David Lama: Aufsteiger,
Aussteiger, Extremsteiger

Vom Sportkletter-Talent zum Jung-Alpinisten und Star auf der großen Leinwand

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NEWS.AT: David, du kommst aus dem Sport, hast große Erfolge gefeiert. Warum dann diese radikale Abkehr vom Wettkampf?

Lama: In erster Linie muss man sagen, dass der Wandel gar nicht so radikal war. Er war radikal, weil ich mir mit dem Cerro Torre den vielleicht schwierigsten Berg der Welt ausgesucht habe. Andererseits war es nicht so radikal, weil es sich über die letzten Jahre abgezeichnet hat. Ich bin immer schon auf parallelgleisigen Schienen gefahren. Auf der einen Seite die Wettkämpfe, auf der anderen das Felsklettern, das für mich stets das wahre Klettern war. Es hat sich dann immer weiter entwickelt vom Sportklettern am Fels zum Big Wall Klettern, mehrseiligen Klettern. Irgendwann dann auch Expeditionen und Alpinismus.

NEWS.AT: Aber wieso?

Lama: Ich habe im Wettkampf schon alles gewonnen außer dem Weltmeistertitel bei den Erwachsenen. Daher hat er für mich an Reiz verloren. Es ist schon viel gemacht worden, ich hätte alles nur noch wiederholen können. Darüber hinaus ist der Wettkampf relativ einfach gestrickt. Da geht es rein um die Leistung. Das ist das 1:1, Kletterer gegen Kletterer, wie Fußballteam gegen Fußballteam. Wenn man jetzt aber rausgeht auf den Cerro Torre, das ist kein Wettkampf, das ist ein Abenteuer. Da geht es um so viel mehr. Und das ist es, was mich so fasziniert.

David Lama im Portrait
© Manuel Ferrigato / Red Bull Content Pool Lama durfte mit 15 erstmals beim Erwachsenen-Weltcup klettern

NEWS.AT: Passend deinem Zitat: „Es geht nicht um die Leistung, es geht mehr ums Erlebnis.“

Lama: Sport-Wettkämpfe waren auch Erlebnisse, aber eben nicht mehr so stark. Wenn man einmal an den großen Bergen draußen geschnuppert hat, dann kommt man nicht mehr los. Da fühlt man sich bei einem Wettkampf eingesperrt wie ein Tier in einem Käfig. Das bin ich nicht.

NEWS.AT: Gut, du sehntest dich nach der Freiheit. Aber wie bist du dann gerade auf den Cerro Torre gekommen?

Lama: Den Cerro Torre kennt man als Bergsteiger einfach. Zum einen ist es einer der schwierigsten Berge der Welt und auch einer der formschönsten. Das ist einfach eine Nadel, die aus dem Gletscher 1.500 Meter senkrecht aufragt. Das gibt es nur einmal auf der Welt. Da will man einfach nur oben stehen. Zum anderen war es ein wenig Zufall, als mir während einer kleinen Expedition im Jahr 2008 ein Klettermagazin in die Hände gefallen ist, in dem ich ein Foto von der Gipfelwand, der Head Wall, des Cerro Torre gesehen habe. Da war eine Seite voll nur mit der Wand. Da habe ich mir gedacht: Dort will ich frei klettern. Neben mir ist Hans-Jörg Auer gesessen, ein Ötztaler Kletter-Kollege, der den Cerro Torre in technischer Kletterei schon bestiegen hat. Ich habe ihn gefragt, ob er glaube, dass man dort auch frei rauf käme. Er hat dann gesagt, er ist sich nicht sicher, aber es wäre auf jeden Fall ein aufregendes Projekt. Von diesem Zeitpunkt an hat mich diese Idee nicht mehr losgelassen.

NEWS.AT: Welche Schritte folgten dann von der Geburt der Idee bis zur Umsetzung?

