Was nun, Herr Fischler?

Österreichs Kommissar a.D. Franz Fischler macht Vorschläge, wie die EU sich verbessern kann

von EU-Zukunft - Was nun, Herr Fischler? © Bild: NEWS.AT

NEWS: Wie beurteilen Sie als Ex-EU-Kommissar die aktuelle Lage – Finanzkrise, Euro-Rettungsschirm, dramatische Zuspitzung in der griechischen Innenpolitik?
Franz Fischler: Beim letzten Gipfel ist ein wesentlicher Schritt gelungen. Aber gewisse Zweifel habe ich, ob das in Summe reicht. Die Zweifel werden dadurch gestärkt, dass man fast zwei Jahre lang nur eine Strategie des Schiebens, des Zuwenig, des Zuspät und ungenügender Maßnahmen gefahren hat, was bei den Bürgern gleichermaßen das Klima vergiftet hat. Man hat nicht die Wahrheit gesagt, keinen reinen Wein eingeschenkt, das ist erst jetzt geschehen. Es wäre höchst dringlich, dass man zusätzlich zu den beschlossenen Maßnahmen für alle EU-Staaten, nicht nur für Griechenland, die Regeln für die Budgetierung, Kontrolle und Sanktionierung wasserdicht macht.

NEWS: Wie denn?
Fischler: Die EU muss jederzeit in die Bücher der Mitgliedsstaaten Einsicht nehmen und bei Fehlverhalten unmittelbar agieren können. Die Kommission als Behörde ist dazu jedoch bisher nicht berechtigt, dann auch einzugreifen, vor allem kann sie keine unmittelbare Verhaltensänderung erzwingen. Fundamental wichtig wäre es zudem, in allen EU-Staaten nicht allein die Staatsschulden in den Griff zu kriegen, sondern auch die Wirtschaft anzukurbeln.

NEWS: Man spricht schon von einer EU-Wirtschaftsregierung, von einem EU-Finanzminister. Auch von einem Nordeuro und einem Oliveneuro oder von einer Föderationslösung für die Union. Was soll passieren?
Fischler: Das alles sind leider Zeichen, dass man nicht so recht weiß, was man will. Nicht nur Griechenland, die ganze EU braucht einen „New Deal“ für Wachstum und Beschäftigung! Das könnte die EU-2020-Strategie sein, die aber bis jetzt weitgehend nur aus Überschriften besteht. Es gehörte wie seinerzeit mit den Delors-Paketen ein konkreter Umsetzungsplan her: Was sind „grüne Jobs“?, Wie kommt man zu 75 Prozent Beschäftigungsquote? Was heißt „wissensbasierte Volkswirtschaft“? Das muss mit Leben erfüllt werden. Ansonsten endet man wie bei der Lissabon-Strategie mit „Wünschen ans Christkind“.

NEWS: Was soll die EU tun?
Fischler: Klassische Vertragsänderungen in der EU brauchen zehn Jahre. Daher sollte man endlich aufhören, irgendwelche Wünsche oder Fantasien für den Sankt-Nimmerleins- Tag zu entwickeln, sondern sagen: Man muss eine Wirtschaftskoordination innerhalb des Lissabon-Vertrages schaffen, das ließe sich binnen Monaten entscheiden. Eine Wirtschaftsregierung ist sinnlos, weil es dafür keine Übereinstimmung unter den EU-Staaten gibt. Und auch wenn es diese gäbe, müssten die Verträge geändert werden. Das heißt nicht, dass so etwas nicht wünschenswert wäre, aber es hilft nicht, die aktuellen Probleme zu lösen.

NEWS: Wie dann soll die EU Budgetsündern beikommen?
Fischler: Wenn es um die Budgetpflichten geht, kann man das über die einfache EU-Gesetzgebung lösen. Wenn man einigermaßen Gas gäbe, binnen eines halben Jahres. Da sollte die EU-Kommission endlich die Initiative ergreifen.

