Eddie Vedder "did it his way":
Erfolgreich trotz "Karriere-Suizid"

Der Pearl Jam-Frontman hat es auf seine Art geschafft - heute wird er 50 Jahre alt

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50 Jahre alt - Eddie Vedder "did it his way":
Erfolgreich trotz "Karriere-Suizid"

1990, Seattle: Der aufstrebende Musiker Andrew Wood stirbt mit nur 24 Jahren an einer Überdosis Heroin. Zurück lässt er die am Boden zerstörten Musiker seiner Band Band Mother Love Bone. Dass diese Tragödie die große Chance eines anderen Sängers ist, ahnte Anfang der 1990-er-Jahre noch niemand. Doch der Zufall spielte den übrig gebliebenen Musikern Stone Gossard (Gitarre) und Jeff Ament (Bass) die sogenannten „Momma-Son“-Demotapes eines gewissen Eddie Vedder in die Hände. Die Power, die darin lag, überzeugte die Seattler Musiker sofort: Vedder, der damals in San Diego ansässig war, wurde umgehend eingeladen und in die Band aufgenommen.

Noch bevor es zur offiziellen Gründung der Band Pearl Jam kam, durfte Vedder auch bei dem Andrew-Wood-Tribute „Temple of the Dog“ (die Pearl-Jam-Musiker mit Soundgarden-Frontman Chris Cornell als Sänger) mitwirken. 1991 erschien dann mit „Ten“ das erste Pearl Jam-Album, das sofort Hit-Status erreichte. Vedder widmete sich in seinen Texten vor allem ernsten Themen wie Depression, Obdachlosigkeit oder Missbrauch.

Familienlüge wird zum Hit

Vedder selbst, der am 23. Dezember als Edward Louis Severson III in dem Chicagoer Vorort Evanston, Illinois geboren wurde, wusste von diesen Themen zu berichten. Er hatte selbst eine mehr als schwierige Kindheit und Jugend in zerrütteten Familienverhältnissen hinter sich. Von diesen zermürbenden Jahren handelt auch der bis dato größte und wohl bekannteste Song der Band: In „Alive“ (bereits auf dem Debüt „Ten“ erschienen) lässt Vedder seinem Ärger über eine Familienlüge freien Lauf: Während seine Mutter ihn bis ins Teenager-Alter in dem Glauben ließ, dass der Mann an ihrer Seite sein leiblicher Vater sei, verstarb sein richtiger Vater noch bevor Vedder die Wahrheit erfahren sollte.

Cobain-Fehde

Dieses und weitere einschneidende Erlebnisse begann Eddie Vedder immer mehr in seiner Musik zu verarbeiten. Damit traf er in den 1990-er-Jahren genau den Nerv der Grunge-Generation - in gewisser Weise das Gegenteil der heutigen „Happy“-Generation. Bei dem Begriff Grunge taucht jedoch vor allem ein Name im Gedächtnis auf: Nirvana. In den Anfängen der Bands kam es tatsächlich zu großer Rivalität (Pearl Jams „Ten“ erschien knapp ein Monat vor Nirvanas Megaseller „Nevermind“), die vor allem Kurt Cobain zuzuschreiben war, der Pearl Jams Musik bei jeder Gelegenheit als unecht und massentauglich beschimpfte. Im Jahr 1992 kam es jedoch zur großen Aussöhnung, die Vedder und Cobain in Form eines Tänzchens am Rande der MTV VMAs zelebrierten.

Veröhnungs-Tanz mit Kurt Cobain

Auf Abwegen zum Erfolg

Doch statt sich der Masse und dem Erfolg hinzugeben, ging Vedder stets seinen eigenen Weg: einen Weg weit abseits üblicher Karrierepfade. Statt nach dem "Ten"-Erfolg die Bandkarriere weiter in kommerzielle Richtungen zu treiben, zog der Musiker es vor, vorerst komplett auf Musik-Videos sowie Interviews zu verzichten, auch um den Rummel um seine Person einzudämmen. Zu sehr hatten ihn Vorkommnisse mit Fans verstört: Eine Frau raste im Glauben, in Vedder Jesus gefunden zu haben, mit dem Auto in sein Haus und brachte sich damit beinahe selbst um. „Einer der Gründe, warum man sich schützen muss ist, weil man zuvor mit seinen Emotionen so offen war. Also baust du eine Mauer. Und dann rasen Menschen in diese Mauer. Das ist es, was dich verrückt macht“, erklärte Vedder Jahre später in einem Interview mit dem britischen „Guardian“. Auch die Tatsache, dass er zunehmend die Kontrolle über seine eigene Identitätsdarstellung verlor, veranlasste den Musiker, sich, soweit möglich, der Öffentlichkeit zu entziehen.

