Kickl - und die orthodoxen Juden

Impfkritische Gesinnungsfreunde des freiheitlichen Parteichefs

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Schlaglichter - Kickl - und die orthodoxen Juden

Herbert Kickl, Parteichef der FPÖ und überzeugter Ungeimpfter, kritisierte Bundeskanzler Sebastian Kurz für dessen Begeisterung für Israel, wo früher als in anderen Ländern die Bevölkerung gegen Covid geimpft wurde. Die aktuellen hohen Infektionszahlen in Israel trotz einer großen Abdeckung bringt er als Beweis der Sinnlosigkeit der möglichst kompletten Durchimpfung einer Bevölkerung.

Er unterstellte Kurz, in Israel das "gelobte Impfland" zu sehen und bezog sich mit seiner Metapher auf das Alte Testament. Auf den Vertrag zwischen Gott und Abraham. Wenn Abraham aufhöre, mehrere Götter zu verehren, versprach Gott, seine Nachkommen zu einem großen Volk zu machen und ihnen ein Land zu geben. Das "gelobte Land Jerusalem". Daraus entstanden das Judentum, die jüdische Religion und das Volk der Juden, wenn auch bis heute diskutiert wird, ob es eine Religion oder auch ein Volk sei.

Kickls Zweifel kommen aus der Tradition der christlichen Religionsgemeinschaften. Die 2.000 Jahre lange Diskussion zwischen Juden und Christen trennt Altes von Neuem Testament. Jesus Christus, nach Meinung der Juden ein wahrscheinlich interessanter, einflussreicher Rabbiner, nicht mehr und nicht weniger, wollten sie nicht als Messias anerkennen.

Gelobtes Impfland

Im Neuen Testament, in Kickls Bibel sozusagen, wird das Versprechen Abrahams neu interpretiert. Da geht es nicht mehr um die vielen Nachkommen, die Gott versprochen hatte, sondern nur um einen, um Jesus Christus. Aus dem Plural des Alten Testaments, dem Volk der Juden, das von Abraham abstammt, wird der Singular im Neuen Testament in der Person Jesus. Wer diesen Messias nicht anerkennt, hat nach Ansicht der Christen die Botschaft Abrahams nicht verstanden. Für sie ist Israel daher nicht das "gelobte Land", und für Kickl schon gar nicht das "gelobte Impfland".

Kickl, der (abschlusslos) Philosophie und Geschichte studierte und dessen Allgemeinbildung immer wieder betont wird, kann im Sinne seiner christlichen Herkunft die Allegorie "gelobtes Land" nicht zufällig gewählt haben. Er unterstellt Bundeskanzler Kurz, im impffreudigen ehemaligen Premier Netanjahu den falschen Messias verehrt zu haben, und folgt damit der Argumentation vieler orthodoxer Juden, die nicht nur die Impfung ablehnen, sondern auch Einschränkungen des täglichen, vor allem religiösen Lebens. Die große Mehrheit im "gelobten Land" folgte allerdings dem Ratschlag Netanjahu und ließ sich impfen.

Verschiedenste religiöse Gruppen stehen den "Impf-Messiassen" skeptisch gegenüber. Vor allem Minderheiten innerhalb der "Ein-Gott-Religionen", die sich auf den väterlichen Schutz des "Allmächtigen" - ob Gott oder Prophet - verlassen. Sie wehren sich gegen schützende Maßnahmen, feiern weiter Geburtstage und Hochzeiten, nehmen an Gottesdiensten, religiösen Feiern und Begräbnissen teil und lehnen Masken an.

"Ich frage mich überhaupt, ob es islamisch vertretbar ist, Impfungen anzuwenden. Also ich entscheide für mich, dass ich lieber auf Allah vertraue und mein Immunsystem stärke, statt ein Mittel injizieren zu lassen, von dem nicht mal die Hersteller wissen, was es eigentlich kann und welche Schäden es verursacht", lautet einer der vielen Leserbriefe an das deutschsprachige islamische Magazin "IslamiQ".

Religiöse Gründe

Streng religiöse Gruppen unter Juden, Muslimen und Christen überlagern ihr Misstrauen gegenüber nicht religiösen Autoritäten, Wissenschaftlern, Bürokraten und Politikern mit dem Vertrauen in eine gottergebene Problemlösung.

Gleichzeitig gibt es große Bereitschaft unter Vertretern dieser drei Religionen - dazu gehören namhafte Rabbiner, Imame und Priester -, zur Impfung aufzurufen. Die Emirate, Qatar und Oman haben eine extrem hohe Impfrate. Das Leben hat sich dort weitgehend normalisiert. Hotels und Strände sind für den Tourismus geöffnet. Andere arabische Länder zeigen laut einer Studie der WHO den höchsten Prozentsatz an "Impfakepsis" weltweit. In Kuwait, Jordanien und im Irak liege die Impfbereitschaft nur bei einem Drittel, in Ägypten bei etwa 50 Prozent der Bevölkerung.

