EU auch nach Schwenk Deutschlands in Türkei-Frage gespalten

Gabriel: "Türkei entfernt sich von Europa" - Kurz fordert raschen Zahlungstopp

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"Es wäre falsch, die Beitrittsverhandlungen fortzusetzen", ebenso wäre es falsch, weitere finanzielle Zahlungen der EU an die Türkei fortzusetzen, sagte Kurz. Er wolle sich dafür einsetzen, dass Vorbeitrittshilfen der EU bis 2020 im Umfang von 4,4 Mrd. Euro nicht fließen. Kurz hofft diesbezüglich bereits auf eine Entscheidung der Staats- und Regierungschef im Oktober. "Ein Abbruch der Beitrittsverhandlungen bedeutet auch, dass wir dieses Geld nicht zahlen müssen." Kurz: "Je länger wir warten, desto mehr Geld zahlen wir in Richtung Türkei."

Vor einem Jahr sei er noch allein mit seiner Haltung zur Türkei gewesen, "aber es hat sich seither sehr viel getan", sagte der Außenminister weiter. Viele hätten seither die Hoffnung auf eine positive Entwicklung in Türkei aufgegeben. "Ich bin froh, dass es jetzt auch bei (SPD-Chef) Martin Schulz, (Deutschlands Außenminister) Sigmar Gabriel und anderen einen Meinungsschwenk gibt."

Gabriel ließ einen möglichen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen offen. Nur ein Land, welches die Kopenhagener Kriterien der EU erfülle, könne Mitglied der Europäischen Uniokn werden, betonte er. "Die Türkei entfernt sich mit rasender Geschwindigkeit davon. Ein Land, das Menschenrechte missachtet, den Rechtsstaat infrage stellt, Journalisten inhaftiert, entfernt sich von Europa. Nicht wir entfernen uns von der Türkei, sondern die türkische Regierung entfernt die Türkei von Europa."

Auf seine frühere Kritik an Kurz ging Gabriel nicht ein. "Wir haben in den letzten Wochen sehr viel versucht, auf die Provokationen der Türkei nicht zu antworten", sagte er. Deutschland habe nicht auf Erdogans Nazi-Anschuldigungen reagiert. "Aber in dem Momernt, wo die Türkei 680 deutsche Unternehmen verdächtigt, Terroristen zu unterstützen, deutsche Staatsbürger in Haft genommen werden, gibt es irgendwo einen Punkt, wo wir nicht mehr so weitermachen können, als wäre nichts geschehen." Präsident Recep Tayyip Erdogan habe offenbar nicht die Absicht sein Land in die EU zu führen. "Herr Schulz habe nur Realität ausgesprochen, die Herr Erdogan geschaffen hat"

Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn sagte: "Es geht vielen meiner Kollegen schlimm auf den Ticker, dass immer diese Attacken mit Nazi-Parolen aus der Türkei vor allem gegenüber Deutschland gerichtet werden." Der Einsatz für festgehaltene deutsche Staatsbürger habe nichts mit Nazis zu tun.

EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn forderte die EU-Staaten auf, selbst zu entscheiden, ob sie weitere Schritte gegenüber Ankara treffen wollen. Die EU-Kommission werde "spätestens im Frühjahr nächsten Jahres einen Bericht vorlegen, und wir wollen uns wirklich ansehen, wie sich die Situation in der Türkei entwickelt. Wir sind sehr kritisch. Es ist keine Frage: Die Türkei entwickelt sich definitiv nicht in Richtung Europa, sondern von Europa weg."

Hahn verwies darauf, dass ein formelles Einfrieren der Beitrittsverhandlungen oder ein Zahlungsstopp eine qualifizierte Mehrheit erfordere. Es sei Aufgabe und Zuständigkeit der EU-Staaten, die aktuelle Position beizubehalten, wonach keine weiteren Kapitel in den Beitrittsverhandlungen eröffnet werden, oder einen Schritt weiter zu gehen." Hahn: "Meines Erachtens ist es mit Achselzucken nicht mehr getan."

Andere Außenminister zeigten wenig Interesse an einer Haltungsänderung. Die Türkei bleibe weiter ein wichtiger Partner für die EU, sagte Estlands Außenminister Sven Mikser, dessen Land derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Die Türkei sei auch ein unverzichtbarer NATO-Verbündeter. Daher dürfte die EU "keine übereilten Entscheidungen" treffen, wenn sie über den Kandidatenstatus der Türkei diskutiere. Gegen einen Abbruch der Beitrittsgespräche sprach sich auch Finnlands Außenminister Timo Soini aus. Es sei immer am besten, einen Dialog zu haben, betonte er . Belgiens Außenminister Didier Reynders betonte, die EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara seien bereits jetzt "de facto angehalten".

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