"Das Urteil ist ein Witz"

Der Arzt spricht darüber, wie es ihm heute geht und warum er kein Einzelfall ist

von Eugen Adelsmayr in Bad Ischl © Bild: APA/Gindl

NEWS.AT: Wie sieht Ihre momentane rechtliche Situation aus?
Eugen Adelsmayr: Mitte Dezember ist das schriftliche Urteil ergangen, jetzt läuft die Berufungsfrist. Die beträgt 15 Tage für den Angeklagten und 30 Tage für die Staatsanwaltschaft.

NEWS.AT: Das heißt, Sie müssen also wieder bis zum neuen Jahr warten.
Adelsmayr: Ja, wobei ich nicht davon ausgehe, dass sich da noch etwas tut. Ich kann nicht berufen (eine Berufung wäre nur vor Ort möglich; Anm. der Red.) , der Staatsanwalt hat schon gegen den Freispruch des Mitangeklagten berufen. Es könnte nur noch der Oberstaatsanwalt gegen mein Urteil Berufung einlegen und auf die Todesstrafe beharren. Aber ich glaube, wenn er das wollte, hätte er es schon gemacht.

NEWS.AT: Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie jetzt die schriftliche Bestätigung für das Urteil lebenslange Haft erhalten haben?
Adelsmayr: Das geht alles schon so lange, es ist eine Farce. Der Richter begründet das Urteil schriftlich damit, dass von all dem Entlastenden nichts berücksichtigt werden konnte, weil ich nicht dort war. Er bräuchte das Entlastende gar nicht zu berücksichtigen, er bräuchte nur das gefälschte Belastende zu berücksichtigen und es bliebe nichts mehr übrig. Das Urteil ist so absurd und weit weg von irgendeinem Rechtsverständnis, dass es kaum noch ernst zu nehmen ist. Obwohl es unangenehm und gefährlich ist, ist es für mich nur noch ein Witz.

NEWS.AT: Wie sehr beeinflusst Sie das Urteil aktuell?
Adelsmayr: Es ist schon noch immer eine Belastung. Es ist einfach nicht abgeschlossen. In Europa gibt es für mich keine Möglichkeit einer Rehabilitation.

NEWS.AT: Inwieweit laufen Sie Gefahr, verhaftet zu werden, wenn Sie Österreich verlassen?
Adelsmayr: Bislang gibt es noch keinen internationalen Haftbefehl, aber das kann sich stündlich ändern. Es gibt keine Gewissheit, ob ein Land sicher ist. Wenn ich aus einem Flugzeug aussteige, könnte der Haftbefehl inzwischen rausgegangen sein und ich dort Schwierigkeiten haben.

NEWS.AT: Sie haben ein Buch über Ihre Erlebnisse in Dubai und die damit verbundenen Schicksalsschläge geschrieben. Warum haben Sie den Titel „Von einem, der auszog“ gewählt?
Adelsmayr: Ich wollte meine Geschichte und mich nicht nur auf diesen einen Fall reduzieren. Da steckt mehr dahinter. Es waren sieben Jahre, die ich dort (Dubai; Anm. der Red.) war. Es hat viele Menschen gegeben, die mich gefragt haben, wie man überhaupt auf so eine Idee kommt. Ich wollte einen Überblick verschaffen und einfach zeigen, dass ich mehr bin als nur ein Fall.

NEWS.AT: Was war Ihr erster Eindruck von der Stadt?
Adelsmayr: Ich war zuerst einfach sehr beeindruckt und überwältigt. Die Arbeitsbedingungen waren fantastisch. Das klingt jetzt vielleicht komisch, nach dem Erlebten. Aber rein von den Möglichkeiten und der materiellen Ausstattung, die wir gehabt haben, war die Arbeit dort toll.

