Operation 20 Prozent

Die ÖVP hat es aufgegeben, als staatstragende Kanzlerpartei wirken zu wollen. Nicht nur Kickl könnte davon profitieren, sondern auch Neos von Beate Meinl-Reisinger

von Politische Analyse - Operation 20 Prozent © Bild: Privat

ANALYSE

Der Strategiewechsel ist unübersehbar: Schluss mit Kanzlerpartei, die staatstragend und verantwortungsbewusst wirken möchte. Seit Aussagen des verstorbenen Justizbeamten Christian Pilnacek bekannt geworden sind, wonach ihn Vertreter der ÖVP bzw. namentlich Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka gedrängt haben sollen, staatsanwaltliche Ermittlungen abzudrehen, übt sich die Partei in einer Art Oppositionspolitik. Nicht nur, dass die Darstellungen zurückgewiesen werden und Sobotka keine Sekunde daran denkt, zu gehen - der Obmann, Regierungschef Karl Nehammer, lässt seine Abgeordneten im Hohen Haus einen Untersuchungsausschuss vorbereiten, der "rot-blauem Machtmissbrauch" in den Jahren 2007 bis 2020 gewidmet sein soll. In den Monaten vor der Nationalratswahl im kommenden Herbst wird damit versucht, einerseits abzulenken und andererseits Freiheitliche und Sozialdemokaten ebenfalls zu belasten, zumal diese an einem Ausschuss arbeiten, der Corona Förderungen im Sinne ÖVP-naher Milliardäre unter die Lupe nehmen soll.

Dass sich die Volkspartei auf dieses Niveau begibt, ist nachvollziehbar: Diverse Affären haben sie schon gefährlich viel Zuspruch gekostet. Jetzt geht es für sie darum, durch direkte Auseinandersetzungen mit politischen Mitbewerbern die eigenen Reihen zu schließen und zumindest Kernwähler zu halten. "Operation 20 Prozent", sozusagen.

Andererseits aber ist das Ganze hochriskant: Es ist dazu angetan, das ohnehin schon beträchtliche Misstrauen in die Politik zu vertiefen. Das nützt zunächst vor allem der FPÖ von Herbert Kickl: Nicht ohne Grund bietet er sich Wählern an, die "das System" frustriert. Er weiß, dass das zur Zeit Stimmen bringt. Umfragewerte von rund 30 Prozent für seine Partei bestätigen dies.

Hoffen darf aber auch Neos. Neben all jenen, die ausschließlich angewidert sind, gibt es Menschen, die die Missstände ebenfalls erkennen, aber nicht zu Kickl neigen, der den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban mit all seinen autoritären Zügen zum Vorbild erklärt hat. Sie sehnen sich vielmehr nach einer Stärkung von Demokratie und Rechtsstaat. Es handelt sich um Leute aus der Mitte, für die Neos schon bisher eine bürgerliche Alternative zur ÖVP darstellte.

Das wird gerne übersehen: Ziemlich konstant rund 30 Prozent für die FPÖ und etwa zehn für Neos von Beate Meinl-Reisinger wären unmöglich, wenn es der Volkspartei gutgehen würde. Es ist eine vielsagende Summe von immerhin 40 Prozent. Und jetzt, da sich die Volkspartei voll auf eine "Schlammschlacht" einlässt, wie Meinl-Reisinger und Co. mit dem Kalkül sagen, sich davon zu unterscheiden, könnte sich dieser Trend noch verstärken - bemüht sich Neos denn auch als Kraft hervorzutun, die als angeblich einzige noch allein für Land und Leute tätig sein möchte.

