Natriumcyanid - das tödliche
Gift, das Tianjin bedroht

Welche Auswirkungen die gefährliche Chemikalie auf Mensch und Umwelt haben kann

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Explosionen in China - Natriumcyanid - das tödliche
Gift, das Tianjin bedroht

Die chinesischen Behörden behaupten nach wie vor, dass Luft und Wasser für die Bürger von Tianjin keine Gefahr darstellen. Spuren von Natriumcyanid sollen bereits in nahen Gewässern nachgewiesen worden sein, berichtet wiederum die chinesischen Zeitung "Beijing News". Die Zeitung hat auch noch vor den Behörden veröffentlicht, dass rund 700 Tonnen Natriumcyanid in dem Gefahrengutlager lagerten, angeblich 30 Mal mehr als erlaubt. Nur nach und nach sind die Behörden mit Informationen herausgerückt: Das chinesische Militär hat erst am Sonntag, vier Tage nach der Katastrophe, offiziell bestätigt, dass hunderte Tonnen an Chemikalien in dem betroffenen Areal gelagert wurden. Der fehlende Informationsfluss macht stutzig. Nicht zuletzt deswegen, weil es sich bei der entwichenen Chemikalie um ein tödliches Gift handelt.

Gift erstickt Opfer innerlich

Das farblose Pulver mit der chemischen Formel NaCN ist ein Salz der Blausäure. Bei der Zersetzung von Natriumcyanid wird Blausäure gebildet. Da die Chemikalie Wasser sehr stark anzieht, reicht schon Luftfeuchtigkeit aus, um das Gift zu zersetzen. Natriumcyanid ist hochgiftig: Wer den Stoff einatmet, verschluckt oder über die Haut aufnimmt, kann daran sterben. Schon ein Milligramm Blausäure je Kilogramm Körpergewicht tötet einen Menschen. Dabei ersticken die Betroffenen innerlich. Nimmt ein Mensch die Chemikalie auf, kann das dazu führen, dass der Sauerstofftransport blockiert wird: Das Cyanid bindet an das Eisenatom eines bestimmten Enzyms des Mitochondriums, das für die Atmungskette wichtig ist. Das Enzym wird gehemmt und die Zellatmung kommt zum Erliegen. In geringen Mengen reizt der Stoff Augen, Haut und die Atemwege.

Zusätzlich zu Natriumcyanid sind die Chemikalien Kaliumnitrat (bei Herstellung von Schießpulver verwendet) und Ammoniumnitrat (bei Herstellung von Sprengstoffen und Düngemitteln verwendet) durch die Explosionen entwichen; beide Stoffe können bei höheren Temperaturen explodieren.

Erste Testergebnisse

Für Mensch und Umwelt ist allerdings das Gift Natriumcyanid am gefährlichsten. Inwieweit die ausgetretene Chemikalie die Gesundheit der Bewohner gefährdet, ist noch nicht genau bekannt. Am Sonntag mussten knapp 700 Verletzte in Krankenhäusern betreut werden. Die Umweltorganisation Greenpeace befindet sich derzeit vor Ort in Tianjin und hat bereits erste Messungen durchgeführt: Mehrere Wasserproben sind am 14. August in der Nähe des Unglücksortes genommen und auf Natriumcyanid hin getestet worden. Insgesamt hat die Umweltorganisation vier an verschiedenen Stellen entnommene Proben ausgewertet. Das Testergebnis zeigt: Im Wasser sind keine hohen Konzentrationen des Gifts gefunden worden. Die Wasservorräte von Tianjin sind laut diesen Ergebnissen zurzeit also nicht verseucht. Eine niedrigere vorhandene Konzentration von Natriumcyanid im Wasser kann laut Greenpeace durch diese erste Untersuchung weder bestätigt noch ausgeschlossen werden.

Tianjin: Mappe von den Wasserproben
© Greenpeace Die Zahlen zeigen die Orte an, an denen die vier Wasserproben entnommen wurden.

Die mögliche Verbreitung der Chemikalien durch die Luft sieht wie folgt aus:
1. Die in der Luft befindlichen Chemikalien werden laut dem meteorologischen Vorhersagesystem "NOAA-HYSPLIT" in den nächsten 24 Stunden durch den Wind nicht in den Süden und Westen von Tianjin getrieben.
2. Die Verbreitung der Chemikalien geht aufgrund der geringeren Windgeschwindigkeit langsam von statten.

Wiederholt hat Greenpeace indes die Behörden dazu aufgefordert, eine umfassende Untersuchung einzuleiten, um exakte Werte darüber zu erhalten, wie viel der giftigen Chemikalie in Wasser und Luft gelangt ist.