NEWS.AT: Der Tod eines gelähmten Patienten im Trauma-Center hat alles verändert. Ist sein Fall als medizinisch ungewöhnlich angesehen worden?
Adelsmayr: Dass es bei dieser Art von Rückenmarksverletzung zu Kreislaufstillständen kommt, ist nicht häufig, das ist eher selten. Aber dass wir Patienten gehabt haben, die schwer verletzt waren und gestorben sind, war überhaupt nicht selten. Wir haben dort ganz schwere Fälle betreut. Gemessen daran, haben wir tolle Erfolge gehabt. Dennoch sind 10 bis 15 Prozent unserer Patienten verstorben. Jede Woche ist einer gestorben. Das war nichts Ungewöhnliches. Es hat auch niemand medizinisch ungewöhnlich gefunden, dass dieser Patient gestorben ist. Ich glaube, wir haben ihn viel länger am Leben erhalten, als es in anderen Krankenhäusern dieser Welt überhaupt möglich wäre.

NEWS.AT: Nach dem Tod des gelähmten Patienten tauchte plötzlich der Brief Ihres Kollegen Dr. Yasser Masri, der Sie der unterlassenen Hilfeleistung beschuldigt. Inwieweit waren Sie da schon alarmiert?
Adelsmayr: Zu dem Zeitpunkt hatte ich schon im Trauma-Center gekündigt und war geistig bei meinem neuen Arbeitsplatz. Dieses Hickhack und den ganzen Kleinkrieg habe ich nicht so ernst genommen. Ich habe mir gedacht, er soll mich ruhig anfeinden und verleumden, weil ich dort sowieso bald weg bin. Erst als dann eine Untersuchung durch den Spitalsdirektor stattgefunden hat, ist mir bewusst geworden, dass das relativ ernst werden kann.

NEWS.AT: Sie schreiben in Ihrem Buch, dass sich Ihre Frau im Dezember 2009 bereits große Sorgen gemacht hat. Hatten Sie zu dieser Zeit Angst um Ihr Leben?
Adelsmayr: Nein, überhaupt nicht. Anfänglich ist das eher in die Richtung eines ärztlichen Kunstfehlers gegangen. Ich habe mir nicht gedacht, dass das irgendeine Auswirkung auf mich hat. Eventuell noch, dass ich in Zukunft im Emirat Dubai keine Arbeitserlaubnis mehr bekomme. Auf diesem Level habe ich mir das damals vorgestellt. Ich war schockiert, als der Entzug der Ärztelizenz doch stattgefunden hat. Da ist aber alles noch auf der rein medizinischen Ebene gelaufen. Erst durch die Anzeige bei der Polizei (von Dr. Yasser Masri, Anm. der Red.) ist aus dem Kunstfehler ein Kriminalfall geworden. Wobei es in Dubai in dem Sinn keinen Kunstfehler gibt. Sobald ein Fall vor Gericht geht, ist jeder Kunstfehler ein Kriminalfall.

NEWS.AT: Wann war zum ersten Mal der Gedanke da, das Land zu verlassen?
Adelsmayr: Ich habe die Beschuldigungen für derart absurd gehalten. Ich habe mir gedacht, wenn das ordentlich untersucht wird, habe ich nichts zu befürchten. Bei der ersten polizeilichen Einvernahme ist mir dann aber schon der Pass abgenommen worden.

NEWS.AT: Erst durch die schwere Krebserkrankung Ihrer Frau hatten Sie dann wieder eine Chance zurück nach Österreich zu kommen. Wären Sie andernfalls dort geblieben?
Adelsmayr: Ja, ich hätte mich dem Prozess gestellt. Aber das Land hätte ich sowieso nicht verlassen dürfen. Wenn meine Frau nicht schwer erkrankt wäre, hätten sie mich sicher nicht ausgelassen.

