Welcome to "Smart Village"

von Busan bei Nacht © Bild: Shutterstock.com/Sean Pavone

An Koreas Südspitze liegt die Hafenstadt Busan, mit 3.5 Millionen Einwohnern die zweitgrößte Metropole des Landes. Umgeben von Wäldern, Wanderwegen und versteckten Tempeln ist sie das wichtigste Wirtschaftszentrum Koreas, hat das größte Kaufhaus der Welt (Shinsegae Centrum City) und eine aufstrebende Filmindustrie, die heute mit TV-Serien und Filmen - z. B. "Squid Game" und "Parasite" - weltweit das Publikum fasziniert. Dafür wurde sie von der UNESCO als "City of Film" ausgezeichnet.

In einem Vorort von Busan leben 54 Familien in modernen Reihenhäusern, identisch und austauschbar in einfachen, schmucklosen Straßen, am Reißbrett geplant, jede Straßenbeleuchtung gleicht der anderen, und selbst in den Vorgärten wiederholen sich Rasen und Blumen von Nachbar zu Nachbar. Willkommen in Busan - Eco Delta Smart City, dem ersten elektronisch vernetzten und kontrollierten Dorf der Welt.

Spiegel-Tablets

In jedem Wohn- und Vorzimmer vom Single-Haushalt bis zu Familien mit mehreren Kindern hängen große Spiegel, die nicht nur dem Zurechtrücken von Frisur, Krawatte und Bluse dienen, sondern eine Art Fenster in eine virtuelle Welt bieten. Die Spiegel sind große Touchscreen-Samsung-Tablets, die Daten sammeln und Informationen anbieten. 54 Teilnehmer dieses Experiments wurden von 3.000 Bewerbern durch Los ausgewählt, zahlen keine Miete und dürfen maximal drei Jahren in den Häusern leben. Während dieser Zeit sind sie bereit, eine Smartwatch zu tragen und Nachrichten über ihren Alltag weiterzugeben.

Über Spiegel-Tablet und Smart-Watch werden 24 Stunden pro Tag Daten von jedem Bewohner, ob Kind oder Greis, gesammelt, zum Beispiel Blut-und Kreislaufwerte, Schlaf-und Wachzeiten, Einkaufs-und Essgewohnheiten, Bewegung, Vergnügen und Sport. Das System bietet Informationen über Wetter, Luftqualität, Verkehr, Nachrichten, Kulturveranstaltungen, macht Kochvorschläge und weist auf Sonderangebote in den Geschäften hin.

Die Tablets können Bewohner über laufendes Wasser im Badezimmer, ein geöffnetes Fenster bei Gewitter, eine unversperrte Garagentür, abgelaufene und fehlende Lebensmittel im Kühlschrank warnen, an die Müllabfuhr erinnern und an Pakete, die demnächst geliefert werden.

Für all diese Serviceleistungen erklären sich die Bewohner bereit, persönliche Informationen an die Verwaltung und privaten Unternehmen weiterzugeben.

Voice-Control

Der gesamte Wohnbereich und die Smartwatch sind mit Voice Control vernetzt. Nach dem Wecken der 32-jährigen Lee und ihres Ehemannes, Eltern von zwei Kindern, durch eine freundliche Stimme 20 Minuten, bevor die Kinder geweckt werden, erinnert "Die Stimme", während Lee das Frühstück vorbereitet, dass im Kühlschrank noch Lasagne vom gestrigen Abendessen übrig sei, in der Kaffeemaschine die Bohnen noch heute ausgehen würden, seit zwei Tagen nicht gewaschen wurde und eine Menge Schmutzwäsche im Waschraum liege, im Abholzentrum für Pakete eine Sendung warte, abends die nächste Episode einer Krimi-Serie um 20 Uhr laufen würde, die sie gern sieht, und es am Wochenende regnet werde -sie sollte die gebuchte Tennisstunde besser verschieben. Dazwischen liest "Die Stimme" die neuesten Artikel aus Lees Lieblingszeitung vor, allerdings nur von der Kulturseite - so hat Lee die Auswahl gespeichert.

Die 54 Familien sind der Anfang eines gigantischen Projektes, das insgesamt fünf Milliarden Euro kosten könnte. Geplant ist eine Fläche von elf Quadratkilometern, wo in wenigen Jahren 30.000 Menschen in einer "Smart City" leben werden. Planung, Leitung und Koordination hat die Regierung übernommen. Bei der Finanzierung beteiligen sich Privatunternehmen aus den Bereichen Energie-und Wasserversorgung, Gesundheit, Infrastruktur, Einrichtung und Lebensmittel, Information und Verkehr. Busan Eco Delta ist die weltweit erste "Smart City". Ähnliche Projekte sind in Amsterdam, Helsinki und Japan geplant, wo Toyota eine "vernetzte" Stadt für ihre Mitarbeiter plant.

