefe schrieb sie, die sie auf Facebook stellte. Vergeblich. Als "Provokateurin”, "Agentin”, "kleines, dummes Ding”, wurde sie beschimpft, als Mädchen, das sich in den Zug setzen und gefälligst abhauen soll. Aber Katja sitzt im Bus nach Simferopol. Rumpelt über die Krim, vorbei an alten Sowjetdenkmälern und Heldenstatuen. Sie fährt durch arme Dörfer, deren Bewohner nur überleben können, da sie hinter ihren Häusern Federvieh halten und im Vorgarten Gemüse züchten. Diese Krim ist ein raues, ruppiges Land, das harte Menschen hervorgebracht hat. Menschen, die es nicht mögen, wenn selbsternannte Helden in Kiew glauben, sie demütigen zu können, indem sie Russisch zur Hinterhofsprache degradieren.

Schließlich der Abend des Referendums. Ein unversehrter Lenin hält auf dem zentralen Platz Wache. Darunter, im Gänge-Labyrinth, lauern Einheiten der Sonderpolizei Berkut. Kerle mit Stiernacken und in Kampfausrüstung, die in Kiew für Janukowitsch schmutzige Handlangerdienste leisteten, wahllos prügelten. Als sie auf die Krim zurückkehrten, empfing man sie als Helden. Lange vor Ende des Referendums gleicht der Platz einem Fahnenmeer. Oben, auf der Bühne, stimmt der Marinechor der Schwarzmeerflotte die russische Hymne an. Und zwischen all den jubelnden Menschen: Katja. Still, allein. Sie wollte es mit eigenen Augen sehen. Deshalb kam sie her. Nun kann sie es nicht fassen. "Vielleicht irre ich mich”, sagt sie, "die Krim blüht auf, Putin gibt Ruhe, und ich habe mich getäuscht. Ich würde es mir wünschen.”

Katja, der Kosake und die Tränen

Doch nichts spricht dafür. Was droht, ist ein Flächenbrand. Innerhalb der Ukraine tun sich Sollbruchstellen auf, wo noch vor Monaten keine waren. Aus Brudervölkern können Feinde werden. Medien und Propaganda auf beiden Seiten erledigen den Rest. Während im Westen der Ukraine russische Produkte boykottiert werden, brennen im Osten des Landes die ersten ukrainischsprachigen Bücher. Ausschreitungen im Kohlerevier von Donezk forderten schon Tote, und der Zar im Kreml wirft der Ukraine vor, die Lage nicht mehr im Griff zu haben.

Stürzt die Ukraine in den Abgrund, wird dieses Europa nie mehr dasselbe sein. Es ist auch Katjas Europa. Der Kontinent, in dem sie ihre Zukunft sieht. Und deshalb geschieht etwas, das sie bis zu diesem Abend nicht für möglich gehalten hat: Sie beginnt zu weinen. Sie schluchzt, während sich hinter ihr die Menschen vor Freude in die Arme fallen. Ein Kosake, der voll des Stolzes neben ihr steht, sieht die Tränen. Beugt sich zu dem zierlichen Mädchen hinab. Sagt: "Was weinst du denn? Ab heute wird alles gut. Du brauchst dich nicht zu fürchten.” Er umarmt sie, drückt Katja wie ein Vater seine Tochter an sich und tröstet sie. Später löst sich Katja, will schleunigst weg von dem Ort, an dem alle nur noch "Russland, Russland” rufen. "Er war so nett zu mir”, sagt sie, immer noch in Tränen, "es ist so schrecklich, die Politiker hetzen uns gegeneinander auf. So lange, bis wir einander hassen.”

Kommentare