Unter den Christen ist vor allem der Papst positiv gegenüber der Impfung eingestellt. Er verschärfte sogar die Coronaregeln für eigene Mitarbeiter und externe Dienstleister im Vatikan: Wer ab dem 1. Oktober keinen italienischen "Grünen Pass" vorweisen kann, darf nicht zur Arbeit kommen und bekommt keinen Gehalt.

Robert Jones, Leiter des "Public Religion Research Institutes", untersuchte, wie sich Amerikaner der verschiedenen Glaubensrichtungen gegenüber der Impfung verhalten. Dabei zeigten in den USA vor allem Juden und Katholiken eine hohe Impfbereitschaft. Die größte Gruppe der Befragten, die Protestanten, waren deutlich skeptischer. Unabhängig von jeder Konfession gaben knapp die Hälfte aller Befragten an, dass religiöse Überlegungen bei der Entscheidung, ob sie sich impfen lassen, eine große Rolle für sie spielten. Die "New York Times" kritisierte die Impfverdrossenheit unter Evangelikalen: "Dieser Opposition liegt ein Mix aus religiösem Glauben und einem althergebrachten Misstrauen gegenüber etablierter Wissenschaft zugrunde, und das wird zusätzlich befeuert durch ein breites kulturelles Misstrauen gegenüber Institutionen und einem Übernehmen von Verschwörungstheorien. Die Größe dieser Opposition könnte Amerikas Fähigkeit, die Pandemie zu überwinden, erheblich einschränken."

Buddhismus und Hinduismus

Im buddhistischen Bhutan beauftragte die Regierung das höchste Gremium der Mönche, den "glücksbringenden Tag" im buddhistischen Kalender zu errechnen, an dem erfolgreich gegen Corona geimpft werden könnte. Die Mönche bestimmten den Zeitraum zwischen 14. Februar und 15. März. Während dieser Wochen wurde die gesamte erwachsene Bevölkerung, etwa 700.000 Frauen und Männer, geimpft. Auch der Dalai Lama als geistiges Oberhaupt der Tibeter ließ sich impfen, ebenfalls in diesem Zeitraum, am 6. März. Buddhistische Mönche in Thailand und Laos akzeptieren problemlos die Impfung. Theologisch motivierten Widerstand gab es kaum in dieser Religionsgemeinschaft.

In Indien, dem Zentrum des Hinduismus, beschmierten Menschen ihren Körper mit Kuhdung der heiligen Kühe als Schutz vor einer Covid-Infektion. Allerdings nicht als Alternative zur Impfung, sondern weil es nicht genügend Impfstoff gab. Weder im Hinduismus noch im Buddhismus warnten religiöse Autoritäten vor der Impfung. Sie kombinierten geschickt das Bedürfnis der Gläubigen nach Schutz durch die Götter mit moderner Wissenschaft. Die "Hindu Society" in den USA stellte ihre Zentren als Impflokale für die Mitglieder ihrer Religionsgemeinschaft zur Verfügung.

Gebete und Opferungen

Als indische Sanitäter das Dorf Malana im Himalaja erreichten, verweigerte die hinduistische Bewohner die Impfung. Nach Meinung des Brahmanen, der religiösen Autorität des Dorfes, habe der Gott Jagadamani Rishi, der die Einwohner beschützte, noch nicht zugestimmt. Fünf Monate lang Gebete und Opferungen in Form von Früchten, Honig und Blumen überzeugten jedoch nach Aussage des Dorfältesten den "Schutz-Gott", und die Bevölkerung akzeptierte die Impfung.

Bleibt die Gruppe der Impfskeptiker, die vordergründig nicht aus religiösen Gründen die Impfung verweigert. Sie polemisieren allerdings wie gläubige Atheisten, die sich aus ihrem eigenen Weltbild eine "gottlose" Bibel schaffen. Kein wissenschaftlicher Beweis erreicht sie, kein sachliches Argument überzeugt sie. Gewissheit ersetzt die dokumentierte Beweisführung und wird zum "Glauben", so wie Christen keinen Beweis für die Auferstehung benötigen.

Skeptiker schützen mit ihrer eigenen Interpretation der Problematik, definieren selbst Krankheit, Schutz und Heilung und argumentieren mit der Logik eines Zehnkämpfers, der nicht bis zehn zählen kann. Unwissenheit wird zu Wissenschaft, Unverständnis zur Regel erklärt und die Ahnungslosigkeit zur geistigen und körperlichen Immunität im ewigen Wettkampf der Ängste - vor der Impfung und der Erkrankung.