NEWS.AT: Was würden Sie heute nach all Ihren Erlebnissen einem österreichischen Arzt sagen, der in die Vereinigten Arabischen Emirate gehen will?
Adelsmayr: Vor einigen Monaten hätte ich noch gesagt, man kann es machen, wenn man ein bisschen abenteuerlustig und sich der Risiken bewusst ist. Mittlerweile würde ich jedem dringend abraten. Durch mein Schicksal bin ich eine Anlaufstelle für Leidensgenossen geworden. Was ich an Fällen mitbekommen habe, ist erschütternd. Momentan sitzt in Dubai ein 77-jähriger Südafrikaner fest, weil vor zehn Jahren ein Kind gestorben ist. Der Arzt ist dann wieder zurück nach Südafrika gegangen und hat von einer Anzeige nichts gewusst. Er ist aber angezeigt und zehn Jahre später auf der Durchreise verhaftet worden. Seit August sitzt er jetzt fest. Der Fall hat so viele Parallelen zu meinem. Die Krankengeschichte ist nicht auffindbar, der Prozess wird laufend vertagt. Seit ich daheim bin, bin ich mit zehn solcher Fälle konfrontiert worden, aber das ist mit Abstand der tragischste. Man kann es also wirklich niemandem empfehlen und muss eigentlich jeden warnen, der nach Dubai geht.

NEWS.AT: Weil das Rechtssystem dort anders ist?
Adelsmayr: Es ist die reine Willkür. Wenn man angezeigt wird, hat man extrem schlechte Karten. Man ist primär schuldig und ist dann in der Situation, dass man erst seine Unschuld beweisen muss. Wenn die Beschuldigungen auf fehlenden Unterlagen und Lügen beruhen, ist es irrsinnig schwierig, da herauszukommen.

NEWS.AT: Sie haben auch ihre beiden Söhne mit ins Buch einbezogen. Konnte die Familie so das Erlebte besser verarbeiten?
Adelsmayr: Ja, das hat sehr geholfen. Ich habe zuerst nicht viel darüber erzählt. Als ich heim gekommen bin, war aufgrund der familiären Situation, der Erkrankung meiner Frau, auch nicht die passende Gelegenheit dafür. Außerdem ist das Thema so komplex. Im Buch habe ich mehr vermittelt, als ich ihnen mündlich erzählen könnte.

NEWS.AT: Wollen Sie in Zukunft weiterhin in Österreich als Arzt arbeiten?
Adelsmayr: Ich genieße es momentan wirklich sehr, als Arzt zu arbeiten. In Dubai habe ich sicher zu 80 Prozent administrativ gearbeitet. Ich habe dort hintereinander zwei riesige Abteilungen geleitet. Da bleibt für die Arbeit am Patienten wenig Zeit. Dass ich jetzt wieder am Patienten arbeiten kann, gefällt mir sehr gut. Ich werde natürlich in Österreich arbeiten, weil ich keine andere Wahl habe. Das soll aber nicht heißen, dass ich hier unglücklich oder unzufrieden bin.

NEWS.AT: Könnten Sie sich überhaupt vorstellen, wieder im Ausland als Arzt tätig zu sein?
Adelsmayr: Momentan nicht. Auch wenn ich mich frei bewegen könnte, würde ich in Österreich bleiben.


Buchtitel:
"Von einem, der auszog"
Autor: Eugen Adelsmayr
Seifert Verlag, 248 Seiten
Preis: 22,90 Euro
ISBN: 978-3-902406-94-1

Zum Autor:
Eugen Adelsmayr (*1957) studierte Medizin und Gesundheitswissenschaften in Wien. Anschließend ist er als Anästhesist und Intensivmediziner in Kitzbühel und Innsbruck tätig. Von 2006 bis 2009 arbeitete er als Department-Head der Surgical Intensive Care Unit am Rashid Hospital Trauma Center in Dubai mit über 120.000 Notfallraumpatienten pro Jahr. Der Mediziner ist verwitwet und Vater von zwei Söhnen. Derzeit lebt er in Bad Ischl, Oberösterreich. Im September 2012 erschien sein Buch "Von einem, der auszog"

Kommentare

"Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um", heißt es. Insofern ist dieser Arzt noch mit einem blauen Auge davon gekommen! Es ist für mich generell unverständlich, wie man sich wegen "goldener" Einkommen in Länder begeben kann, in denen noch mittelalterliche Gesetze herrschen! Ich würde nicht einmal daran denken, dort Urlaub zu machen!

