Gaultier bringt seine "Fashion Freak Show" nach Wien

von Gaultier bringt seine "Fashion Freak Show" nach Wien © Bild: APA/APA/Semmel/Mark Senior

Exzentrische und bunte Fashion Freak Show von Gaultier

Jean Paul Gaultier blickt mit seiner "Fashion Freak Show", die im Juli in Wien gastiert, auf sein illustres Schaffen zurück. Die Mischung aus Laufsteg, Varieté, Tanz, Erotik und Pop repräsentiert das Werk des 71-Jährigen, der selbst Regie führt und die Kostüme entwarf. Ein bisschen Provokation muss dabei sein. "Ich habe allerdings nie der Provokation willen provoziert", sagte der Designer am Freitag bei einem Pressegespräch in Mailand.

"Mir ging es bei meinen Modeschauen stets darum, Vorgänge und Veränderungen in der Gesellschaft zu reflektieren", sagte Gaultier. Dass er sich dabei den Ruf eines Enfant terribles der Haute Couture erworben hat, amüsiert den Franzosen. "Das hat mich gefreut. Angestrebt habe das aber nie", beteuerte er schelmisch. In Italiens Modehauptstadt Mailand feierte die "Fashion Freak Show" am Donnerstagabend seine diesjährige Premiere. Wie er es empfunden habe, zuzusehen und auf sein Leben zurückzublicken? "Ich habe mich dabei nie gelangweilt, es tut sich immer was", antwortete Gaultier amüsiert. Die Inszenierung sei ihm nicht schwer gefallen: "Bei Mode muss man kreativ sein und etwas weiterentwickeln, bei dieser Show musste ich das nicht. Ich habe das alles gelebt, ich muss nur zeigen, was alles passiert ist."

Er brach Tabus und entstaubte die Modewelt: Entsprechend satirisch, laut, grell und divers gestaltete Gaultier das Programm. "Ich habe Mode nie als Kunst begriffen, das war nie meine Vorstellung von Mode." Emotion statt Intellekt könnte man seinen Zugang zusammenfassen. Fans bekommen ein Best-of seiner Kreationen geboten, in einer Art 2.0-Version überarbeitet und frisch geschneidert - vom eleganten Zweiteiler über Korsagen, Matrosenanzügen bis zu Gladiatoren-Outfits und fast nackt. Die ikonischen Kegel-BHs, mit denen Madonna auf einer Tournee Popgeschichte schrieb, fehlen ebenso wenig wie Männer in Röcken. Die Models tanzen zu Beats, Pophits und bei Bedarf zum ohrenbetäubenden Gitarrensolo. Conchita huscht in einer Einspielung über die Videowall. Dieser streute Gaultier Rosen: "Ihr Persönlichkeitsmix aus maskulin und feminin" habe es ihm angetan. "Sie ist da einzigartig - und dann noch diese Stimme."

Popmusik habe immer eine große Rolle bei seiner kreativen Tätigkeit gehabt, sagte Gaultier auf eine APA-Frage. "Ich komme aus der Generation David Bowie. Ich liebt die großen, extravaganten Rockstars. Für mich sind die Stimme, die Songs und der Look wichtig." Der Gassenhauer "Le Freak" von Chic ertönt in der Show mehrmals als akustischer roter Faden. "Ihr seid alle Freaks. Und Freaks sind schick", lässt Gaultier sein Publikum wissen. So tummeln sich auf der Bühne Punks zu "London Calling" ausgelassen vor dem Union Jack, Tattoos blitzen selbst unter edleren Roben hervor. Konfektionsgrößen spielen keine Rolle, denn Gaultier setzte noch nie nur auf klassische Schönheitsideale. "Mir ist es immer um die Persönlichkeit gegangen", so Gaultier. Dass Alter in der Modewelt noch immer als Tabu gilt, bedauerte der Designer: "Falten können so was Schönes sein."