Fitnessstudio

Nachdem Lees achtjähriger Sohn und elfjährige Tochter das Haus in Richtung Station des Schulbusses verlassen haben, geht Lee ins Fitness-und Wellnessstudio. Auch dieses scheinbar pure Vergnügen ist Teil des Projektes und der Datenspeicherung. Während sie auf den verschiedensten Geräten Muskeln und Ausdauer trainiert, werden sämtliche Daten von ihrem Körper direkt in das medizinische Zentrum überspielt. Neben Messung der Blutwerte werden Veränderungen der Haut, Sehkraft, des Gleichgewichtssinns, der Struktur der Muskulatur, des Bewegungsapparates, Ergrauen der Haare und des Gewichts registriert. Nach den Übungen diskutiert ein Arzt in einem Videogespräch die Ergebnisse, ob eine genauere, medizinische Untersuchung notwendig sei, schlägt eventuell ein neues Fitnessprogramm vor, eine Änderung der Ernährung, und eine Kosmetikerin empfiehlt neue Produkte aufgrund ihrer Beobachtungen der Haut. Über die Schweißausscheidung kann sogar die DNA ausgewertet werden.

Auf die Frage eines Journalisten der "New York Times", was sie an diesem neuen Leben fasziniere, lachte Lee und sagte, es sei ihr hier noch nie ein Braten im Rohr verbrannt, weil sie während des Fernsehens darauf vergessen hatte. Jetzt erinnere sie "Die Stimme" daran. Ob es ihr nicht unangenehm sei, all die privaten Informationen zur Verfügung zu stellen, und sie sich nicht ständig beobachtet fühle. Die Familie musste sich daran gewöhnen, antwortete Lee, doch jetzt seien sie begeistert, das Projekt sei interessant, aufregend und wichtig für die Zukunft. Sie habe mehrere Jahre in Europa gelebt und verstehe, dass Europäer nicht so freizügig mit privaten Informationen umgehen. Koreaner seien da anders, würden meist auf engstem Raum mit-und nebeneinander leben. Die Privatsphäre sei hier nicht so wichtig.

Sämtliche elektrische Geräte sind über Tablets und Smartwatches verbunden. Waschmaschine, Kühlschrank, Küchengeräte, Elektroherd, Radio-und TV-Geräte, Computer, Elektroauto und Elektrorad, Mobiltelefon, Luftfilter sowie elektronische Sperren der Fenster und Türen. Durch einen "SmartThings"-App können die Bewohner die verkoppelten Geräte steuern, den Trockenreiniger im Keller einschalten und ein Fenster öffnen, während man noch im Bus auf dem Weg nach Hause sitzt, und das Ofenrohr mit dem Braten für das Abendessen aufdrehen.

Rasen-Roboter

Parallel zu den großen Unternehmen, die in das Projekt investieren, versucht die Regierung mit günstigen Krediten, lokale Unternehmen zu unterstützen. Eine zukünftige "Smart City" soll durch mittelgroße Unternehmen versorgt werden, die der Bevölkerung Arbeitsplätze bieten - ohne stundenlange Anfahrtswege zu den Arbeitsstätten. Derzeit baut eine Firma kleine Roboter, die den Rasen in den Gärten der Siedlung pflegen, und eine zweite entwickelt Kabinen für die Trockenreinigung von Kleidung, die in den Kellern eingebaut werden und Putzereien ersetzen. Eine dritte hat die Zustellung der Pakete übernommen und die persönliche Verteilung komplett mit Drohnen ersetzt.

Informationen über den Lebensrhythmus und damit den Verbrauch von Energie und die Bedürfnisse des täglichen Lebens werden registriert, gesammelt und ausgewertet. Die Behörden und teilnehmenden Unternehmen versprechen sich von der Langzeitperiode von drei Jahren detaillierte Daten über Elektrizitäts- und Wasserverbrauch, Abfallversorgung, Einkaufsgewohnheiten, Freizeitgestaltung, medizinische Betreuung, Kriminalität und Unfallstatistik der Stadt der Zukunft. Eine genauere qualitative und quantitative Planung der Struktur, Versorgung und Betreuung auf der Grundlage der beobachteten Verhaltensweisen ermöglicht eine effiziente Organisation einer Stadt und ihrer Infrastruktur.

Die Verantwortlichen rechnen mit einer Steigerung der Lebenserwartung in einer zukünftigen "Smart-City" um vier bis fünf Jahre durch Frühwarnsysteme bei Unwetter und Erdbeben, weniger Unfälle und Kriminalität, effizientere medizinische Versorgung und Vorbeugung sowie bessere Luft- und Wasserqualität.