noch imm er werden wir mit dem bild vom arzt ohne herz belästigt !macht doch eher mit dem buch "EL HAKIM "auch der wahr wüsten docktor werbung !!!!!

wann verschwindet dieser fragwürdige wüstendocktor endlich aus der news ?

biite kaufts den schaas ned

bushmaster

ES GIBT SCHLIMMERES als Österr. nicht verlassen zu dürfen, Herr Dr. Edelsmayr !! " Kopf hoch"

ich wiederhole mich !lieber manny ,als bei der kranken mammi !er möchte mit seinem buch nochmal kapital schlagen !sollte lieber das ausgezeichnete buch "arzt ohne gnade " lesen,würde dies auch anderen raten !

Bleib in Österreich, lebe in einem der schönsten und sichersten Länder der Welt und arbeite in Deinem Beruf. Dann wird Dir nichts passieren! Und klage beim int. Gerichtshof und zeige das Unrecht auf!

huber1000 melden

Und warum fahr man da hin ?Gibt es bei uns nicht genug Menschen die einen Arzt brauchen das hat er jetzt davon.

huginator melden

schon, aber es könnte sein, dass es mehr ärzte als jobs für sie gibt. außerdem steht es doch jedem frei, mal woanders zu arbeiten. sei es, weil er die welt sehen will, mehr geld verdient oder warum auch immer.

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Eine berechtigte Frage warum man da hinfährt. Sie ist nicht leicht zu beantworten weil es sehr, sehr viele Ärzte gibt, die es z.B. in Afrika wesentlich schlechter haben als bei uns und so gut wie nichts verdienen und trotzdem dort hinfahren nur um den Ärmsten der Armen zu helfen. Aber nach Dubai geht man wohl nur, um schnell das große Geld zu machen. Ob es da auch so ist, wage ich nicht zu sagen.

Nudlsupp melden

Hallo kickoff, ohne wem vorverurteilen zu wollen, ich tendiere zu ja, er hat im Interview ja selbst die hohe materielle Ausstattung gelobt, die man üblicherweise an keinem Platz der Erde vorrangig den Bedürftigen zuteil werden lässt.

Ich kenne den Fall nicht, weiß nicht was in diesem Fall ein Kunstfehler ist, ob und was schief gelaufen ist, finde solche Einzelfälle für denjenigen auch immer bedauerlich, aber letztendlich wird ein Akademiker die Risiken abschätzen können, wenn er in solche Länder geht um (vermeintlich) Karriere zu machen.

Und bevor man hinther über so einen bösen korrupten und rechtlosen Staat herzieht, auch wenn man sich selbst um sein Recht betrogen fühlt, für mich sieht das nach einem gentlemen´s agreement aus. Man hat ihn doch letztlich ausreisen lassen? Im Wissen, daß er die Strafe niemals antreten wird. Bei sehr schweren Beschuldigungen, die gegen ihn erhoben wurden.

Also hat das Ganze auch ein für ihn menschliches Antlitz. So haben beide Seite gewonnen. Vor Ort wurde der Gerechtigkeit wegen ein Urteil gefällt, der Verurteilte wird die Strafe jedoch nie antreten müssen. Also ich hätte mir die Rechtsstaatlichkeit da unten schlimmer vorgestellt.

Jene Ärzte, die aus humanitären Gründen in die letzten Winkel der Welt gehen, um wirklich Ihrer Berufung nachzugehen, diese haben wirklich den größten Respekt, die größte Hochachtung, vor allem aber Unterstützung verdient.

robertblum melden

habe im tv DW einen bericht über einen zahnarzt der mit einem umgebauten lastwagen mit primitifsten mitteln in indien armen menschen infast unzugänglichen gebieten gratis behandelt !da liest und höhrt man nichts ,das sind aber die wahren helden !!!

Nudlsupp melden

aber dieser zahnarzt braucht wahrscheinllich keine Werbung für sein Buch oder? Wieso sollte man darüber also auch berichten? :-(

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