Das neue alte Jahr

2022 sollte doch ganz anders werden

von 20200 © Bild: iStockphoto.com/LUMIKK555

Na, wie war 's heuer mit Weihnachten und Silvester?", fragte Christine. Sie saßen einander gegenüber in einem Café. "Ich bin so froh, dass es vorbei ist", antwortete Laura, und Christine, ihre Tasse in der Hand, nickte und sagte: "Da geht 's mir so wie dir, das war nicht einfach diesmal." "Ich hab wirklich alles versucht, um es so normal wie möglich zu machen, es war ein ziemlich sinnloser Versuch", sagte Laura. Christa lächelte und fragte: "Alles, was schief gehen konnte, ging schief?" Laura lachte und antwortete: "Hast du eine Ahnung!" "Ich saß wochenlang am Computer und bestellte Geschenke", sagte Christine. "Und weil sie doch alles verpackt senden mit buntem Papier, sogar mit Namenskarten und Glückwünschen, sah alles perfekt aus." Laura nahm einen Schluck aus ihrer Tasse.

"Hat mir das Herumrennen erspart", fuhr Christine fort. "Als wir am Weihnachtsabend die Pakete verteilten und Max das erste öffnete, waren Tennisschuhe drin in Größe 38 für Frauen und er trägt mit seinen zwölf Jahren jetzt schon 42."

Laura lächelte. "Du glaubst, du bist die Einzige. Ich bestellte für Fritz ein Sportarmband, mit dem er die Schritte beim Jogging messen kann. Es war ein Messgerät für Diabetiker. Ich hatte es vorher nicht ausgepackt, du hättest sein Gesicht sehen sollen!" Sie kicherten beide wie zwei Teenager.

Umtauschen

"Ja, aber so schlimm ist es doch nicht, man kann ja alles umtauschen", sagte Christine. "Ja und nein", meinte Laura. "Katastrophen kann man nicht umtauschen." "Was meist du mit Katastrophe?", fragte Christa erstaunt. "Ich öffnete ein kleines Päckchen. Es war kein Name darauf wie auf den anderen, ich wusste nicht einmal, ob es für mich war. Julia reichte es mir einfach. Eine kleine Schachtel in buntem Papier, darunter noch einmal ein goldenes Papier mit einer roten Masche, sah sehr schön aus." Laura schwieg. "Und, mach's nicht so spannend, was war drinnen?", fragte Christine. Laura zögerte, dann antwortete sie: "Ohrringe, sehr schöne sogar, goldene Ohrringe mit einem Rubin."

"Toll!", sagte Christine. "Auf so ein Geschenk kann ich lang warten bei meinem Paul!"

"Ich fragte Fritz, ob die von ihm seien, er schüttelte nur den Kopf und sagte nichts." Laura sprach nicht weiter und begann, zu husten.
"Und? Jetzt sag schon, von wem waren sie?", fragte Christine.

"In der Schachtel war eine schöne purpurne Dose, und unter den Ohrringen fand ich eine kleine Karte. Auf der stand: für die vielen unvergesslichen Stunden!", sagte Laura, sie lachte nicht mehr.
"Was!" Christine fuhr auf, stieß mit dem Knie gegen das Tischbein und jaulte wie ein junger Hund. Gäste von anderen Tischen sahen zu ihnen. "Davon hast du mir nie etwas erzählt, jetzt einmal los, ich will alles wissen!"
"Jetzt schrei doch nicht so", fuhr Laura sie an.

Ohrringe

"Du wirst doch nicht Ohrringe von einem Verehrer bekommen, so ganz ohne Grund!", sagte Christine, immer noch zu laut. "Die waren nicht für mich, verdammt, war alles wie ein schlechter Scherz, und Fritz flippte völlig aus.'Wer ist das', sagte er immer wieder, und ich antwortete:'Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht'", sagte Laura.

"Wie bist du da rausgekommen aus dem Schlamassel?", fragte Christine.
"Ich sagte zu Fritz, wir sollten das Packpapier suchen, dann sehen wir, ob es falsch zugestellt wurde, doch er ist noch wütender geworden, warf mir vor, das sei eine billige Ausrede!"
"Wahnsinn!", sagte Christine. "Und ich dachte immer, der Lockdown sei langweilig!"

"Mach nur deine Witze, aber es war alles andere als lustig, zuerst suchte ich in unserem Papierkorb, doch ich fand nichts. Fritz hat sich geweigert, weitere Geschenke auszupacken, es sei ihm die Weihnachterei vergangen, meinte er, dann hab ich mir die Schuhe angezogen", diesmal wurde Laura lauter, "und den Mantel und ging am 24. Dezember abends, wenn durch alle Fenster die Lichter der Weihnachtsbäume leuchten, hinunter zum Mist und begann, das Papier zu suchen, mit dem die Schachtel eingepackt war!"

