Die neue Reiselust der türkischen Regierung

Politiker wollen in Europa anlässlich des Putsch-Jahrestages vor Anhängern auftreten

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Es ist Reisesaison in der Türkei. Allerdings sind es weniger die Ferienparadiese an den Küsten, die derzeit zu locken scheinen, sondern die Großstädte Europas. Die Rede ist auch nicht von durchschnittlichen Urlaubern, sondern von der politischen Führung der Republik Türkei. Fast täglich gibt es neue Meldungen über Reisepläne von hochrangigen Politikern der Regierungspartei AK und fast täglich gibt es dadurch neuen Ärger.

Begonnen hat die Reisesaison bereits, als die AKP für ein "Ja" beim Verfassungsreferendum im April diesen Jahres werben wollte. Die niederländische Regierung, damals selber mitten im Wahlkampf, lehnte einen Auftritt des türkischen Außenministers Mevlüt Cavusoglu ab. Der Streit kochte weiter hoch und fand einen neuen Höhepunkt, als die türkische Familienministerin sich über das Auftrittsverbot hinwegsetzen wollte, daraufhin aber kurzerhand von den niederländischen Behörden nach Deutschland abgeschoben wurde. Tagelang demonstrierten aufgebrachte Menschen in Istanbul und Ankara vor den Vertretungen der niederländischen Regierung gegen diese Beleidigung ihrer Staatsväter.

Als nächstes folgten Auftrittsverbote für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Deutschland. Nicht nur während des Wahlkampfs um das Verfassungsreferendum, sondern neuerlich auch während des G-20-Gipfels in Hamburg. "Sie haben Angst vor der Meinungsfreiheit!", erklärte Präsident Erdogan das Auftrittsverbot, das mittlerweile in vielen europäischen Ländern für türkische Politiker herrscht.

Derzeit ist Österreich Zielpunkt für die Reiselust türkischer Politiker. Nachdem Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) den türkischen Wirtschaftsminister Nihat Zeybekci (AKP) wissen ließ, dass die Alpenrepublik zwar Interesse an bilateralen Gesprächen habe, nicht jedoch an Auftritten vor türkischen Landsleuten, schwelt auch hier unterschwellig das Feuer. Nun kündigte Hamza Dag, Abgeordneter und Vize der AKP aus Izmir, eine Reise nach Nürnberg und Wien an. Ob diese tatsächlich stattfinden können wird, konnte sein Büro bisher noch nicht bestätigen. In Deutschland müssen die Behörden vor Ort noch entscheiden. Das Wiener Außenamt erklärte am Donnerstag, dass noch kein entsprechender Antrag vorliege.

Die Beharrlichkeit der türkischen Regierung, an der Donau und am Rhein aufzutreten, erklärt sich aus dem hohen Wählerpotenzial in Europa. Viele Türken behalten - notfalls auch illegal - ihre türkischen Pässe. Ihre Anzahl ist so groß, dass sie besonders bei knappen Wahlen mehrheitsentscheidend sein können. Außerdem sind sie wichtiges Potenzial, wenn es darum geht Devisen und Know-how in die Türkei zu holen. Die Konfrontationspolitik der Regierung Erdogan erschwert es, langfristige Bündnispartner außerhalb der eigenen Staatsbürger zu finden.

Derzeit sind die Politiker allerdings nicht auf Wahlkampfmission unterwegs in Europa, stattdessen ist ihr Reisegrund der Jahrestag zum Putschversuch vom 15. bzw. 16. Juli 2016. Für die Regierung Erdogan ist das eine hervorragende Gelegenheit, Imagearbeit zu betreiben. Und diese braucht er dringend: Ein Jahr nach dem Putsch haben sich die Bemühungen, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, in eine Hexenjagd gegen jedwede Opposition verwandelt. Justiz, Bildung und Polizei, die Bereiche, in denen es die meisten Verhaftungen und Entlassungen gab, verlieren ihre Funktionalität. Das Spinnen am Heldenmythos im In- und Ausland soll der angeschlagenen Regierung dabei helfen, das Volk weiterhin auf Regierungslinie zu halten und kritische Fragen im Keim zu ersticken.

Bilder mit einem Meer an türkischen Flaggen vor der Kulisse europäischer Städte und türkische Politiker, die sich in Europa bewegen, als wäre es ihr eigenes Wohnzimmer, symbolisieren Macht und Stärke, die sich auf den Fernsehbildschirmen in der Türkei und anderswo gut machen. Die Absagen hingegen verwendet Erdogan geschickt, um gegen den Westen zu wettern und sich dabei selber als Opfer zu stilisieren: Echte Meinungsfreiheit gibt es eben nur in der Türkei, so die Botschaft.

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