Aber nicht nur die Fans bereiteten Pearl Jam Sorgen. Es folgte ein jahrelanger Rechtsstreit mit Ticketmaster, dem US-amerikanischen Konzertkarten-Monopolisten. Vedder und Pearl Jam bekrittelten die zu hohen Ticketpreise – verloren jedoch den Prozess. 1994 sagte die Band sogar eine Tour ab, um Ticketmaster nicht zu erlauben, ihre Preise durchzusetzen. Stattdessen wurde selbst eine Tournee zusammengestellt, in der sämtliche Ticketmaster-Veranstaltungsorte (also fast alle großen US-amerikanischen Event-Hallen) umrundet wurden. Die Tour wurde allerdings zunehmend zum Fiasko und die Geduld der Fans auf eine harte Probe gestellt. Dennoch schweißte auch diese - für viele wie ein Karriere-Suizid wirkende - Mission die Fan-Gemeinde rund um ihren ebenso charismatischen wie starrköpfigen Helden im Endeffekt noch enger zusammen.

Eingeschworene Gemeinde

Diese Fan-Gemeinde aus Pearl Jam-Anhängern ist eine eingeschworene Bastion, die kaum eine Band hinter sich weiß und lässt an Zeiten der Hippie-Rocker von The Greatful Dead erinnert. Pearl Jam auf sämtliche Kontinente nachzureisen ist unter Fans Gang und Gäbe; manche Anhänger sollen sogar in ihren Arbeitsverträgen fixen Urlaub für jegliche Pearl Jam-Termine fixiert haben oder unterhalten ein eigenes Bankkonto, um diese Touren zu finanzieren. „Du planst nicht, dass so etwas passiert, aber ich denke, es ist das ultimative Kompliment“, so Vedder in einem Interview mit „Entertainment Weekley“(2006) auf die sogenannte „Jamily“ angesprochen. Und Vedder weiß diese Ehre durchaus zu schätzen sowie die Zuneigung zu pflegen: Immer wieder begegnet er seinen wartenden Fans nach Konzerten, schreibt Autogramme, unterhält sich mit ihnen. Nur eines bleibt dabei tabu: Selfies mit dem großen Idol, die gibt es nicht. Vedder kommt erst, wenn alle Fotoapparate verschwunden sind.

Reizbarer Gutmensch mit eigenem Kopf

So komplex Fan-Idol-Beziehungen sind, so ist auch die Persönlichkeit des Idols: Nach außen durchaus als eine Art „Gutmensch“ à la Bono im positiven Sinne wahrnehmbar, der sich für wohltätige Zwecke einsetzt (und die Fans in großen Scharen mit ihm), hat Vedder aber auch typische Rockstar-Seiten: Pearl-Jam-Bassist Jeff Ament beschreibt seinen langjährigen Bandkollegen als „reizbar“ und auch der Frontman gibt zu: „Ich war nie der ruhige, ausgeglichene Typ.“ Nein, Vedder spricht aus, wonach ihm ist und lässt sich schon gar nichts in den Mund legen, wie er auch in jüngster Vergangenheit bewies: Bei einem Konzert in Großbritannien 2014 redete er sich munter in eine Anti-Kriegs-Rage: „Die suchen nach einem Grund, um Grenzen zu übertreten und Land zu nehmen, das nicht ihres ist. Die sollten sich rausscheren und sich um ihre eigenen Dinge kümmern“. Der Rede folgte ein Aufschrei, annehmend, Vedder hätte von Israel gesprochen, was er jedoch in einem offenen Brief und der Veröffentlichung des John-Lennon-Covers „Imagine“ postwendend widerlegte.

Dennoch ist der Sänger, der früher bei Konzerten in schwindligen Höhen wilde Stunts vollführte und auch eine für die Band traumatische Tragödie am Roskilde-Festival (neun Menschen wurden 2000 während des Pearl-Jam-Auftrittes zu Tode getrampelt) verarbeiten musste („Ich kann noch immer nicht drüber reden“), in den letzten Jahren sichtlich ruhiger geworden. Geturnt wird auf der Bühne nur noch im gemäßigten Ausmaß - ohne Todesgefahr - und auch privat hat sich der inzwischen zweifache Familienvater mit seiner Frau in zweiter Ehe, dem Ex-Model Jill McCormick, niedergelassen.

Auf die nächsten 50

Wie der trotzdem immer noch die Öffentlichkeit meidende Vedder seinen 50. Geburtstag verbringt, bleibt privat: doch die Fans lassen es sich natürlich nicht nehmen, ihren Helden zu feiern. So hat beispielsweise die Fan-organisierte „Wishlist Foundation“ (eine Nonprofit-Organisation, um Pearl Jams karitative Engagements zu unterstützen) zu einem großen Glückwunsch-Video-Projekt aufgerufen. Bleibt zu hoffen, dass sich Eddie Vedder mit einer möglichst langen Karriere à la Rolling Stones bei seiner „Jamily“ revanchiert; Die Zeichen dafür stehen alles andere als schlecht. Oder um es mit Pearl Jam zu sagen: "I'm still alive!"

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