Die (Alb)traumschiffe

NEWS: Pro Jahr gehen 160.000 Österreicher an Bord - So gefährlich sind Kreuzfahrten

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1. Wie sicher sind Kreuzfahrtschiffe ausgestattet – und wie gut sind sie vor menschlichen Fehlleistungen geschützt?
Clemens Strasser, Chef der Schiffbautechnischen Versuchsanstalt Wien, simulierte an originalgetreuen Modellen von Fähren und Kreuzfahrtschiffen, unter anderem auch jenem des Unglücksschiffes, detaillierte Crashszenarien. Er beschreibt die Grundausstattung der gängigsten Kreuzfahrtschiffe als „relativ sicher“. Unter der Wasseroberfläche seien sämtliche Schotten voll wasserdicht. Nur wenn sie unmittelbar vor einer Kollision (zur Erleichterung der Mobilität an Bord) offenstehen, könne rasch viel Wasser eindringen.

Das Material der Außenhaut sei bei allen Kreuzfahrtschiffen verbindungssteif, alle würden zudem über Radar und Sonar verfügen. Letzteres ist eine Art Echolot, das auch jedes nicht kartografisch erfasste unterirdische Riff anzeigt. Strasser: „Allerdings erst aus einer Distanz von rund 100 Metern – in so einer Situation muss man den Kurs dann sehr plötzlich und radikal ändern.“ Das wiederum müsse manuell veranlasst werden, funktioniere nicht per Autopilot – und sei im aktuellen Fall nicht passiert.

2. Wie lange dauert es im schlimmsten Fall, bis ein havariertes Schiff kentert?
Für Fährschiffe gilt laut Strasser das Stockholm-Agreement: Fähren müssen im zehnmal wiederholten Modellversuch bei einem schweren Seitenschaden und vier Meter hohen Wellen eine halbe Stunde „überstehen“, ehe sie zu sinken beginnen – erst dann werden sie für den Verkehr zugelassen. Für Kreuzfahrtschiffe gibt es weder brauchbare Tests noch Mindestnormen.

3. Ist es physikalisch möglich, dass ein – intakter – Ozeanriese ausschließlich wegen Wellengangs umkippt?
„Ist ein Schiff unbeschädigt, so ist das fast unmöglich“, so Strasser. Aber eben nur fast. Bernhard Bieringer von der Obersten Schifffahrtsbehörde im Wiener Verkehrsministerium: „Außer es kollidiert mit sogenannten Freak Waves, also Riesenwellen aus heiterem Himmel, und wird so zum Zentrum einer Überlagerung von zwei Wellensystemen.“

4. Wie sicher sind die Fähren in den südeuropäischen Urlaubsländern – und gelten überall dieselben Sicherheitsstandards?
Grundsätzlich sind die Standards durch eine UN-Konvention zur Schiffssicherheit (Safety of Life at Sea, kurz SOLA) vereinheitlicht. In der Praxis jedoch existiert gerade im Bereich der Auto- und Personenfähren ein massives Nord-Süd- Gefälle. Ausrangierte, oft bis zu drei Jahrzehnte alte Fähren aus Skandinavien werden oft an südeuropäische Reedereien weitergereicht. So weisen beispielsweise griechische Fähren laut Tests des deutschen Automobilclubs ADAC immer wieder schwere Sicherheitsdefizite auf, die Mängelliste reicht von defekten Rettungsbooten über fehlende Querschotten im Autodeck (Flutungsgefahr) bis zum unzureichenden Notfalltraining der Besatzung. ADACTestleiterin Sabine Zuschrott: „Die Ergebnisse sind enttäuschend und alarmierend.“

5. Gibt es eine Art TÜF für Kreuzer und Fähren oder „schwarze Listen“ für gefährliche Linien?
Schwarze Listen wie bei Fluglinien existieren nicht. Selbstverständlich gibt es regelmäßige Sicherheitskontrollen, die technische Aufsicht sämtlicher Passagierschiffe unterliegt den nationalen Klassifikationsgesellschaften wie etwa dem „Germanischen Lloyd“. Doch wie rigoros gerade in Südeuropa tatsächlich kontrolliert wird, darüber gibt es keinerlei übergeordnete Aufsicht.