NEWS: Es ist also nicht machbar, die wichtigsten Politiken, z. B. Finanzen und Sicherheit, auf die EU zu übertragen?
Fischler: Das sind Langfrist- Ideen. Noch dazu, wenn man das tun will, ist man, abgesehen von der Außenpolitik, praktisch bei den Vereinigten Staaten von Europa angelangt. Und diese finden meiner Meinung nach auch in zehn Jahren nicht statt, da es genügend Staaten gibt, die strikt dagegen sind, angefangen beim Vereinigten Königreich. Damit sage ich auch hier nicht, dass dies nicht sinnvoll wäre – ich kann es mir wünschen, aber das spielt’s nicht.

NEWS: Wie soll es dann mit der EU weitergehen?
Fischler: Spielentscheidend ist, das Dringliche und Wichtige zuerst zu machen. Nämlich die öffentlichen Ausgaben zu sanieren, immer noch vorhandene Barrikaden im Binnenmarkt zu beseitigen und – das Wichtigste – zu dem schon erwähnten „New Deal“ für neues Wachstum in Europa zu kommen. Dieses wäre dann, Stichwort: soziale Komponente, in sozialer Symmetrie zu verteilen!

NEWS: Ist die EU überhaupt in der Lage, sich neu zu ordnen?
Fischler: Es ist darüber nachzudenken, wie man Dynamik erzeugt, denn das politische Führungspersonal glänzt momentan nicht gerade durch eine solche. Europa muss wieder Saison haben! Ich wäre ja schon zufrieden, wenn man die Frage glaubhaft beantworten könnte, wie man den „Karren Europa“, der offenkundig im Dreck steckt, wieder auf die Straße zurückbringt! Weil abgesehen von den wirtschaftlichen Fragen ist es doch so, dass wir auch mit der Integration und in der Außenund Sicherheitspolitik Probleme haben. Beispiel: Bis jetzt wird viel zu wenig darüber nachgedacht, was der Arabische Frühling in den kommenden Jahren für Konsequenzen für Europa haben wird. Oder wie wir mit der Überalterung oder mit den Klimaflüchtlingen umgehen.

NEWS: Vordringlich ist ein sozialeres Europa. Unruhen greifen um sich, in Paris, Berlin, London.
Fischler: Dass die Leute auf die Straße gehen, hat offensichtlich damit zu tun, dass es an Perspektiven, vor allem aber an Jobs mangelt, und an einer gerechten Verteilung der Vermögenszuwächse.

NEWS: Europa wird von seinen politischen Eliten offenbar viel zu wenig erklärt bzw. gar nicht.
Fischler: Völlig richtig, beinahe gar nicht! Bislang behalten es sich nämlich die EU-Mitgliedsstaaten vor, wie und ob und in welchem Ausmaß sie Europa kommunizieren – nur betrachten sie dabei alles durch die nationale Brille. Daher wäre es politisch sinnvoll, wenn die politischen Parteien bei der nächsten Europa-Wahl Kandidaten für den Kommissionspräsidenten präsentieren würden, und wer die meisten Stimmen bekommt, ist gewählt. Dann wären wir endlich weg von der unsinnigen Situation, dass die Regierungschefs zwar betonen: „Wir suchen den stärksten Mann, den wir finden können“, aber dann wieder nur jenen wählen, der ihnen am bequemsten ist.

NEWS: Also Direktwahl der EUChefs durch die Bürger?
Fischler: Das meine ich vorläufig nur für die Kommission. Wenn man so das Zusammenspiel zwischen EU-Kommission und EU-Parlament verstärken könnte, wäre das ein riesiger Demokratisierungsschritt, zumal die Instrumente der direkten Demokratie auch noch unterentwickelt sind. So könnte man auch dem dumpfen Gefühl an den Stammtischen, dass man von Brüssel ständig „diktiert“ werde, begegnen.