Die Spitze des Eisbergs

Stellt man fest, dass Wasser und Luft tatsächlich schwer mit dem Gift belastet sind, kann das laut Experten auch längerfristige Folgen haben. Von einer derartig immensen Explosion seien nicht nur Menschen, sondern auch Tiere und andere Organismen betroffen, teilt ein Experte der Universität von Newcastle, Australien, gegenüber der "Times" mit. Auch Greenpeace hat vor möglichen Langzeitfolgen für die Umwelt und die Bevölkerung gewarnt.

Das Unglück in Tianjin sei die Folge eines wesentlich tiefergehenden Problems, heißt es in einer Presseaussendung von Greenpeace. "Die tragische Explosion in Tianjin am Mittwoch und die besorgniserregenden Szenen, die wir in den letzten fünf Tagen miterlebt haben, sind nur die Spitze des Eisbergs. Was unter der Oberfläche brodelt, sind Jahre der Fahrlässigkeit im Umgang mit gefährlichen Chemikalien", sagt Wu Yixiu, Giftstoff-Expertin bei Greenpeace. Erst im Dezember 2011 hat die chinesische Regierung neue Regelungen in Bezug auf Lagerung, Transport, Produktion und Import von giftigen Chemikalien eingeführt. Doch diese Sicherheitsrichtlinien hält Greenpeace immer noch für zu locker. Tianjin sieht die Organisation als Beweis für ihre Bedenken an. Es hapert vor allem an:

  • der Überwachung von Transport und Lagerung gefährlicher Chemikalien durch Behörden, wie dem Transportministerium oder dem Ministerium für öffentliche Sicherheit.
  • einer exakten Regelung zur Distanz zwischen Gefahrengutlagern und Wohngebieten - die Vorschriften dazu sind höchst ineffizient, da keine präzisen Distanzangaben festgelegt sind. Im Fall von Tianjin lag das nächste Wohngebiet nur 560 Meter entfernt.
  • der Einhaltung der Berichterstattungs- und Aufzeichnungspflicht. Die lokalen Behörden haben im Fall von Tianjin offenbar nicht ausreichend über die Art und Menge der gelagerten Chemikalien Bescheid gewusst. Greenpeace zweifelt daher daran, dass sich die Firma "Ruihai Logistics", der das explodierte Gefahrengutlager gehört, an die geltenden Regeln gehalten hat.

Allein in der ersten Hälfte von 2015 sind in China über 13 Explosionen in der Chemieindustrie aufgetreten. Die Katastrophe im Hafen von Tianjin rüttle die Regierung hoffentlich endlich wach, so Greenpeace. Lasche Sicherheitsmaßnahmen und fehlende Kontrollen werden für das Unglück verantwortlich gemacht. Die Staatsanwaltschaft prüft nun auch, ob illegale Praktiken zu dem Unglück geführt haben könnten.

50 Internetseiten zensuriert

Unterdessen geht die Vertuschung in China weiter: Wie Medien berichten, haben die chinesischen Internet-Zensoren wieder zugeschlagen und 50 Websites gesperrt, die über die Explosionen in Tianjin berichtet haben. Die Zensoren ließen die Portale sperren, weil sie ihrer Ansicht nach "gefährliche Falschinformationen" verbreitet haben sollen. Wie die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua berichtet, sind die betroffenen Seiten beschuldigt worden, "durch die Veröffentlichung von unbestätigten Informationen oder von durch User verbreiteten Gerüchten, eine Panik auszulösen."

Kommentare

Urlauber2620
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Ob ein Unfall im Atomkraftwerk oder im teilweise illegalem Giftlager, erst mal wird alles verschwiegen und alle Menschen belogen. Das ist die wahre asiatische Mentalität. Und immer schön lächeln dabei. Nur der Zaster zählt, Menschen haben sie ja genug.

higgs70
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Schon vergessen wie bei Tschernobyl gemauert wurde und nicht mal der österreichische Staat bei den Strahlenwerten den Hintern nicht hochbekam, wie man bei der Katastrophe im Golf von Mexiko von einer Verkettung unglücklicher Zufälle sprach oder denkens einfach an den HCB-Skandal in Kärnten, uvam. Und man darf daran erinnern,dass so ziemlich alles, was dann zu Katastrophen führte, vorher als unbedenklich galt, ob in der Pharmazie oder in der Technik.
Erst wird geleugnet und bagatellisiert,dann kommt das Phlegma des "Es geht halt nicht anders" . Es ist immer dieselbe Mischung aus Betriebswirten, Industrietrotteln und Gierigen,die uns zuerst die Bude anzündet und uns hinterher das Lied singt,man hätte es nicht wissen können. Und das habens global, dass das ein rein asiatisches Phänomen ist Unfug.