Lama: Wir starteten die Planung und Vorbereitung parallel zu den Wettkämpfen. Im Winter 2009/10 bin ich wieder nach Chile geflogen, das erste Mal direkt zum Cerro Torre. Dort musste ich erkennen, dass meine Vorstellungen sehr weit weg von der Realität waren. Wir mussten einsehen, dass das Projekt uns zwei Nummern zu groß ist und unverrichteter Dinge wieder heimfliegen. Im Jahr drauf sind wir weitaus besser vorbereitet zurückgekehrt. Ich habe einfach gemerkt, ich muss an mir arbeiten, um dieses Projekt zu realisieren, bin viel in den Alpen geklettert und habe einige der schwersten Touren dort bestritten.

NEWS.AT: Was war es genau, das Dir gefehlt hat?

Lama: Es war einfach die alpinistische Erfahrung. Es ist keine 30-Meter-Wand, wie ich sie beim Wettkampf jahrelang erlebt habe, es ist ein riesiger Berg mit allen Wettereinflüssen. Das ist keine genormte, geregelte Wettkampfwand, bei der jeder die gleichen Luftdruck- oder Feuchtigkeitsverhältnisse hat. Dort muss man einfach mit den Gegebenheiten zurecht kommen. Und der Cerro Torre ist diesbezüglich brutal. Da oben bläst der Sturm, wie auf kaum einem anderen Berg. Da herrschen 200 bis 300 km/h. Das Eis fällt neben dir runter und zerschellt.

NEWS.AT: Haben dich als „Neo-Alpinisten“ auch diese Grenzerfahrungen, die Gefahren gereizt?

Lama: Es ist ein Teil des Abenteuers. Mir ging es aber eher darum, die Vorstellung, die ich hatte, umzusetzen. Als ich das Kletterheft aufgeschlagen habe, habe ich mich dort in der Wand gesehen, wie ich die einzelnen Felsstrukturen miteinander verbinde, um frei durchklettern zu können.

NEWS.AT: Wie kam es dann zu der Idee, parallel dazu einen Film darüber zu drehen?

Lama: Es war einfach ein Projekt, das es wert zu dokumentieren war. Der Berg ist durch seine Vorgeschichte mit Cesare Maestri ein so tragischer Berg. Ich habe einfach gesagt, ich möchte das dokumentieren und Leuten außerhalb meines Teams näherbringen.

NEWS.AT: Du sprichst Cesare Maestri an, dessen „Erstbesteigung“ des Berges große Kritik nach sich zog. Wie stehst du zu dem Thema?

Lama: Das war keine Besteigung, das war ein hinaufarbeiten. Freiklettern ist für mich der schönste Stil, weil du dich den natürlichen Gegebenheiten bedienst. Du nimmst keine Haken, um dich hinaufzuziehen, sondern bedienst dich dem, was der Berg bietet. Maestri hat da eine Maschine heraufgezogen, einen Kompressor, der immer noch in der Nähe des Gipfels hängt und mit dem er die Haken in die Wand schlug. Deshalb heißt es ja heute noch Kompressor-Route. Das hat nichts mit Klettern zu tun, das ist eine Baustelle.

NEWS.AT: Aus deinen Worten lässt sich heraushören, dass es ein gewisses Naheverhältnis zwischen Kletterer und dem bekletterten Berg gibt.

Lama: Auf jeden Fall. Man ordnet dem Berg irgendwo Charakterzüge zu, beginnt mit ihm zu reden und fängt an, seine Signale zu deuten. Ein Berg hat einen Charakter und der Cerro Torre besonders ausgeprägten, speziellen.

David Lama beim Klettern
© Corey Rich/Red Bull Content Pool "Man fängt an, mit dem Berg zu reden"

NEWS.AT: Mit ähnlicher Kritik wie Maestri musste sich auch dein Film-Team auseinandersetzen, da es während der Dreharbeiten ähnlich vorgegangen ist und den Berg „verletzt“ hat. Wie bist du mit diesen negativen Stimmen umgegangen?