ZAHL

Null Spielraum für Entlastungen

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) will die Steuer- und Abgabenquote bis zum Jahr 2030 von derzeit rund 43 auf unter 40 Prozent senken. Das wird voraussichtlich Teil seines Wahlprogramms werden. Der Zeitplan ist neu, der Rest Wiederholung: Nehammers Vorgänger Sebastian Kurz wollte "Richtung 40 Prozent" gehen, und Michael Spindelegger zog als damaliger ÖVP-Obmann schon vor zehn Jahren mit der Ansage in den Wahlkampf, die Quote bis 2020 auf unter 40 Prozent zu drücken. Wie? Das ist immer offen geblieben, mehr als Überschriften gab und gibt es nicht - obwohl oder vielleicht gerade weil die Sache so kompliziert ist. Bis heute ist die Quote daher praktisch unverändert geblieben.

Ein Blick in eine langfristige Budgetprognose, die das Finanzministerium unter Führung von Ressortchef Magnus Brunner (ÖVP) erstellt hat, bringt noch mehr Ernüchterung: Angenommen wird darin, dass die Steuer- und Abgabenquote, gemessen an der Wirtschaftsleistung, auf Jahrzehnte hinaus in etwa gleich bleiben wird. Zu jeweils gut einem Drittel wird sie sich aus Sozialbeiträgen wie jenen für die Pensionsversicherung sowie direkten und indirekten Steuern wie der Lohn-und der Umsatzsteuer zusammensetzen. Von einer Entlastung findet sich keine Spur.

Das hat nicht nur damit zu tun, dass man schwer Reformen zukünftiger Regierungen einkalkulieren kann. Es ist vor allem auch darauf zurückzuführen, dass es schier alternativlos ist. Genauer: dass man schon froh sein muss, wenn die Steuer- und Abgabenquote in naher Zukunft nicht auf 45 Prozent oder darüber erhöht werden muss. Der Grund dafür ist, dass Ausgaben für Pensionen, Gesundheit, Pflege und Zinsen in den kommenden Jahren alles in allem prozentuell wesentlich stärker zunehmen werden als die Wirtschaftsleistung. Das bedeutet, dass bei ausbleibenden Reformen zumindest mit deutlich wachsenden Schulden zu rechnen ist.

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BERICHT

Kickls Viertel

Es gehört zu den unterhaltsameren Ergebnissen einer aktuellen Eurobarometer-Erhebung: Ein Viertel der Österreicher rechnet Euro-Beträge noch immer in Schilling um, multipliziert sie also auch 22 Jahre nach Einführung der gemeinsamen Währung mit 13,7603. Das ist ein Hinweis darauf, wie lange es dauert, bis eine so große Veränderung im Alltag abgeschlossen ist.

Bei manchen Menschen wird es wohl nie der Fall sein, und das leitet über zum ernsteren Teil: Ebenfalls ein Viertel der Österreicher findet, dass der Euro eine schlechte Sache sei für das Land. Das ist ein vergleichsweise hoher Wert. In Deutschland handelt es sich um nicht einmal ein Fünftel.

Auf ein Viertel stößt man in Österreich immer wieder bei Eurobarometer-Befragungen. Es entspricht zum Beispiel auch dem Anteil derer, die glauben, dass man außerhalb der EU besser aufgehoben wäre. Vielleicht hat es mit gängiger Politik zu tun, die dazu tendiert, "mit dem Finger auf Brüssel zu zeigen", wie der Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Othmar Karas (ÖVP), unlängst kritisierte, als er ankündigte, bei der EU-Wahl im Juni nicht mehr anzutreten.

Fakt ist, dass das Viertel, das der EU grundsätzlich ablehnend gegenübersteht, eine wichtige Zielgruppe der FPÖ von Herbert Kickl ist. Er pflegt das Feindbild Brüssel, verortet regelmäßig "Eliten" ebendort, die es nicht gut meinen würden mit den Leuten. Kickl kann davon ausgehen, damit zu punkten: Bei der letzten EU-Wahl erreichte die FPÖ in dieser Zielgruppe rund 80 Prozent. Hier hat sie quasi eine Monopolstellung.

Johannes Huber, Journalist und Blogger zur österreichischen Politik, www.diesubstanz.at