Kinder als Arbeitssklaven

Goldmine als Sinnbild: Land kommt vor Hunger dem Wahnsinn bedenklich nahe.

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Armut in Niger - Kinder als Arbeitssklaven

Ein paar Schritte den Berg hinauf, sengende Hitze. Rattern. Ein Generator treibt eine Pumpe an. Sie holt Wasser aus der Tiefe, für Aishatu. Aishatu siebt feinen Staub, sie siebt und siebt und siebt. Den ganzen Tag siebt sie. Der Generator, ihr einziger Verbündeter, der ihr Wasser liefert, rattert. Und Aishatu siebt. Die Sonne sticht. Kein Luftzug, kein Schatten. Aishatu kennt Amadou. Nur der Hügelrücken trennt die beiden. Aishatu ist sechs.

Auch Toumani Saley kennt Amadou. Und Aishatu. Zwar hat er sie noch nie getroffen, dennoch weiß er bescheid. Wäre Toumani Saley ein Zyniker, würde er sagen, dass es das Schicksal mit den beiden noch ganz gut gemeint hätte. Denn immerhin wüssten sie von Komabangou nichts. Saley schon, er war dort, er hat jenen Ort gesehen, an dem Kinderseelen systematisch zugrunde gehen, langsam und gnadenlos, eine nach der anderen. Saley erzählt: "In Komabangou war nichts. Dann hat man Gold gefunden. Jetzt gibt es dort neun Dörfer. Der Staat hat sogar Schulen gebaut, es gibt Krankenhäuser und Freizeiteinrichtungen, die Straßen wurden erneuert." Alles für die Kinder aus den Minen. 11.000 sind es, sagt Saley. Elftausend.

Strenge Einteilung
Die Einteilung sei streng: Sechs- bis Elfjährige werden zum "Erkennen" in die Stollen geschickt, bis 200 Meter jagt man sie in die Tiefe, weil Kinder in diesem Alter als "rein" gelten und angeblich spüren, wo Gold ist. Zwölf- bis Fünfzehnjährige schleppen die Säcke mit dem Gestein, pulverisieren und waschen es. Für die Ältesten bleibt die Arbeit unter Tage, mit Spitzhacke, Schaufel - und Dynamit. Die Zündschnur ist kurz, 30 Zentimeter, und der Weg ins Freie ist lang, oft zu lang. "Sie nehmen Zigaretten, um Zeit zu gewinnen." Ist der Glimmstängel bis zur Lunte abgebrannt, sollte man nahe dem Ausgang sein - sonst... "Ich war vor drei Wochen dort, da ist gerade eine 80 Meter tiefe Grube eingestürzt", erinnert sich Saley. Nach den Verschütteten hat man nicht einmal gesucht.

Toumani Saley ist Mitarbeiter der Caritas Niger. Immer wieder wagt er sich nach Komabangou, 100 Kilometer nördlich der Hauptstadt Niamey, und versucht Kinderseelen zu retten. Zurück ins Leben will er sie holen, wiedereingliedern in die Gesellschaft. Die Eltern beschimpfen ihn dafür, bespucken ihn, wünschen ihn zum Teufel. Der Hunger hat ihnen den Verstand geraubt. Aber Saley verurteilt sie nicht. Er konzentriert sich ganz auf sein Projekt, das seit 2010 läuft: 500 Kinder seien bereits registriert, 150 davon begleitet er, hinaus in die Schulen, in die Werkstätten, hinaus in die Welt eines bitterarmen Landes, in dem nichts wächst außer Elend und Not, in der Eltern ihre Kinder in die Goldminen schicken, weil es einfach keine Alternative gibt. Nicht eine. Außer sterben.

Ein Kind = eine Arbeitseinheit
In Komabangou gilt: Ein Kind = eine Arbeitseinheit. Wer kein Gold findet, bekommt nur etwas zu essen, keinen Lohn. Wer sich verletzt, wird nicht behandelt. Wen das Quecksilber blind macht, ist selbst Schuld, wem die Säuren die Hände verätzen, hat Pech gehabt. Wer doch Glück hat, muss teilen. 50 Prozent für den Grubenbetreiber, um den Rest dürfen sich die Kinder mit ihren Aufpassern streiten. Für ein Gramm Gold gibt es 25.000 Franc CFA, die Währung der Zentralafrikanischen Wirtschafts- und Währungsgemeinschaft. Doch diese umgerechnet nicht einmal 40 Euro entscheiden oftmals über Wohlstand und Verderben, bedenkt man, dass ein Großteil der Bevölkerung mit rund einem US-Dollar pro Tag ihr Auslangen finden muss.

Regierung sieht zu
Die Regierung - sieht zu. Kann, will auf die Steuereinnahmen nicht verzichten, sagt Saley. Der Niger, zweitärmstes Land der Erde, 85 Prozent Analphabetismus, 73 von 1.000 Kindern sterben vor dem ersten Geburtstag; in guten Jahren, wo keine Dürre herrscht. Noch Fragen? Amadou fragt nicht. Nur 200 Kilometer ist er entfernt von Komabangou, doch dazwischen liegt die Grenze. Sie schützt. Zumindest ihn. Zumindest vorläufig. Er legt die Spitzhacke beiseite, klettert auf den Gipfel des Hügels und zeigt wortlos in einen tiefen Schacht. Jetzt hört er auch das Rattern des Generators. Es erinnert ihn an Aishatu. Sie siebt. Vielleicht wird er ihr dann zuwinken.