Lama: Ich bin im ersten Jahr einfach als Sportkletterer hingegangen und als Sportkletterer gibt es ganz klare Regeln. Im Alpinismus gibt es diese Regeln nicht. Da muss ein jeder seine persönliche Haltung definieren und die habe ich noch nicht in einem ausreichenden Maße entwickelt gehabt. Deswegen habe ich auch nicht die Hand über das Kamera-Team gestreckt und sie geführt, sondern sie frei walten lassen. Da wurden Haken gesetzt und Seile verlegt, was im Nachhinein gesehen ein Fehler war. Mittlerweile bin ich aber sehr dankbar dafür, da ich meine Grundhaltung noch einmal sehr viel klarer definieren konnte, als sich das die meisten Alpinisten jeweils selbst zurechtlegen werden.

NEWS.AT: Alpinismus ist nicht nur die Haltung gegenüber dem Berg sondern auch die Haltung gegenüber sich selbst - ein weiteres Zitat von dir, das man wie verstehen darf?

Lama: Man hat eine Vorstellung, wie man den Berg besteigen will und muss diesen Vorstellungen treu bleiben. Ich wollte ihn im besten Stil besteigen, dem für mich besten Stil. Wenn man während der Besteigung merkt, dass man seinen Vorstellungen nicht treu bleiben kann, muss man einfach zurückstecken können, ohne dabei seine Idee seine Vorstellungen völlig zu ändern. Ich möchte nicht an meinen Ideen eine schraube drehen, nur weil es unmöglich ist. Das Unmögliche muss man akzeptieren. Das ist die Haltung gegenüber sich selbst.

NEWS.AT: Lässt sich das, was du auf dem Berg erfährst, auch dem Kino-Publikum transmittieren?

Lama: Es ist sicher eine der grundsätzlichsten Botschaften, die ich den Leuten gerne mitteilen möchte. Aber es gibt auch andere Sachen, die sich die Zuseher neben den faszinierenden Bildern, wie man sie von Bergen, vom Klettern und von Patagonien überhaupt noch nie gesehen hat, mitnehmen können. Es ist eine Story, die sich kein Autor hätte einfallen lassen können.

NEWS.AT: Was war das erste, das dir am Gipfel des Berges durch den Kopf gegangen ist?

Lama: Es waren zwei Gefühle, die mich anfangs ein bisschen zur Ratlosigkeit getrieben haben. Zum einen war es Glück, zum anderen war es Unglück. Glück, weil ich es geschafft und meinen Traum realisiert habe. Unglück, weil dieser Traum nun automatisch weg war und die Frage auftrat: ‚Was kommt jetzt’?

NEWS.AT: Genau das ist auch meine Frage: Was kommt jetzt? Es sind schon zwei Jahre seit deinem Meilenstein vergangen. Was ist dein nächstes Ziel?

Lama: Ich habe im Karakorum den Masherbrum, auch K1 genannt, gesehen und auch schon teilweise probiert. Das ist ein 7.800 Meter hoher Berg mit einer 3.500 Meter hohen Wand. Das kann man etwa vergleichen mit der Eiger-Nordwand mit einem Cerro Torre oben drauf und das Ganze auf fast 8.000 Metern. Das ist mein nächstes Projekt, denn durch diese Wand ist noch nie jemand in keiner Weise durchgestiegen. Es wird sicher ebenso prickelnd wie die erste Freibesteigung des Cerro Torre.

NEWS.AT: Ein Riesenprojekt hinter dir, das nächste nun also vor dir. Gibt es in der Kletterei überhaupt irgendwo Grenzen?

Lama: Als Edmund Hilary den Everest bestiegen hat, hätte man meinen können, es gibt nichts mehr zu tun. Dann hat Reinhold Messner alle 14 8.000er bestiegen und auch noch den Everest ohne künstlichen Sauerstoff bestiegen. Jetzt wird es bald nichts mehr geben. Mit Luft anhalten raufsteigen vielleicht (lacht). Nein, die Kreativität setzt deine Grenzen.

Die Filmkritik zu "Cerro Torre - Nicht den Hauch einer Chance" gibt es am 21. März, dem Tag des Kinostarts

Filmplakat Cerro Torre
© cerro torre/red bull

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