Kaiser der Kalorien

Obwohl die Österreicher rekordverdächtig viel essen, sind sie verhältnismäßig schlank

von
Leben - Kaiser der Kalorien

Ein bisserl was geht immer. Das geflügelte Wort könnte sich die Nation nun auch offiziell als Wahlspruch unter den Bundesadler schreiben. Zumindest seit vergangener Woche: Da veröffentlichte der britische "Independent" eine Studie des angesehenen US-Zentrums für Suchtrehabilitation Recovery Brands, die die Kalorienzufuhr in den wichtigsten Industrieländern analysiert und auf Daten der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) zurückgreift. Zur Verblüffung der Experten, die erwartet hatten, den seit jeher üblichen Vorsprung ihrer eigenen Bevölkerung vor dem Rest der Welt abermals bestätigt zu sehen, führt plötzlich ein vergleichsweise kleines, gebirgiges Land im Herzen Europas die Fressliste an. Satte 3.769 Kalorien pro Tag und Nase schieben die Österreicher in sich hinein, die Amerikaner - im Vorjahr noch knappe Sieger (hauchdünn passt in dem Zusammenhang nicht) - wurden dank der ersten Reduktion ihrer Kalorienaufnahme seit Menschengedenken auf den zweiten Platz verwiesen. Zum Vergleich: Am Ende der Skala firmiert Indien mit gerade einmal 2.500 Kalorien pro Tag.

Nun sind wir zwar für eine deutliche Nahebeziehung zu Torten, Schmarren und Schnitzeln bekannt -nicht aber für extreme Fettwanstigkeit. Ganz im Gegenteil: Im europäischen Vergleich sind die Österreicher laut OSZE mit den Italienern, den Niederländern, Norwegern, Schweizern und Schweden unter den vergleichsweise wenig Fettleibigen zu finden. Während die Amerikaner zu einem guten Drittel an akuter Adipositas leiden, sind es in Österreich relativ zurückhaltende 12,4 Prozent.

Kalorien sind nicht alles

Mehr essen als alle anderen, gleichzeitig aber unter den relativ Schlanken der reichen Welt rangieren -das schaffen nur wahre Genussmenschen wie wir. Was wie billiger Chauvinismus klingt, trägt tatsächlich ein Körnchen Wahrheit in sich: dass nämlich Kalorienzählen nur bedingt der Weg zu einer besseren Figur ist.

Mindestens ebenso wichtig ist nämlich, was man an Energie zu sich nimmt. In den fettesten Ländern der Welt, zu denen neben den USA, Mexiko und Neuseeland pikanterweise auch unser Nachbar Ungarn zählt, werden besonders viele billige Kalorien aus "Fett, raffinierter Stärke und Zucker" konsumiert, wie Walter Willett, Chef der Fakultät für Ernährung an der Harvard School of Public Health, ausführt: "Billiges, ungesundes Essen, gepaart mit bewegungsarmem Lebensstil -das ist das Gift, aus dem Fettleibigkeit genährt wird."

Wir kochen länger

Klingt auf den ersten Blick einleuchtend. Nur muss man bei allem Respekt vor der Kompetenz eines angesehenen Instituts für Medizin doch anmerken, dass Kaiserschmarren und Schinkenfleckerl, Wiener Schnitzel und Scheiterhaufen, Germknödel und überbackene Palatschinken sowie zahllose andere Höhepunkte unserer mit Recht gerühmten Küche zu entscheidenden Teilen aus Fett und raffinierter Stärke oder Zucker bestehen - und im Idealfall aus allen dreien. Dass wir uns derlei sündhafte Köstlichkeiten mit Fug und Recht verdienen, weil wir eben ein besonders sportliches, dem Stiegenhaus weit mehr als dem Aufzug zugetanes Volk von Fahrradfahrern, Zufußgehern und zünftigen Holzhackern seien, lässt sich auch nicht wirklich darstellen. Aber woher kommt dann die für Austriaken charakteristische Diskrepanz aus verhältnismäßig unspektakulärer Wampe bei gleichzeitig weltrekordverdächtigem Konsum von bösen Nahrungsmitteln samt, weil es ja gut rutschen muss, ganz unvernünftig heftigen Mengen an Alkohol? Man muss schon tief in den Archiven der OSZE wühlen, um diesem scheinbaren Paradoxon auf die Spur zu kommen: 2008 hat die Uni Padua in einer Studie festgestellt, dass "niedrige Adipositas-Raten, wie sie etwa in Italien, Belgien, Österreich" feststellbar seien, mit "deutlich höherem Zeitaufwand" einhergehen, der für die Zubereitung und Konsumation von Essen aufgewendet wird.

Während in den USA im Durchschnitt 34 Minuten täglich mit Kochen zugebracht werden, sind es in Österreich 63 Minuten - in Italien, wo Fettleibigkeit noch weniger Thema ist, 86 Minuten.

Wo Zeit fürs Kochen aufgewendet wird, da steigt die Chance, dass das Essen tatsächlich hausgemacht ist. Aus Zutaten, die nicht industriell verändert sind. Das legt nahe, dass wahre Fettmacher nicht Mehl, Butter, Schmalz und Zucker sind, sondern die vielfach veränderten Inhaltsstoffe, deren unaussprechlich chemische Bezeichnungen man auf Fertigpizza und Industriesugo, Dosengulasch und Tiefkühlknödeln findet.

Womit die Wahrheit über gutes Essen verlockend einfach erscheint: Wer ehrlich und traditionell kocht und sich Zeit für gemeinsames Essen nimmt, der kann sich ruhigen Gewissens den einen oder anderen Schöpfer mehr erlauben. Er hat beste Chancen, dennoch nicht so germknödelig aus der Form zu gehen, wie das jenseits des Teiches inzwischen zur Norm gehört.

Kommentare