It's about nothing

Vor 25 Jahren endete die Erfolgsserie "Seinfeld"

von Peter Sichrovsky © Bild: News/Ricardo Herrgott

Mitte Mai 1998 sammelten sich am frühen Abend Tausende auf dem Times Square in New York und warteten auf die Übertragung der letzten Episode der Comedy-Show "Seinfeld" auf einem gigantischen Bildschirm. Auf der Upper West Side, an der Ecke 112. Straße und Broadway drängten sich Besucher vor "Tom's Restaurant", dem Treffpunkt der vier Freunde in der Seinfeld- Show. In dem typisch amerikanischen Diner saßen Schauspielerinnen und Schauspieler der Nebenrollen und wollten das Ende von "Seinfeld" gemeinsam erleben. In St. Louis, Missouri, projizierte ein Bewunderer die letzte Episode auf eine riesige Hauswand. In Paris, Cannes, London, Singapur, einem Dutzend Städten in den USA und Großbritannien organisierten Fans "Seinfeld-Partys", um von ihren Helden nach neun Jahren und 180 Episoden Abschied zu nehmen. Die Ausstrahlung der letzten Episode sahen in den USA etwa 100 Millionen Zuseherinnen und Zuseher -mehr Publikum, als der Film "Titanic" in den ersten drei Wochen hatte, und höhere Werbeeinnahme als beim "Super Bowl".

"Seinfeld" war nicht von Beginn an erfolgreich. Es dauerte fast zwei Jahre, bis die Show sich beim Publikum durchsetzte, sie wurde dann eine der erfolgreichsten Serien der amerikanischen TV-Geschichte, und brachte jedem der beiden Schöpfer, Larry David und Jerry Seinfeld, einen Gewinn von etwa einer Milliarde US-Dollar. Im neunten Jahr verdienten die vier Hauptdarsteller mehr als eine Million US-Dollar pro Episode.

Wäscheverkäufer

David wurde 1947 in Brooklyn geboren, studierte Geschichte und Ökonomie. Er scheiterte mit seinen anfänglichen Bemühungen als Schauspieler, schlug sich als Verkäufer von Unterwäsche durch, versuchte es in einer Anwaltskanzlei und als privater Chauffeur, bis er sein Talent als Drehbuch-Autor entdeckte. Seinfeld, 1954 ebenfalls in Brooklyn geboren, begann sehr früh als Kabarettist und "Comedian", trat immer wieder im Fernsehen auf, doch auch seine anfängliche Karriere war holprig und von vielen Misserfolgen unterbrochen. Während der zwei Jahre, die er für die TV-Show "Saturday Night Live" arbeitete, wurde ein einziger Witz von ihm übernommen. Seinfeld und David lernten einander 1988 kennen, wurden Freunde, und bei einem gemeinsamen Einkauf in einem Supermarkt, bei dem sich beide nicht entscheiden konnten, welche Cornflakes sie aussuchen wollten, und sich köstlich dabei amüsierten, kam ihnen die Idee, solch banale, einfache Alltagssituationen in eine TV-Show einzubauen.

Ursprung

In einer späteren Episode verweisen die Autoren auf das ursprüngliche Konzept, auf Gespräche mit Vertretern der TV-Anstalten. Jerry und sein Freund George versuchen in der Episode "The Pitch", dem Sender NBC eine neue Show zu verkaufen. Als der Manager fragt, worum es bei der neuen Show gehe, antwortet George: "It's about nothing". Damit verewigten sich die Schöpfer der Serie - wann die Frage auftaucht, warum Seinfeld so erfolgreich sein konnte - mit der Antwort: "It's a show about nothing." Natürlich ist es eine Koketterie über den komplizierten Aufbau, die kreative Struktur der TV-Show. Tatsächlich haben die einzelnen Episoden oft mehr Handlung und Abenteuer als manche 90-Minuten-Filme. "Seinfeld" repräsentiert - wie die Filme von Woody Allen - den modernen jüdischen Humor der USA.

David definierte zwei Grundsätze für "Seinfeld":"No hugging, no learning." Zuvor mussten Comedyshows die Botschaften vermitteln: Was immer das Problem sei, wir versöhnen uns, wir können aus jeder Situation etwas lernen, und wir werden bessere Menschen. "Seinfeld" war das Gegenteil: Wir zeigen keine Zuneigung, keine Sympathie, wir versöhnen uns mit niemandem, Probleme bleiben ungelöst, und wir werden keine besseren Menschen. In 180 Episoden haben sich die Charaktere nicht verändert. Sie heiraten nicht, gründen keine Familien, machen keine neuen Freunde, gehen keine langfristigen Beziehungen ein und haben keine beruflichen Erfolge. Nur ein Element im System "Seinfeld" bleibt stabil: Die Freundschaft zwischen Jerry und seinem Jugendfreund George (Jason Alexander), Jerrys ehemaliger Geliebten und jetzigen Freundin Elaine (Julia Louis-Dreyfus) und Jerrys Nachbar Kramer (Michael Richards).