NEWS: Österreich ist einer von nur mehr sechs EU-Nettozahlern. Trotzdem tritt Österreich in Brüssel defensiv auf.
Fischler: Es gibt überhaupt keinen Grund, der Österreich hinderte, auf jeden Fall aktiver in Brüssel aufzutreten. Gerade jetzt, wo ganz Europa die Sorge hat, dass man unter eine französisch-deutsche Hegemonie geraten könnte und nur deren Wünsche abnicken kann, gerade jetzt läge es doch auf der Hand, dass jemand die Initiative ergreift und sagt: Wir haben so viele kleinere und mittlere Staaten in der EU, warum tun wir uns nicht auch stärker zusammen? Wer hindert Österreich, hier die Initiative zu ergreifen? Es hätte beste Voraussetzungen dafür. Dazu kann ich leider nichts anderes sagen als: Das ist ein Mangel der in Österreich politisch handelnden Personen.

NEWS: Warum ist das politische Führungspersonal, in der EU und anderswo, so schwach? Gibt’s keine geeigneten Leute?
Fischler: Das glaube ich nicht, gute Leute gibt es genauso viele wie früher. Aber Europa hängt am Tropf der Nationalstaaten. Nachdem dort die Qualität des politischen Personals nicht gerade zu Lobpreisungen und Euphorie Anlass gibt, darf man sich nicht wundern, dass dies auf die europäische Ebene abfärbt. Die EuropapolitikerInnen kommen ja alle aus den nationalen Bereichen.

NEWS: Deutschlands Angela Merkel sagte zuletzt, wenn die EU-Finanzkrise nicht gelöst wird, gehe es um die EU-Existenz. Haben Sie Angst um die EU?
Fischler: Sie hat Recht, darum müssen wir mit dem Euro anständig über die Runden kommen. Ansonsten ist tatsächlich die Gefahr enorm groß, dass Europa zerbricht

Das Interview gibt's zum Nachlesen im aktuellen NEWS 44/11

Kommentare

\"Die EU brachte uns Wohlstand\" verkünden die Politiker 2/3 (6 Mio) der Österreicher haben kein Vermögen!
25% arbeiten im Niedriglohnbereich
über 1 Mio ist arm und armutsgefährdet
10% besitzen 60% des Vermögens

Ich glaubs ihnen: Die EU brachte uns Wohlstand, Sicherheit und billigere Preise....

Erbarmen! Hört endlich auf mit dem debilen gesabbere vom \"Wirtschaftswachstum\" Mit der Leistungsfähikeit der Wirtschaft von 1980 wäre es leicht alle unsere Probleme zu lösen und einen sehr hohen und vor allem stressfreien Lebensstandard zu etablieren.

Warum unser Lebensstandard abnimmt, immer mehr Stress, liegt an den grundlegenden Rechenfehlern der sogenannten "Wirtschaftswissenschaften". Deren falsche Berechnungen haben uns einen weit überteuerte unrentable Bereitstelluing unseres Lebensstandards gebracht.

http://politik.pege.org/2011-anklage/

Es ist schon eigenartig! Es ist schon eigenartig! Diese "Reformatoren" wie Fischler einer ist, gibt es zu Hauf. Alle werden aber eigenartiger Weise erst "gescheit" wenn sie satt abkassiert haben und in ihrer "unverdienten" Pension sind. Siehe die Aktion "Österreich neu", die die Altpolitiker wie Schüssel, Vranitzky, Khol, Blecher, Busek und wie sie alle heißen, ins Leben rufen wollen. Während Sie in "Amt und Würden" waren, waren sie nicht daran interessiert, eine Änderung herbeizuführen, weil dann auch eine Änderung ihrer Privlegien ins Auge gefasst werden müsste. Als schön still und leise sein und wenn man dann seine Privilegien in die Pension gerettet hat, dann Verbesserungsvorschläge bringen, die nur mehr "die Anderen" betreffen, die jetzt am Ruder sind. Mit einem Wort gesagt: Das sind alles falsche "Fünfziger"!

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