Gefährlicher High-Speed-Zirkus

Sportreporter-Legende Michael Kuhn erklärt, wie es zum Crash in Suzuka kommen konnte

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    Formel 1: Schwerer Unfall

    Jules Bianchi war im Oktober in der Dunlop-Kurve von der regennassen Strecke gerutscht und in der Auslaufzone ins Heck eines Bergungsfahrzeugs gekracht.

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    Formel 1: Schwerer Unfall

    Der Formel-1-Pilot wurde nach seinem schweren Unfall beim Grand Prix von Japan zunächst am Kopf operiert.

Das Drama um den französischen Formel-1-Rennfahrer Jules Bianchi zwingt uns noch Tage nach dem Crash zum Nachdenken: Hätte man den Unfall in Japan verhindern können? War er doch nur Folge der Verkettung unglücklicher Zufälle? Oder muss man einfach akzeptieren, dass ein Sport mit Spitzengeschwindigkeiten von mehr als 300 km/h bei allen Sicherheitsmaßnahmen gefährlich ist und bleibt?

Formel 1 wird immer riskant sein

Hochrisikosport. Ja, die Formel 1 wird immer höchst riskant sein. Trotzdem wäre der Unfall in der 46. Runde des Grand Prix von Japan zu vermeiden gewesen. Dann nämlich, wenn die Experten die Warnzeichen wahrgenommen und das Rennen vorzeitig gestoppt hätten: oftmalig Unterbrechungen und Verzögerungen, daher einbrechende Dunkelheit in Suzuka, immer stärker werdender Regen, (absichtlich?) überhörte warnende Funksprüche mancher Piloten. Aber der kommerzielle Druck war wieder einmal zu stark, nicht zum ersten Mal im Berufs- und Showsport. Weltweite Fernsehzeiten sind penibel einzuhalten.

Rufe aus Sotschi klangen zu laut

Michael Kuhn
© NEWS / Thomas Jantzen

Diesmal keine zwei Wochen Pause zum nächsten Rennen wie üblich. Boliden und Tonnen von Equipment müssen rasch verladen werden. Der Tross wartet auf den Abflug nach Sotschi, dort werden schon am Freitag wieder die Motoren angeworfen. Die leichtsinnige Kalkulation also, die das Drama mitverschuldete, hieß: Die paar Runden werden wir doch schon durchbringen. Diesem Trugschluss unterlag offenbar sogar der gewöhnlich vorsichtige und verantwortungsbewusste britische Formel-1-Sicherheitschef Charlie Whiting. Folge dieser „Wird schon nichts passieren“-Philosophie: Die Zielflagge praktisch schon vor Augen, schleuderte Jules Bianchis mit seinem Marussia von der regennassen Piste in ein Bergefahrzeug, das außerhalb der Strecke gerade Adrian Sutils beschädigten Sauber abschleppen wollte.

F1-Übertragung als organisierter Totschlag

Die blutige Seite der schaurig-aufregenden Formel 1 beschäftigt uns seit jeher. In den 70er-Jahren wollte der damalige Fernsehintendant Ernst Wolfram Marboe die Übertragungen abrupt einstellen. Dem feinsinnigen Menschen graute davor. Er sah darin organisierten Totschlag. Marboe hatte im ORF viel durchgesetzt, jetzt aber biss er auf Granit. Nicht zuletzt deshalb, weil gerade die große Ära Niki Laudas begann. Österreichs neuer Held durfte keinesfalls von den Bildschirmen verschwinden. Nicht nach Nikis Feuerunfall auf dem Nürburgring im August 1976, erst nach den Todes stürzen von Ayrton Senna und Roland Ratzenberger vor 20 Jahren in Imola wurden sich die Formel-Bosse ihrer Verantwortung bewusst. Sie machten die Königsklasse des Motorrennsports endlich sicherer.

Der "Nachteil" der Sicherheit

So sicher, dass die Rennen manchen schon langweilig wurden. Passiert ja nix mehr. Klingt brutal, aber die Menschen lieben den Hochgeschwindigkeitszirkus auch der Unfälle wegen.
Atmen glücklich schaudernd auf, wenn ein verunglückter Pilot nach einem Crash unversehrt aus dem Wrack klettert. Die Formel 1 wird immer gefährlich bleiben. Und die Livekameras potenzieren unsere Wahrnehmung. Horrorszenen ja, aber keine Beschädigung der menschlichen Glieder – dieses Kalkül kann nicht aufgehen.

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