Die Entdeckung des HI-Virus: Geschichte liest sich wie ein Wissenschafts-Krimi

Erster Fachartikel vom 5. Juni 1981 zwei Seiten lang Fünf nicht miteinander bekannte Männer erkrankt

Die Entdeckung des Aids auslösenden HI-Virus, für welche die beiden französischen Forscher Francoise Barre-Sinoussi und Luc Montagnier mit einer Hälfte des diesjährigen Medizin-Nobelpreises ausgezeichnet werden, liest sich wie ein Wissenschafts-Krimi. Im Folgenden eine Chronologie der Ereignisse:

Am 5. Juni 1981 erscheint ein zwei Seiten langer Fachartikel von Michael Gottlieb von der Universität von Kalifornien in Los Angeles. Darin werden die Fälle fünf junger homosexueller Männer beschrieben, die an einer extrem seltenen Form der Lungenentzündung litten. Zwei der Patienten sind beim Erscheinen des Reports bereits tot. Noch weiß niemand, dass ein lebensgefährliches Virus die Ursache ist. Dennoch gilt der Artikel im "Morbidity and Mortality Report" (Bd. 30, S. 1) in der Wissenschaft als erster Bericht über die bis heute unheilbare Immunschwäche.

Die fünf jungen Männer, durchwegs aktive Homosexuelle, seien wegen einer durch den Einzeller Pneumocystis carinii ausgelösten Lungenentzündung in drei verschiedenen Krankenhäusern in Los Angeles behandelt worden, berichten die Mediziner um Gottlieb. Diese Häufung ist höchst ungewöhnlich: Der einzellige Erreger infiziert nur Patienten, deren Immunsystem durch Krebs oder starke Medikamente unterdrückt ist. Jetzt aber benötigen gleich fünf Schwule das Spezialmedikament Pentamidin. Es ist nur über die Behörden zu bekommen und wurde zwischen 1967 und 1979 gerade zwei Mal bestellt. Warum jetzt fünf Mal in einer Stadt?

Bereits ausgebreitet
Gottlieb und seine Gruppe betonen, dass sich die betroffenen Männer nicht kannten und auch keinen gemeinsamen Kontakt zu anderen Männern hatten - schon dies lasse darauf schließen, dass bereits mehr Menschen betroffen seien. Auf den Artikel folgen zahlreiche ähnliche Berichte aus New York, San Francisco und anderen Städten zur Folge. Damit kommt der Ball ins Rollen - Sorge verbreitet sich bei Medizinern wie bei Schwulen.

Zur gleichen Zeit häufen sich auch anderenorts die Anfragen nach Pentamidin - ebenfalls zur Behandlung junger Männer. Gleichzeitig mehren sich bei Homosexuellen in den Staaten New York und Kalifornien Kaposi-Sarkome - eine bis dato rare Krebsart. Auch ein bösartiger Krebs des Lymphgewebes nimmt zu. Im Juni 1981 benennt die US-Gesundheitsbehörde CDC eine Untersuchungsgruppe, um Risikofaktoren zu bestimmen und eine nationale Überwachung zu planen.

Im ersten Jahr 593 Fälle
Binnen 18 Monaten beschreiben die Epidemiologen alle wichtigen Risikofaktoren von Aids und prägen zugleich dessen Namen - wörtlich übersetzt das erworbene Immunschwächesyndrom (Acquired Immune Deficiency Syndrome). Bis zum 15. Dezember 1982 liegen der CDC schon 593 Fälle vor - 243 Patienten (41 Prozent) sind gestorben. 41 weitere Berichte stammen aus zehn weiteren Ländern. 75 Prozent der Fälle treffen homo- oder bisexuelle Männer.

1982 kommt auch der erste wesentliche Hinweis darauf, dass andere Übertragungswege möglich sind: Aids tritt erstmals bei Blutern auf, die Blutprodukte erhalten haben und keine anderen zu jener Zeit vermuteten Risikofaktoren aufweisen. Wenig später zeigt sich Aids auch bei Empfängern von Bluttransfusionen sowie bei Drogenabhängigen, die ihre Injektionsnadeln gemeinsam benutzen.

Im Dezember 1982 beschreiben die Experten vier Aidsfälle, bei denen im Labor Probleme mit den T-Lymphozyten (weiße Blutzellen) nachgewiesen wurden. Heute ist bekannt, dass das Aidsvirus die CD4+-Zellen angreift - jene Abteilung des Immunsystems, die die Antwort des Körpers auf eingedrungene Krankheitserreger koordiniert. Damals wie heute sterben die Menschen an den sogenannten opportunistischen Infektionen, die sich im ungeschützten Körper verbreiten.

Ansprüche auf Entdeckungen
Ende 1982 sind weltweit Viren-Laboratorien auf der Suche nach der Ursache für Aids - auch eine Arbeitsgruppe am Pariser Pasteur-Institut unter der Leitung von Francoise Barre-Sinoussi und Luc Montagnier. 1983 isolierten sie in Lymphknoten-Zellen betroffener Patienten ein Virus, das sich später als HIV herausstellen sollte. Sie schickten ihrem US-Kollegen Robert Gallo Virus-Proben. Am 20. Mai 1983 erschienen die Studien der beiden Gruppen gleichzeitig im US-Fachjournal "Science" (Bd. 220, S. 868 und S. 865), beide Wissenschafter beanspruchten die Erstentdeckung für sich.

Es folgte ein jahrelanger Rechtsstreit zwischen Gallo und Montagnier um das Patent für den ersten Aids-Test. 1994 einigten sich Frankreich und die USA auf eine Neuverteilung der Lizenzgebühren zugunsten der französischen Seite. Die US-Seite anerkannte, dass das HI-Virus, das die Grundlage für die Entwicklung der Aids-Tests in den USA bildete, 1983 vom Pasteur-Institut geschickt worden sei, und zwar ausschließlich zu Forschungszwecken, nicht aber für kommerzielle Zwecke.
(apa/red)