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Ja, die Welt ist voller gefahren. Und was man nicht vollständig kennt und versteht, kann zu unvorhersehbaren Zwischenfällen führen. Nur was will man tun ? Hätte man Feuer aus der Welt verbannt, weil sich jemand mal daran verbrannt hat (oder darin umgekommen ist), wäre unsere Welt dann wirklich besser ?

higgs70
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Naja,wenn ein Feuer ein Gebiet auf zigtausende Jahre unbewohnbar machen würde und Opfer von Feuerunfällen auf unendliche Generationen die höhere Wahrscheinlichkeit hätten,missgebildete Kinder zu bekommen,wenn wir Feuerrückstände in Tiefstollen versenken müssten und so an die 100.000 Jahre sichern,wenn bei einem solchen Feuer nicht nur die direkt Betroffenen sondern die Einwohnerschaft des ganzen Landstrichs Gesundheitsschäden hätte,dann sollte man tatsächlich sofort überlegen das mit dem Feuer bleiben zu lassen.
Und seit fast einem Lebensalter zieht eine Generation von Trotteln an mir vorbei, die nicht begreifen will, dass man etwas,das im Falle eines Unfalles großflächig und auf unabsehbare Zeit wirkt,am besten unterlässt, erst recht wenn mans nicht vollständig versteht. Es gibt Risiken, die man nicht eingeht, wurst was es bringt.

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Da Sie offensichtlich Kernkraft als Beispiel heranziehen wollen: Eine Risikobewertung ist subjektiv und selbst Vernunft ist es. Wenn Sie ein Risiko nicht eingehen wollen heißt das nicht, dass jemand anders es genau so sehen müsste. Einem Nichtraucher ist es auch nicht einsichtig, dass jemand überhaupt rauchen kann. Welche Alternativen gibt es momentan zur Kernkraft ? Wollen Sie wirklich statt dessen kalorische Kraftwerke mit ihren bekannten Auswirkungen auf die Umwelt auf die Menschheit loslassen ? Oder soll die Welt sich einfach darauf besinnen, trotz steigender Weltbevölkerung weniger elektrische Energie zu benötigen ? Wollen Sie wirklich weltweit politisch durchsetzen, aktuelle soziale, umwelttechnische und politische Probleme zu möglichen Gunsten einer Zukunft, die dazu niemand kennt, ungelöst zu lassen ? Falls ja wäre ich neugierig, wie sie dieses hehre Ziel umsetzen wollen.

In der Tat ein Dilemma - und weil es eines ist, darf man die, die es nicht lösen können, nicht automatisch mit Arroganz begegnen und sie sogar als "Trotteln" betiteln - oder müssten jeden Menschen - sie selbst inklusive - als solchen betiteln, da es niemand lösen kann.

higgs70
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Oh ja, Besinnen ist ein gutes Stichwort und Ansätze, die mir gefielen, würden mir jede Menge einfallen, z.B. Umbau des Systems von Wachstums- zur Versorgungszentrierung,heißt aber moderater Lebensstandard, dafür weniger Arbeit aber auch weniger Konsum, nicht alle drei Jahre ein neues Auto, keine regelmäßig wechselnden werbungsinduzierten Konsummoden, nachhaltiger Umgang mit Resourcen,Lokalitätsprinzip von Konsum und Produktion, Verringerung des Bevölkerungswachstums,kleine politische Einheiten.etc. Bis jetzt habe ich allerdings keinen Zweiten gefunden der das auch will;-))
Und obs realistisch ist oder Spinnerei bleibt wird man sehen, aber Sie wissen ja, "the dreamers ride against the men of action,Oh see the men of action falling back" (L.Cohen)

Im Übrigen haben Sie natürlich recht, der Begriff "Trotteln" war mehr ein Ausdruck meiner Wut und für dumm halte ich die ganz sicher nicht, sonst wäre mein emotionaler Impuls der der Belehrung und nicht der von Invektiven.

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Die Beschreibung der Giftwirkung ist falsch. So wie hier beschrieben wirkt Kohlenmonoxid, nicht aber Cyanid. Zwar reagiert auch Cyanid schwach mit dem Hämoglobin, das ist aber nicht ausschlaggebend für die Giftwirkung. Vielmehr transportiert das Blut weiter fleißig Sauerstoff herum, jedoch kann dieser in den Mitochondrien durch eine Enzymhemmung nicht mehr verwertet werden.

Carina Pachner melden

Lieber Wergznase,

danke für den Hinweis, tatsächlich ist die Hemmung des Enzyms Cytochrom-c-Oxidase ausschlaggebend. Der Artikel ist dahingehend geändert worden.

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Liebe Carina Pachner,

gerne doch, danke für die Korrektur!

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