6. Wie gut ist das Personal auf Kreuzern und Fähren auf Ernstfälle vorbereitet?
„Im Prinzip nicht besser oder schlechter als etwa Stewardessen im Luftfahrtbereich“, so Schiffsbauingenieur Strasser. Mit dem Unterschied, dass (nicht zuletzt wegen geringerer Unfallwahrscheinlichkeit) Notfalltrainings wesentlich seltener abgehalten werden. Und jenem, dass das nautisch kaum geschulte Schiffspersonal (Kellner, Rezeptionisten, Köche) im Gegensatz zur echten Crew im Ernstfall über keinerlei Entscheidungskompetenz verfügt. Nicht zuletzt deswegen berichten die Passagiere der „Costa Concordia“ nahezu übereinstimmend, dass sie ohne jegliche Anweisungen (r)auskommen mussten. Zudem gibt es, im Gegensatz zu Kreuzfahrten, auch bei mehrtägigen Fährüberfahrten, etwa von Genua nach Sizilien oder Tunis, keinerlei Sicherheitsinstruktionen für die Passagiere.

7. Gibt es überhaupt genug Fachpersonal an Bord?
„Der Anteil der qualifizierten Besatzung ist in der Regel überschaubar“, so Bernhard Bieringer von der Obersten Schifffahrtsbehörde lapidar. Meist würden gerade noch die gesetzlichen Mindestanforderungen erfüllt, auf der „Costa Concordia“ etwa stand den 4.200 Passagieren eine gerade einmal 100-köpfige Crew gegenüber. Zudem nehmen die Passagierkapazitäten der Kreuzfahrtschiffe bereits die Dimensionen österreichischer Kleinstädte an; derzeit größter Ozeankoloss ist mit einer Kapazität von 5.400 Passagieren der Karibik-Kreuzer „Oasis of the Seas“. „In solchen Größenordnungen ist selbst die mustergültigste Evakuierung problematisch“, so Hans-Werner Monsees, Leiter des Havariekommandos Cuxhaven. Monsees, der als einer der renommiertesten Schifffahrtsexperten Europas gilt, spricht sich nun für eine Passagierobergrenze von 4.000 aus.

8. Wie groß ist der ökonomische Druck, der auf den Reedereien lastet?
Der Kostendruck auf hoher See ist ganz gewaltig – zumal die Kreuzfahrtbranche als der touristische Wachstumsmarkt schlechthin gilt und die Konkurrenz immer brutaler wird. Weltweit sind allein im Vorjahr knapp 19 Millionen Passagiere an Bord von Kreuzfahrtschiffen in See gestochen. Freizeitforscher Peter Zellmann vom Wiener Institut für Tourismusforschung schätzt die Zahl der Österreicher, die jährlich einchecken, anhand deutscher Eckdaten auf etwa 160.000. Rund 120.000 davon kreuzen über die Weltmeere, der Rest schippert auf Flüssen.

9. Früher galten Kreuzfahrten als bieder – warum boomen sie plötzlich?
Klettergärten, Wasser-Erlebniswelten, gastronomische Multikulturalität, zudem ganze Vergnügungsviertel auf hoher See: „Kreuzfahrtschiffe kommen dem Bedürfnis, in möglichst kurzer Zeit möglichst viel zu erleben und möglichst viele Länder zu sehen, am besten entgegen“, so Zellmann. Eine Kreuzfahrt bedeute für immer mehr Menschen nicht mehr die einstige Rentnermonotonie, sondern das Idealbild eines „totalisierten Urlaubs“. Deswegen sei aufgrund des Toskana-Crashs auch nicht einmal kurzfristig Preisdumping zu erwarten.

10. Ist eine Flusskreuzfahrt, etwa von Wien ans Schwarze Meer, weniger gefährlich als Ozeanreisen?
Ja. Denn zum einen seien laut Bernhard Bieringer von der Schifffahrtsbehörde selbst auf den größten Flüssen keine Wellen mit mehr als 1,5 Metern Höhe zu erwarten. Zum anderen bestehe keinerlei Kollisionsgefahr durch kreuzende Schiffe. Bieringer: „Wenn es wirklich zu Berührungen kommt, dann zu seitlichen – vergleichbar mit Parkschäden im Straßenverkehr.“ Zudem würden die Rettungsmaßnahmen dank Ufernähe weitaus weniger dramatisch verlaufen.