Christine konnte sich kaum mehr beruhigen. "Und, und?", fragte sie immer wieder.
"Ich konnte nichts finden, Julia kam und hat mir geholfen", sagte Laura. "Was macht der Papa?", fragte ich. "Der schaut fern und trinkt Bier", antwortete sie.

"Endlich fand ich unseren Müllsack in der Papiertonne, alles hat gestunken, und unsere Hände waren schmutzig, aber ich konnte doch nicht aufgeben. Julia und ich hoben den Sack heraus und lehrten ihn aus, da war nichts, kein Packpapier, nichts."
"Wow", sagte Christine. "Was für eine Geschichte, darauf müssen was trinken!" Sie bestellte zwei Gläser Rotwein.

"Julia und ich gingen zurück in die Wohnung, und ich versuchte, Fritz zu beruhigen, und versicherte ihm, es muss ein Irrtum der Post gewesen sein!" Der Ober brachte den Rotwein. Laura trank das Glas halb leer, ohne abzusetzen.
"Das gibt's doch nicht, was war dann?", fragte Christine aufgeregt.

Frische Luft´

"Fritz saß im Wohnzimmer und sah irgend eine Sportübertragung, plötzlich stand er auf, schlüpfte in seine Jacke, zog sich die Schuhe an und schimpfte, er müsse an die frische Luft", sagte Laura. "Bist du ihm nachgegangen?", fragte Christine. "Natürlich nicht", antwortete Laura. "Wenn das mein Paul macht, braucht er gar nicht mehr zurückzukommen", sagte Christine.

"Genau das hab ich mir auch gedacht, sein Theater schien mir irgendwie absurd", sagte Laura, dann wurde ihr Gesicht ernst, fast traurig und sie sagte: "Er ist erst am Morgen nach Hause gekommen."

"Was?" Christine wurde wieder lauter. "Der spinnt doch!" "Er schrie herum, er könne mir nicht mehr trauen, und so ging es hin und her, bis er plötzlich sagte, er habe seit Langem das Gefühl, dass ich ihm etwas verheimlichen würde." Laura trank den Rest des Rotweins, und Christine bestellte noch zwei Gläser. Als Laura nichts mehr sagte, fragte Christine: "Und, was ist jetzt?" Der Ober brachte zwei Gläser Wein. "Einen Tag vor Silvester hat er einen Koffer gepackt und sagte, er brauche etwas Distanz", antwortete Laura. Sie schwiegen beide, bis Christine sagte: "Es sollte alles besser werden, wir haben es uns doch vorgenommen, nie wieder 21, es lebe 22!"

Silvester

Laura sagte: "Es hat geendet, wie es begonnen hat, dieses 21, ich saß Silvester mit Julia allein zu Hause, und wir sahen uns das Feuerwerk in den verschiedenen Städten im TV an, um Mitternacht machten wir einen Spaziergang, als Julia plötzlich zu weinen begann, und sagte, es tue ihr so leid, es sei alles ihre Schuld." "Julia? Wieso Julia, was hat die damit zu tun?", fragte Christine. Sie hatte das zweite Glas Rotwein fast leergetrunken.

"Sie stammelte, stotterte, und ich konnte sie zuerst nicht verstehen", sagte Laura leise. "Ich hab die kleine Schachtel in der Schreibtischlade von Papa gesehen, als ich einen Kuli suchte, sagte sie, daneben eine Karte für eine Mary, ich weiß, ich hätte es nicht tun sollen, aber ich bin dann dem Papa ein paar mal gefolgt, wenn er im Garten telefonierte, er war immer ganz lieb und hat Englisch gesprochen, und immer wieder der Name Mary, dann hab ich einfach die Schachtel aus der Lade genommen, sie neu eingepackt und zu deinen Geschenken gelegt, ich wusste ja nicht, dass da eine Karte drinnen war."

Christine schwieg eine ganze Weile, starrte auf den Tisch und vermied, Laura in die Augen zu sehen. "Und das nennt sich 'Gute Vorsätze fürs neue Jahr'?", fragte sie plötzlich. Laura zuckte mit den Schultern und sagte: "Wer weiß, es hat ja erst begonnen!"

"Und wie geht es dir jetzt?", fragte Christine. "Na ja, nicht gut, nicht schlecht, bin auch nicht überrascht", sagte Laura. "Wenn er mit Kopf und Körper wo anders ist, brauch ich ihn nicht zu Hause, das Komische dabei ist, ich fühl mich fast erleichtert." Sie tranken den Wein, als Christine plötzlich fragte: "Und die Ohrringe, was ist mit den Ohrringen?" "Hier, das sind sie!" Julia lächelte und wackelte mit den Kopf hin und her, dass auch die goldenen Ohrringe mit dem roten Rubin hin und her baumelten. "Eine Minute nach Mitternacht hab ich sie angesteckt, so wollte ich das neue Jahr beginnen!"