Kein Völkermord
zwischen Serben und Kroaten

Internationaler Gerichtshof weist Klage Serbiens ab - Auch kein kroatischer Genozid

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Balkankrieg - Kein Völkermord
zwischen Serben und Kroaten

Serbien und Kroatien hatten sich gegenseitig beim IGH wegen Völkermordes verklagt und Entschädigungszahlungen von der Gegenseite gefordert. "Genozid setzt die Absicht voraus, eine Gruppe zumindest zum Teil zu zerstören", sagte Tomka. Dies konnte das 17-köpfige Gericht jedoch bei keinem der beiden Länder feststellen. Das Tribunal rief Zagreb und Belgrad auf, für Frieden und Stabilität auf dem Balkan zusammenzuarbeiten. Dabei sollten sie auch dafür sorgen, dass die Opfer von Kriegsverbrechen entschädigt würden.

Was geschah

Während des Balkankrieges nach dem Zerfall Jugoslawiens bekämpften sich auch kroatische Streitkräfte und die von Belgrad unterstützten serbischen Verbände in Kroatien. Allein in diesem Konflikt starben zwischen 1991 und 1995 rund 20.000 Menschen. Zahlreiche Kroaten wurden im Zuge von "ethnischen Säuberungen" getötet, gefoltert oder vertrieben. Kroatien reichte deshalb 1999 Klage ein.

Die Regierung in Belgrad lancierte jedoch 2010 ihrerseits eine Klage wegen Völkermordes, in der sie Kroatien vorwarf, bei einer Gegenoffensive 200.000 ethnische Serben vertrieben zu haben. Auch Serbien hatte Entschädigung gefordert.

"Kroatien ist es nicht gelungen, seine Anschuldigungen zu beweisen, wonach ein Völkermord verübt wurde", erklärte Tomka. Er erwähnte mehrere besonders dunkle Kapitel des Krieges, unter anderem die Eroberung der Stadt Vukovar. Bei der dreimonatigen Belagerung waren 1.600 Verteidiger und Zivilisten getötet worden.

22.000 Nicht-Serben vertrieben

Nach der Eroberung der Stadt durch Truppen der jugoslawischen Bundesarmee und serbische Einheiten am 18. November 1991 wurden rund 22.000 Nicht-Serben vertrieben, Vukovar wurde nahezu dem Erdboden gleichgemacht. Später wurde Vukovar vorübergehend unter UNO-Verwaltung gestellt und 1998 an Kroatien übergeben.

In Serbien hatte wiederum große Empörung geherrscht, als die zunächst als Kriegsverbrecher verurteilten kroatischen Generäle Ante Gotovina und Mladen Markac Ende 2012 in einem Berufungsverfahren überraschend freigesprochen worden waren. In erster Instanz waren sie wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu 24 und 18 Jahren Haft verurteilt worden. Gotovina war Befehlshaber der "Operation Sturm", bei der kroatische Armeeeinheiten 1995 die von ethnischen Serben bewohnte Region Krajina eroberten. Hunderte Serben wurden zum Kriegsende getötet, mehr als 200.000 weitere vertrieben.

Die Regierung in Zagreb zeigte sich am Dienstag unzufrieden über das Haager Urteil. "Wir sind nicht zufrieden, erkennen aber das Urteil auf eine zivilisierte Weise an", sagte der kroatische Premier Zoran Milanovic. Zufrieden zeigte er sich hingegen mit der Zurückweisung der serbischen Gegenklage.

"Ethnische Säuberung"

Obwohl das Gericht keinen Völkermord an Kroaten bestätigt habe, seien doch "schwere Kriegsverbrechen und ethnische Säuberung" bestätigt worden, sagte Milanovic vor Journalisten in Zagreb. Kroatien werde von seinen Forderungen an Serbien im Zusammenhang mit den im Bürgerkrieg vermissten Kroaten und Rückerstattung von Kunstwerken nicht ablassen, kündigte der Premier an.

Belgrad zurfrieden

Belgrad zeigt sich mit der IGH-Entscheidung größtenteils zufrieden. Präsident Tomislav Nikolic verlieh in einer ersten Reaktion auch seiner Hoffnung Ausdruck, dass die beiden Staaten in Zukunft alle Streitfragen zu lösen vermögen würden. Das Urteil habe die bisherigen Auffassungen hinsichtlich der Geschehnisse auf dem Gebiet des früheren Jugoslawien geändert, meinte der serbische Präsident laut dem Sender "B-92".

"Das IGH-Urteil hat gezeigt, dass Serbien nicht an allem schuldig ist." Der serbische Staatschef bekundete gleichzeitig seine Unzufriedenheit mit jenem Teil des Urteils, der die Vertreibung der Serben aus der Krajina im August 1995 betrifft.

Das sagt Kurz dazu

Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) bezeichnete das Urteil vom Dienstag als "Möglichkeit zum Neuanfang und zur gemeinsamen Aufarbeitung der Geschichte". Der Minister kündigte an, dass am 27. August in Wien ein Westbalkan-Gipfel der Staats- und Regierungschefs sowie der Außen- und der Wirtschaftsminister stattfinden werde, bei dem es unter anderem um den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur in der Region und um verstärkte regionale Zusammenarbeit gehen werde.

Kroatien hatte 1999 zunächst Serbien vor dem Gericht verklagt. Nachdem politische Einigungsversuche wiederholt gescheitert waren, verklagte 2010 Serbien wiederum den Nachbarn. Kroatien ist seit 2013 Mitglied der EU, Serbien strebt dies ebenfalls an. Der Konflikt untereinander und der Umgang mit Kriegsverbrechern ist für die EU ein Kriterium für einen Beitritt.

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