Verwandte

Die teils absurd überzogene Darstellung der Charaktere setzt sich auch in den Familien der vier Freunde fort. Die Eltern von Jerry und George werden mit einem irritierende Zynismus dargestellt, mit allen negativen Klischees, die man älteren Menschen unterstellt und in dieser Offenheit in TV-Serien zuvor nie gezeigt wurden. Zahlreiche Nebendarsteller begleiten die vier Freunde wie ein Nachbar von Jerry namens Newman (Wayne Knight), ein übergewichtiger Postbote, in dessen Apartment sich die nicht zugestellten Briefe und Pakete stapeln. Die dunklen Seiten der menschlichen Psyche werden schonungslos thematisiert und zeigen die vier "Helden" als typische New Yorker der 90er-Jahre: egoistisch, egozentrisch, rücksichtslos und mitleidlos. Über Liebe, Sexualität, Zuneigung, Respekt und Unterstützung wird mit beißendem Humor und Sarkasmus gesprochen. Als Jerry tatsächlich überlegt, zu heiraten, erklärt ihm sein Nachbar Kramer, was für ein Alptraum auf ihn zukomme, beschreibt die Öde und Einsamkeit des Familienlebens, vergleichbar mit einer lebenslangen Verurteilung.

Zum ersten Mal in der Geschichte der Comedyshows sympathisierte das Publikum mit Charakteren, die ihre Hilflosigkeit und Bösartigkeit offen und schonungslos zeigen. Die geniale Struktur der Konflikte, der oft überraschende Humor in den Handlungen und Dialogen zeigt die Helden dennoch liebenswürdig und sympathisch, wie sie mit ihrer ehrlichen, offenen und oft hilflosen Art durchs Leben stolpern. Als George versucht, in einem Café eine Frau anzusprechen, geht er zu ihrem Tisch und sagt: "Hi, mein Name ist George, ich bin arbeitslos und lebe bei meinen Eltern."

Story-Lines

Was so leicht und einfach aussieht, basiert auf den wohl besten Drehbüchern, die je für eine TV-Show geschrieben wurden. Jede Episode beginnt mit Situationen, die humorvoll oder dramatisch völlig unabhängig nebeneinander stehen. Im Laufe der Episode kommen sie einander näher und näher, bis am Ende vier parallel zu einander laufende Storylines ineinander verschmelzen. Die Verflechtung der Storylines wirkt weder zufällig noch verkrampft, sondern durchaus logisch und sinnvoll. Die Comedyshows vor "Seinfeld" waren einfach strukturiert. Es gab eine A-und eine B-Handlung und einen Witz, der durchgezogen wurde, kaum Überraschungen, der Humor stützte sich auf gespielte oder erzählte Slapstick-Situationen. Erst mit "Seinfeld" entstanden verschiedene, gleichwertige Handlungen, wobei selbst Nebenfiguren tragende Rollen übernehmen konnten.

Nach dem Ende von "Seinfeld" hatten die vier Helden Schwierigkeiten, ihre Karrieren fortzusetzen. Jerry Seinfeld arbeitete weiter als Stand-up-Comedian mit mittelmäßigem Erfolg. Die anderen scheiterten mit neuen Projekten, sodass von einem "Seinfeld Curse" (Seinfeld-Fluch) gesprochen wurde. Erst 2006 gelang es Julia Louis-Dreyfus, mit einer neuen Show den Bann zu brechen. Einzig Jerry Stiller, der in "Seinfeld" den Vater von George spielte, erreichte mit seiner Rolle als Arthur Spooner in "King of Queens" ein großartiges Comeback.

Erlebnisse

David begann 1999 mit der neuen TV-Show "Curb Your Enthusiasm" ("Lass es, David") und übernahm selbst Drehbuch und Hauptrolle. Er geht einen Schritt weiter mit Bösartigkeit und Zynismus und beschreibt den Alltag eines Drehbuchautors in Los Angeles, der das Talent hat, nach kurzer Zeit jedem und jeder auf die Nerven zu gehen und aus einer noch so banalen Situation eine Katastrophe zu machen. Die meisten Episoden basieren auf Davids persönlichen Erlebnissen. "Curb Your Enthusiasm" gehört zu den Lieblingssendungen meiner Kinder: Der Charakter von David erinnere sie an ihren Vater, behaupten sie, und sie hätten den Eindruck, eine Dokumentation über ihn zu sehen, was ich nie verstand, da ich mich - wahrscheinlich wie David - ganz anders sehe.