So manchen Seitenhieb kann sich Gaultier in seiner Show nicht verkneifen: Die Modepolizei in Form einer Darstellerin, die "zufälligerweise" an "Vogue"-Legende Anna Wintour erinnert, tritt auf, und Karl Lagerfeld wird persifliert. Dass man ihn irgendwann akzeptiert hat, sei für ihn fast eine Enttäuschung gewesen: "Ich habe mich gefragt, was habe ich falsch gemacht?", scherzte er. S&M-Designer-Leder, nackte Haut (inklusive Striptease), zwei- und gleichgeschlechtlicher Körperkontakt vor dem Schriftzug "Sex" in riesigen roten Lettern, untermalt mit dem Frankie-Goes-to-Hollywood-Klassiker "Relax", und eine ordentliche Prise Burlesque dokumentieren in der "Fashion Freak Show" die Liebe Gaultiers, bei Defilees Tabus zu brechen. "Ich denke, die Aufführung ist noch politisch korrekt - fast", kommentierte Gaultier lachend.

Statt Memoiren zu verfassen, verpackte Gaultier sein Leben in eine Revue. Das ist nur konsequent. "Ich habe Mode immer wie einen Film gesehen, man kann mit Mode sehr schöne Geschichten erzählen", sagte Gaultier. Zwischen all dem Getöse sticht eine reduzierte, leise, intime Szene als dramaturgischer Höhepunkt heraus, wenn Gaultier den Aids-Tod seines Freundes thematisiert. Der Düsternis folgt ein strahlender Regenbogen auf den (bewegbaren) Videowänden, "sag ja zum Leben" feiert die Truppe in Aerobic-Aufmachung. "Mode sollte kein Konsumprodukt sein, sondern eine Ausdrucksform", meint Gaultier. Diesem Credo folgt die "Fashion Freak Show", die zwar formal keine Tabus bricht und bei den Sprechpassagen ein paar Längen aufweist. Sie huldigt in ihrer Opulenz Gaultiers Schaffen und bringt sogleich seine Philosophien näher. Nur konsequent, dass in einer Szene Schönheitsoperationen recht drastisch hinterfragt werden. "Alles, was ich in meiner Laufbahn gemacht habe, war eine Reflexion der Gesellschaft", so Gaultier.

Seine definitiv letzte Kollektion präsentierte Gaultier Anfang 2020. Eine Rückkehr kann er sich nicht vorstellen: "Ich habe 50 Jahre lang Mode gemacht. Wenn man jung ist, hat man viel zu sagen, im Alter nicht mehr, das ist normal. Ich habe gesagt, was zu sagen ist - und mehr gibt es für mich nicht zu sagen." Auf seinen Wien-Besuch mit der Show freut er sich: "Eine wunderbare Stadt, sehr romantisch. Ich weiß schon, ich bediene Klischees. Aber ich könnte mir vorstellen, dort eine Zeit lang zu leben."

(Von Wolfgang Hauptmann/APA)

(ZUR PERSON - Jean Paul Gaultier Gaultier stammt aus einer einfachen Familie. Geboren wurde er in Bagneux, einem Vorort südlich von Paris. Der berühmte Modezar ist Autodidakt. Kaum 18 Jahre alt, schickte er den berühmtesten Modeschöpfern in Paris seine Skizzen zu. Der legendäre Pierre Cardin erkannte als Erster sein Talent und engagierte ihn 1970 als Assistent. Dann verlief alles wie im Märchen: Als 24-Jähriger stellte Gaultier seine eigene Linie vor, und 1978, nur zwei Jahre später, gründete er sein nach ihm benanntes Modehaus. Seine Mode wird längst nicht nur getragen, sondern auch weltweit in Museen ausgestellt.)

(S E R V I C E - "Jean Paul Gaultiers Fashion Freak Show": Sechs Aufführungen vom 10. bis 14. Juli in der Wiener Stadthalle, Halle F, Galapremiere unter Anwesenheit Gaultiers am 10. Juli; Tickets u.a. )