Hahn übt scharfe Kritik an FPÖ und Türkis-Grün

von Hahn übt scharfe Kritik an FPÖ und Türkis-Grün © Bild: APA/APA/GEORG HOCHMUTH/GEORG HOCHMUTH

Hahn nimmt sich zum Amtszeitende kein Blatt vor den Mund

EU-Budgetkommissar Johannes Hahn lässt mit scharfer Kritik an der FPÖ und der türkis-grünen Regierung aufhorchen. Das FPÖ-Plakat zur Europawahl, in der die EU der Kriegstreiberei bezichtigt werde, sei "unfassbar", sagte Hahn der Tageszeitung "Die Presse" (Mittwochsausgabe). An Türkis-Grün kritisierte er, dass "sie zu keinem gemeinsamen Beschluss in der Europapolitik kommt und sich deshalb in Brüssel enthält". Finanziell hält er einen EU-Beitritt der Ukraine für machbar.

"Das ist so wie wenn jemand auf der Straße gewalttätig attackiert wird und dann werden jene, die dem Opfer beistehen als Schlägertruppe bezeichnet", kommentierte Hahn das FPÖ-Plakat. "Da bricht einer - (Kreml-Chef Wladimir) Putin - einen Krieg vom Zaum, der andere muss sich verteidigen. Und dann werden die, die seine Verteidigung unterstützen als Kriegstreiber bezeichnet? Das ist ja unfassbar."

Angesprochen auf die nachträgliche Kritik seiner eigenen Partei an EU-Beschlüssen wie zum Verbrenner-Aus oder der Renaturierung sagte Hahn: "Was mich eher an der Koalitionsregierung stört ist, wenn sie zu keinem gemeinsamen Beschluss in der Europapolitik kommt und sich deshalb in Brüssel enthält - mit dem bequemen Nebeneffekt, dass jeder sagen kann, er sei dafür oder dagegen gewesen." Türkis-Grün hätte "weit mehr Gestaltungsmöglichkeit" in Brüssel, beklagte der Kommissar, der nach seiner bereits dritten Amtszeit in der Brüsseler Behörde keine Verlängerung mehr anstrebt. Kritisch äußerte er sich auch über das Schengen-Veto Österreichs und sprach diesbezüglich von einer "Erpressungskeule", die man "nicht oft" schwingen könne. Allerdings müsse sich auch die EU-Kommission "kritisch hinterfragen, warum sie nicht ausreichend berechtigte Bedenken kleiner Mitgliedsländer berücksichtigt".

Mit Blick auf die EU-Wahl positionierte sich Hahn klar gegen rechtspopulistische Parteien. "Die Idee 'nur Österreich' oder 'nur Deutschland' funktioniert nicht", sagte er unter Verweis auf die hohe Exportabhängigkeit der österreichischen Wirtschaft oder die Arbeitskräftemobilität. "Europa ist ein gemeinsamer Lebens- und Wirtschaftsraum. Was die FPÖ und AfD hier machen ist: sie gefährden unseren Wohlstand." Hahn äußerte sich zuversichtlich, dass nach der EU-Wahl "die konstruktiven Kräfte eine deutliche Mehrheit haben" werden.

Hahn brach eine Lanze für die EU-Annäherung der östlichen Kandidatenländer Ukraine, Georgien und Moldau. Die Beitrittsperspektive für diese Länder sei "ein extrem wichtiges Signal, das klar macht, wo diese Länder hingehören". Es dürfe aber "keine Carte Blanche" geben, betonte er auch mit Blick auf den Westbalkan. Angesprochen auf die finanziellen Auswirkungen des EU-Beitritts der Ukraine sagte Hahn, dies sei "das geringste Problem".

"Wenn die Ukraine beitreten würde, so würde das bei den derzeitigen Regeln für Strukturhilfen und Landwirtschaft 20 Prozent mehr kosten. Das klingt sehr viel. Aber wenn man das umlegt, sind das 0,2 Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung. Das ist allemal eine gute Investition", sagte er.

Ähnlich äußerte sich Hahn auch in einem Interview mit den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Mittwochsausgabe). "Es geht um ein lohnendes Investment, denn die Ukraine hat wirtschaftlich enormes Potenzial", sagte Hahn nach Angaben der Deutschen Presse-Agentur dpa. Der EU-Gemeinschaftsetat umfasst von 2021 bis 2027 rund 1,1 Billionen Euro. Eine Steigerung würde nach heutigem Stand rund 200 Milliarden mehr bedeuten.

Das größere Problem sieht Hahn allerdings bei der Vorbereitung in der Staatengemeinschaft. Er zählte auf: "Wie treffen wir Entscheidungen, wie sichern wir Rechtsstaatlichkeit? Wie bringen wir den großen Agrarsektor der Ukraine mit unserer Landwirtschaft zusammen?" Unabhängig von einem EU-Beitritt der Ukraine und Länder des Westbalkan seien in der EU institutionelle Reformen nötig, so Hahn weiter. Er plädierte etwa für Mehrheitsentscheidungen statt Einstimmigkeit in der Außenpolitik.

Anfang November hatte die EU-Kommission die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine empfohlen. Bei einem Gipfeltreffen Mitte Dezember hatten sich die EU-Staats- und Regierungschefs auf die Aufnahme von Beitrittsgesprächen verständigt. Diese dürften viele Jahre dauern. Zu den Skeptikern eines raschen EU-Beitritts der Ukraine wird auch Österreich gezählt, das stattdessen auf eine raschere Annäherung der Westbalkan-Staaten drängt.

Der frühere EU-Landwirtschaftskommissar Franz Fischler hatte jüngst in einem APA-Interview eindringlich vor einem EU-Beitritt der Ukraine ohne Reform der EU-Agrarpolitik gewarnt. "Wenn das nicht passiert, dann ist das eine Katastrophe", sagte er. Fischler verwies auf Berechnungen, dass man in diesem Fall das EU-Agrarbudget verdoppeln müsste. Auch bräuchte es wegen der großen Preisdifferenzen in einigen Bereichen - wie etwa Getreide - lange Übergangsfristen.

Experten des Instituts der deutschen Wirtschaft schätzten die finanziellen Folgen einer Vollmitgliedschaft der Ukraine in der Staatengemeinschaft auf das derzeitige mehrjährige Budget der EU in einem Ende vergangenen Jahres veröffentlichten Bericht auf rund 130 bis 190 Milliarden Euro. Die genaue Summe hänge davon ab, welche Annahmen über die Ackerlandfläche und die Bevölkerungszahl für die Ukraine getroffen würden.

Auch die Brüsseler Denkfabrik Bruegel kam in einer im März veröffentlichten Analyse zu dem Schluss, dass die Aufnahme der Ukraine bei derzeitigen Förderregeln erhebliche finanzielle Konsequenzen für die bisherigen Mitgliedsstaaten haben würde. Die Gesamtkosten einer Integration der Ukraine hätten sich in der laufenden Budgetperiode von 2021 bis 2027 Beispielrechnungen zufolge auf rund 136 Milliarden Euro belaufen.